Verschwörung im Äther
Ein Student aus Kalifornien will das Internet revolutionieren. Dazu hat er das Usenet neu erfunden
Wer sich in einem P2P-Netz wie KaZaA oder eDonkey2000 das neueste Album von Bad Religion oder den aktuellen Film mit Jim Carrey herunterladen möchte, hat es zum Leidwesen der betroffenen Wirtschaftszweige nicht schwer: suchen, klicken, warten. Nichts Neues seit Napster? Ein bisschen hat sich schon geändert, seit Shawn Fanning 1999 seinen MP3-Indexdienst startete. Die Netze wurden erwartungsgemäß dezentral und somit schwerer auszumerzen, fast alle Tauschbörse sind heute Dateityp-unabhängig (man bekommt also weit mehr als nur Musik), Funktionen wie der Download von mehreren Quellen gleichzeitig kamen hinzu. Und die Inhalte-Industrie wehrt sich mit Fake-Dateien, die vom Megabyte-Rauschen bis zum MP3-kodierten "What the fuck do you think you're doing?" (Madonna) reichen.
Auch dagegen gibt es schon ein Mittelchen. Da sind z.B. Websites wie Sharereactor und Musicdonkey, die sogenannte "Hash-Links" verbreiten. Das hat nichts mit Drogenzubehör zu tun, vielmehr handelt es sich um URLs, die nicht auf einen Webserver zeigen, sondern auf eine mit Hilfe einer Prüfsumme ("Hash") eindeutig identifizierte Datei in einem File-Sharing-Netz. Solche Prüfsummen lassen sich realistisch nicht fälschen, so dass man bei der Suche mittels Hash auch die Datei bekommt, die man erwartet.
Damit fungieren Sharereactor & Co. als Werbekataloge, die von Nutzern nach interessanten Angeboten durchblättert werden können. Auf den mit viel Liebe zum Detail gewarteten Seiten kann der Leser sich über Alben, Filme, Programme etc. informieren, Kommentar-System, Bewertungsmöglichkeit und Link auf Amazon.com oder IMDB inklusive. Ein Klick führt schließlich zum "ed2k"-Hash-Link. Einfacher geht's nicht - nur die Downloadzeiten lassen häufig zu wünschen übrig.
Schneller saugen
Diesem Problem hat sich Bram Cohen angenommen, dessen Projekt BitTorrent der neue Aufsteiger unter den P2P-Systemen ist. Obwohl relativ kryptisch zu bedienen, bietet BitTorrent einen enormen Vorteil gegenüber klassischen Tauschbörsen: unerreichte Download-Geschwindigkeiten. Wer über eine DSL-Leitung verfügt, wird sich große Dateien mit 80-90 Kilobyte pro Sekunde herunterladen können - eine Geschwindigkeit, die anderswo nur in Glücksfällen erreicht werden kann. Damit können Dauersauger durchaus mehrere Filme oder teure Windows-Programme pro Tag herunterladen.
BitTorrent funktioniert nach einem einfachen Prinzip, das auch nicht völlig neu ist: Nutzer, die eine Datei herunterladen, schicken noch währenddessen Teile davon an andere User weiter. Durch den gegenseitigen Austausch wird die Verbreitung beschleunigt. Darin unterscheidet sich BitTorrent zunächst grundsätzlich nicht von eDonkey2000. Die hohe Geschwindigkeit wird aber auch noch aus einem anderen Grund erreicht: Während im eDonkey-Netz die meisten Nutzer über Bibliotheken von Gigabyte-Größe verfügen und gleichzeitig oft Dutzende Sauger bedienen, die noch dazu alle etwas anderes suchen, konzentrieren sich alle User einer BitTorrent-Gruppe auf die Übertragung einer einzelnen Datei. Um einer solchen Gruppe beizutreten, muss man eine entsprechende ".torrent"-Datei finden, die wiederum die Adresse eines sogenannten Tracker-Servers enthält, der den Gesamt-Transfer koordiniert.
Was kompliziert klingt, läuft in der Praxis darauf hinaus, zu einer der großen BitTorrent-Websites wie torrentse.cx zu surfen, dort den gewünschten Link auszuwählen und abzuwarten -- in der Regel deutlich kürzer als bei anderen Tauschbörsen. Der Download startet meist sofort, und schon nach ein paar Minuten wird häufig die maximale Bandbreite erreicht. Soziale Naturen lassen das Download-Fenster nach der Fertigstellung noch eine Weile offen, in dieser Zeit wird die Datei weiterhin an andere Suchende übertragen.
P2P einmal anders: legal
Die verschiedenen BitTorrent-Websites übernehmen eine ähnliche Rolle wie Sharereactor & Co., sollten aber neben den Link auf die ".torrent"-Datei noch weitere Informationen bereitstellen: Wie viele Nutzer haben die Datei komplett? Wie viele nur teilweise? Bei einer geringen kompletten Verbreitung wird die Übertragung womöglich nie über die 90%-Grenze hinauskommen. BitTorrent selbst ist keine Tauschbörse und bietet auch keine Suchmöglichkeit - das Spektrum der legalen Einsatzmöglichkeiten ist gigantisch, da es sich lediglich um einen effizienten Distributionsmechanismus handelt. So gibt es Websites, die Linux-ISO-Images oder legale Live-Musik-Aufnahmen mittels BitTorrent anbieten. Beliebt ist BT auch in der sogenannten "Fansub"-Szene: Fans von japanischen Anime-Zeichentrickfilmen versehen diese mit Untertiteln (Subtitles) in ihrer Sprache und verbreiten sie übers Internet. Solche Fansubs sind zwar nicht legal, die Subber beschränken sich aber naturgemäß auf Titel, die noch nicht auf dem jeweiligen heimischen Markt angeboten werden, so dass ihre Tätigkeit nur schwer als geschäftsschädigend gewertet werden kann.
Ein klassisches Dilemma in File-Sharing-Systemen, aber auch im Rest des Internet, besteht darin, interessante Informationen überhaupt erst zu finden. Bei reinen Suchsystemen ohne Hash-Links muss das Wissen darüber, was man herunterladen möchte, von anderswo kommen, also z.B. aus traditionellen Medien wie TV, Radio und Zeitschriften. So sind es dann auch vor allem Musik und Filme aus dem Mainstream-Bereich, die in großen P2P-Systemen kopiert werden. P2P wurde häufig als Segen für unbekannte Musiker und Filmemacher gefeiert, weil es die kostengünstige Distribution ermögliche. Tatsächlich haben die Tauschbörsen bisher die Marktposition bekannter Künstler eher gestärkt.
Sharereactor und die diversen BitTorrent-Portale liefern hier eine erste Alternative. Da sie selbst als Medien fungieren, können sie interessante Inhalte ankündigen. Zu einem gewissen Grad werden sie das auch tun müssen, um vor Gericht ihre eigene Existenz verteidigen zu können. Doch inwieweit solche Inhalte von den Betreibern gekonnt ausgewählt und gefördert werden, bleibt abzuwarten.
Senden statt suchen
Bereits 1979 wurde die Software geschaffen, um das Internet als ein dezentrales Broadcasting-System ähnlich TV und Radio einsetzen zu können - Inhalte werden nicht gesucht, sondern an Abonnenten eines Kanals ausgestrahlt. Der Name dieser Technologie lautet Usenet, und sie wurde ursprünglich fast ausschließlich für Diskussionen eingesetzt. Heute jedoch existieren zahlreiche Binärgruppen, deren Inhalte an Server aus aller Welt verschickt werden. Ob Pornos oder Programme, Usenet-Server schaufeln täglich Gigabytes um den Globus (vgl. Schöner tauschen IV).
Usenet ist nicht völlig dezentral: Dateien und Nachrichten werden von den Servern untereinander ausgetauscht und von den Clients von dort abgerufen oder zum jeweils lokalen Server hochgeladen. Will man das Usenet zum Datei-Saugen einsetzen, muss man zunächst also einen News-Server finden, der die entsprechenden Gruppen liefert. Aufgrund der riesigen Dateimengen ist das nicht so einfach, und auch rechtliche Probleme schrecken viele Anbieter ab. Schließlich wurde schon der Ex-Chef von CompuServe, seinerzeit größter AOL-Konkurrent, in Deutschland wegen der Verbreitung von Kinderpornos über die Usenet-Server seines Unternehmens höchstpersönlich vor den Kadi gezerrt. Nicht zuletzt haben die offenen Bereiche des Netzes mit Spammern zu kämpfen, die allerdings mitunter auf knallharten Widerstand von Spam-Jägern treffen.
Jason Rohrer, Informatik-Student an der University of California in Santa Cruz, möchte das Usenet neu erfinden. Rohrer hat bereits Erfahrungen mit der Entwicklung von Tauschbörsen: Vor 3 Jahren entwickelte er das Java-Programm "konspire", ein halbzentrales System ähnlich KaZaA & Co., allerdings plattformunabhängig in Java entwickelt. Das war wohl auch eines der Probleme von konspire, denn richtige Verbreitung fand es nie. Konspire2b hat außer dem Namen nicht viel mit dem Vorgänger gemeinsam. Um eine negative Erfahrung reicher, hat Rohrer Java als Programmiersprache aufgegeben, was er ausführlich begründet.
Dennoch kann man sich konspire2b für praktisch alle relevanten Plattformen herunterladen, Windows und Linux inklusive. Von seinem neuen Programm verspricht sich Rohrer eine Revolution und trägt sich vorsorglich schon mal in die Geschichtsbücher ein:
Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte konnten Individuen Inhalte in hoher Qualität an ein gigantisches Publikum verbreiten, ohne viel Zeit, Geld oder andere Ressourcen aufzuwenden. Mit konspire2b verloren mächtige Organisationen den Vorteil, an dem sie über Hunderte von Jahren festgehalten hatten.
Der Gnutella-Effekt
Das Funktionsprinzip von konspire2b ist völlig anders als das von bekannten Datei-Tauschbörsen. Nach dem Start des Programms muss man das Benutzer-Interface über den Web-Browser aufrufen -- als Adresse ist "localhost:8085" anzugeben, d.h. es wird eine Verbindung auf Port 8085 zum eigenen Rechner hergestellt. Nach dem gleichen Prinzip kann man konspire2b auch auf einem entfernten System laufen lassen und von anderswo bedienen: praktisch. In gewisser Weise fühlt man sich nach dem Start an erste Gnutella-Erlebnisse erinnert: Was bitte ist ein "Catcher"? Was sind Subscriptions und Channels?
Tatsächlich hat konspire2b einiges mit Gnutella gemeinsam. Es handelt sich um ein dezentrales Netz, in dem sogenannte "Pre-Broadcasts" ausgetauscht werden. Das sind Vorankündigungen für Dateien, die demnächst durch das Netz gejagt werden sollen. Wer so eine Vorankündigung empfängt (über den "Catcher"), kann den Kanal, in dem die Datei gesendet wird ("Channel") abonnieren ("subscribe"). Die eigentliche Datei wird zunächst vom ursprünglichen Sender an dessen unmittelbare Nachbarn im Netz verschickt, die sie haben möchten. Diese Nachbarn suchen nun nach weiteren Rechnern, die an der entsprechenden Datei Interesse haben, bis schließlich die "Time to live" des Broadcasts überschritten ist und keine weiteren Empfänger ("sinks", d.h. "Senken" genannt) vorhanden sind. Im Regelfall wird innerhalb eines gewissen zeitlichen Abstandes das Ganze wiederholt.
Ein ähnliches Prinzip findet im Gnutella-Netz für den Versand der Suchanfragen Verwendung. Es ermöglicht eine rasante Ausbreitung von Informationen innerhalb des Netzes. Bei Berechnungen und Simulationen hat Rohrer festgestellt, dass die Ausbreitungsdauer mit der Zahl der Rezipienten nahezu logarithmisch ansteigt, was in der Informatik ein sehr gutes Ergebnis ist: Selbst Millionen von Empfängern können theoretisch innerhalb kurzer Zeit mit einer Datei versorgt werden.
Konspire2b-Kanäle sind kryptographisch gesichert. Jeder Kanal ist mit einem privaten und einem öffentlichen Schlüssel versehen. Der private Schlüssel ermöglicht es dem Eigner, in dem entsprechenden Kanal Dateien zu verschicken; der öffentliche Schlüssel gestattet den Empfang. Ähnlich werden seit Jahren z.B. via GPG Emails verschlüsselt. Hier wird es weitergedacht: Möchte man mit mehreren Bekannten einen Kanal betreiben, so schickt man diesen einfach den entsprechenden privaten Schlüssel (im konspire2b-Jargon "sender key" genannt).
Da niemand außer dem Schlüsseleigner Dateien über einen Kanal verschicken kann, ist Spamming sehr schwer. Hat man versehentlich einen Kanal abonniert, in dem unerwünschte Dateien versandt werden, bestellt man ihn einfach wieder ab. Wie aber findet man interessante Kanäle? Zunächst einmal kann man einfach täglich in den "Catcher" hineinschauen und dort nach interessanten Pre-Broadcasts suchen. Darüber hinaus können innerhalb eines Kanals Empfehlungen ("Recommendations") verschickt werden. Es gibt eigene Recommendation-Channels, die nur auf andere Kanäle verweisen, vergleichbar mit Link-Verzeichnissen wie Yahoo!. Natürlich lässt sich auch auf Websites ein bestimmter Channel bewerben, oder der Empfänger-Schlüssel kann per Email ausgetauscht werden. Auch rein private Channels sind so möglich.
Die Gesamt-Skalierbarkeit des Systems muss erst noch praktisch unter Beweis gestellt werden. Nach zweimaliger Ankündigung auf Slashdot scheint konspire2b auch größeren Benutzerzahlen noch Stand zu halten. Doch die vielen verschickten Pre-Broadcasts scheinen das Netz bereits jetzt zu beeinträchtigen. Innerhalb von Minuten häufen sich Tausender solcher Ankündigungen an. Das hilft zwar beim Suchen nach Dateien, verbraucht aber auch wertvolle Bandbreite.
Bürgerwelle
Illegale Dateien sind bei K2B nicht unbedingt in der Mehrzahl. Die Website mp3jackpot.com, die frei und legal verfügbare MP3-Dateien auswählt und bewertet, betreibt zum Beispiel einen eigenen K2B-Kanal, und alte Hits aus den dreißiger Jahren gibt es im Channel "Publicdomain4u". Mitschnitte der linken Radiosendung Democracy Now! des Senders Pacifica findet man im gleichnamigen Kanal, und im Channel "Infowars" wird ein kritisches Video über den 11. September versprochen, das alle 6 Stunden ausgestrahlt wird. "otr" verbreitet MP3s eines Propaganda-Hörspiels aus den 40ern namens "Thus rides the Fifth Horseman", darin geht es um atomaren Terror. Weniger legale MP3-Channels existieren natürlich auch, doch auch hier dominiert nicht Mainstream, sondern man findet gleichberechtigt Kanäle für Punk, Electronic, 80er-Jahre-Musik und Heavy Metal. Dass auch Porno-Kanäle in großer Zahl existieren, bedarf wohl kaum der Erwähnung.
Ob in den Kanälen auch tatsächlich etwas ausgestrahlt wird, hängt vom jeweiligen Betreiber ab. Wenn man die Ankündigung für einen Channel empfangen hat, stehen die Chancen gut, dass die Dateien bald folgen. Wer ein gutes Dutzend Abonnements aufgegeben hat, kann getrost den Rechner laufen lassen und am nächsten Tag auf prall gefüllte Verzeichnisse hoffen. Damit ist es komfortabel möglich, das P2P-Netz für die Entdeckung neuer Musik zu nutzen, anstatt immer nach bekannten Stichwörtern zu suchen. Ein dezentraler, anonymer Radio-, Fernseh- und Software-Sender also, dessen werbefreie Inhalte auf Vorrat gespeichert werden.
Dabei könnte konspire2b erst der Anfang sein. Noch sind Bewertungs- und Empfehlungssysteme nicht ausgereift, und die Bandbreiten-Ausnutzung hängt immer davon ab, wer zu einem gewissen Zeitpunkt sendet. Zukünftige Broadcasting-Systeme könnten mit dem Lösch- und Klickverhalten des Nutzers dazu lernen und automatisch ständig so viele Dateien anhäufen wie möglich. Ein Internetsystem der Zukunft, auf dem solche Software läuft, müsste nur eingeschaltet werden und würde sofort anfangen, Megabytes auf die Festplatte zu ziehen. Tatsächlich stellt sich aber bereits bei der heutigen Bandbreite die Frage, welche der Dateien man sich anschauen bzw. anhören möchte. Der Austausch von Bewertungsinformationen wird also in Zukunft immer wichtiger werden.