"Versteckt, verpackt, verhüllt natürlich."
Der Iran könnte am ehesten aus der hinter der Ideologie der "Achse des Bösen" stehenden Dichotomie ausbrechen, ein Iran-Boom ist bereits im Westen zu verzeichnen
Spätestens seit dem der Krieg gegen den Terror eingeläutet wurde, ist eine Neue Weltordnung im Gespräch. Die "Achse des Bösen" fungiert in diesem Zusammenhang als Spiegelachse des neuen Weltbildes: dort die versteinerten Despotenreiche, hier die dynamischen Turbo-Demokratien. Der Iran scheint unter den Ländern, die der "Achse des Bösen" zugerechnet werden, das größte Potential zu haben, diese dichotome Logik auszuhebeln.
Von der neuen Weltordnung ist seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges immer wieder die Rede gewesen. Das Ende der Kolonialepoche (1975) hat diesen Diskurs genauso wieder belebt wie der Zusammenbruch des Ostblocks (1989). Nun hat die Rede von der New World Order nach den Anschlägen auf das WTC und das Pentagon (2001) und dann, nur kurze Zeit später, nach dem Denkmalsturz von Bagdad (2003) ein weiteres Mal neuen Nährboden erhalten. Ein Weltbild ist im Zuge dessen im Entstehen begriffen, das die groben Einteilungen längst ad acta gelegt hat und zerfallen ist in Zonen, über die ein Ausnahmezustand verhängt worden ist. So zahllos sind diese Zonen und so in miteinander verflochten, dass von einem globalen Ausnahmezustand gesprochen werden kann.
Verbildlichungen dieses Zustands lassen geopolitische Elemente als fluide Quecksilbermassen erscheinen, die willkürlich auf dem digitalen Reißbrett zusammengesetzt werden können oder auch als in Rotation begriffene und ineinander gleitende Kontinente, die in einem tektonischen Gleit- und Fusionsspektakel begriffen sind, wie man es vielleicht von Wetterkarten kennt. Es handelt sich hier um Weltbild, das einen Aufbruch suggeriert. Einen Aufbruch, der sich im Weltmaßstab und in Lichtgeschwindigkeit vollzieht - passend dazu heißt es, Bush habe mit seiner aggressiven Außenpolitik den Lauf der Geschichte um ein Vielfaches beschleunigt. Dieses dynamische Weltbild konstituiert sich über ein systemimmanentes Außen: statische Bausteine im geopolitischen Sandkasten, die sich gegen den omnipräsenten Wandel zu stellen scheinen.
Diese Elemente werden als das klassisch Andere festgeschrieben. Die Bilder, die von ihnen kursieren, markieren ihre Zugehörigkeit zu einer Zeit: Sie werden als unterentwickelt und als Hunderte von Jahren im Rückstand dargestellt. Über diese Bilder der Statik konstituiert sich nicht nur die Vorstellung von der rasanten Weltveränderung, diese Bilder legitimieren auch die Mittel, die dieser Tage herangezogen werden, um Veränderungen herbeizuführen. Wie der britische Diplomat Robert Cooper, der persönlicher außenpolitischer Berater Tony Blairs war und kürzlich auf einen Posten im Außenministerium gewechselt ist, es auf den Punkt brachte:
Wenn man es mit altmodischeren Systemen außerhalb des postmodernen Kontinents Europa zu tun bekommt, müssen wir auf die raueren Methoden einer früheren Ära zurückgreifen: Gewalt, Präventivschläge, Betrug und was immer notwendig wird, um mit denen, die noch immer im 19. Jahrhundert leben, zurecht zu kommen. Innerhalb der postmodernen Welt halten sich alle beteiligten Akteure an das Gesetz, doch wenn man den Operationsradius in den Dschungel verlegt, dann gelten auch die Gesetzte des Dschungels.
Wer auf die Funktion der Feindbilder eingeht, muss im nächsten Atemzug darauf hinweisen, dass sie systematisch ausblenden, was in den Ländern, die das systemimmanente Außen der Neuen Weltordnung konstituieren, tatsächlich vor sich geht. Der Iran scheint prädestiniert, diese dichotome Logik aufzubrechen, weil das oft als geschlossenes System dargestellte Land in vielerlei Hinsicht hochdynamisch und weltoffen ist. Die Widersprüche der Theokratie haben jedenfalls zahlreiche soziale und kulturelle Bewegungen entstehen lassen, die wiederum von den vielen im Exil lebenden Iranern beobachtet, kommentiert und kritisiert werden.
Der in Deutschland lebende Intellektuelle Bahman Nirumand verweist beispielsweise darauf, dass die sozialen Bewegungen im Iran seit gut 10 Jahren im Wachstum begriffenen sind. Es seien Reformbewegungen, die er als durchaus substantiell einstuft. Man habe, so Nirumand, längst begonnen, sich intensiv und sehr kritisch mit der eigenen Geschichte, der Gesellschaft, Religion und Staatsform zu beschäftigen. Diese intensive Auseinandersetzung führe zu einem wachsenden politischen und kritischen Bewusstsein, das den Kern der Reformbewegung ausmacht.
Auf den florierenden Kulturbetrieb des Landes wird ebenfalls verwiesen. Filmemacher, Künstler und Schriftsteller arbeiten mit sehr zeitgemäßen Mitteln in sehr zeitgemäßen Strukturen. Das ist auch Kuratoren in Deutschland aufgefallen und so sind in den letzten zwei Jahren verstärkt Bemühungen zu beobachten gewesen, die iranische Kultur nach Deutschland zu importieren. Filmfestivals (Kabul/Teheran), Konferenzen, Ausstellungen, Konzerte und vieles mehr. Initiativen, die einen Aufklärungscharakter haben, jedoch auch einen ganz besonderen Anspruch erheben: Weil das Bild der versteinerten Theokratie so schwer wiegt, können sich die meisten als Entdecker fühlen. Und Entdeckungen, das war schon immer so, werden in der Öffentlichkeit mit Paukenschlag und Trompete präsentiert. Im Handumdrehen hat so ein Iran-Boom Gestalt angenommen. In Berlin beginnt beispielsweise im Haus der Kulturen am 19. März die Veranstaltung Entfernte Nähe, die, angeblich zum ersten Mal in Deutschland, "einen ausführlichen Überblick über die aktuellen Positionen von Künstlern iranischer Abstammung gibt, die zwischen Teheran, London, Paris, Berlin und den Metropolen der USA arbeiten".
Besonders bezeichnend für die Entwicklung ist die aktuelle Ausgabe von ballet tanz international. Das führende Tanzmagazin Europas, wie sich das Magazin selbst nennt, widmet sich im März dem Phänomen Tanz in der islamischen Welt. Eine Frau mit Kopftuch ist auf dem Cover zu sehen, was den Entdeckeransatz auf den Punkt bringt. Im Westen hat sich schließlich die Meinung durchgesetzt, dass der Orient überzogen ist von einer Diktatur der Scham, wofür das Kopftuch quasi symbolisch einsteht: ein Zeichen für körperfeindlichen Fanatismus. Es heißt sogar, der Tanz sei im Orient verboten, weil er unzüchtige Gedanken erzeugt. Die Redaktion von ballet tanz international will eines Besseren belehren. Tanz als emanzipatorische Ausdrucksform des Körpers sei im Iran nicht nur von besonders existentieller Notwendigkeit, nein, er ist im Iran weit verbreitet: "Versteckt, verpackt, verhüllt natürlich."
Es sind Zweifel angebracht, ob solche Blicke hinter den Vorgang, das kursierende Bild vom Iran tatsächlich revidieren können. Schließlich orientieren sich diese Blicke sehr stark an dem bestehenden Bild, begreifen es als Ausgangs- ja, als Fixpunkt - festigen sie damit nicht dessen Position? Stärken sie damit nicht dessen Logik? Woran kein Zweifel bestehen dürfte, ist, dass diese Blicke hinter den Vorhang, das kursierende Bild von der versteinerten Theokratie entstauben werden und damit einer Vorstellung von dem Land Aufschub leisten, die statt unüberbrückbarer Unterschiede, Gemeinsamkeiten betont.