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Verstehen Frauen Aliens besser?

© Sony Pictures Releasing GmbH

Sie kommen, reden wir mit ihnen! - Denis Villeneuves aufregender Science-Fiction "Arrival" versucht Sprachspiele mit Außerirdischen

Die Begegnung mit fremden Leben aus dem Weltraum - in Literatur und Wissenschaft sind Spekulationen dieser Art bereits seit der Antike üblich. Gerade im Kino hat man in den letzten hundert Jahren schon oft gesehen, dass Außerirdische auf der Erde landen. Selten aber trägt diese Phantasie friedliche, konstruktive Züge. Einen Gegenentwurf zum "Krieg der Welten" und den vielen Kino-Invasionen vom Mars bildet jetzt Arrival [1].

In dem ungewöhnlichen Science-Fiction-Film des Franco-Kanadiers Denis Villeneuve sind keine Soldaten, Piloten oder tapfere US-Präsidenten die Helden, sondern eine Sprachwissenschaftlerin. Denn wenn die "Aliens" einmal gelandet sind, ist die wichtigste Frage: Wie nimmt man mit ihnen Kontakt auf? Wie kommuniziert man mit ihnen, und findet heraus: Was wollen sie? Wo kommen sie her? Und was passiert überhaupt, wenn wir erstmal Kontakt haben?

"Arrival" ist ein intelligenter, anspielungsreicher und in gewisser Weise ganz hinreißender Science-Fiction-Film. Ein Film über den Kitzel der Fremdheit, um das Moment der Erhabenheit angesichts der Begegnung mit dem Unbekannten.

Eine Sprache vorstellen heißt, sich eine Lebensform vorstellen.

Wittgenstein

Eines Tages ändert sich alles: "More Objects like this have landed around the world!" tönt es in den Sondermeldungen der Nachrichtenkanäle. In merkwürdigen Objekten, die irgendwie an gigantische Kegelstangen oder auch graumetallene Wassertropfen erinnern, aber auch ein bisschen an die Eier aus Ridley Scotts "Alien", sind die Außerirdischen auf der Erde gelandet, an zwölf Orten gleichzeitig. Sie verlassen aber ihre Raumschiffe nicht. Die Reaktionen überschlagen sich, die Armeen sind in Alarmbereitschaft, die Menschheit rotiert. Was tun?

"Arrival" beginnt ziemlich cool. Villeneuve, der kommende Big Shot Hollywoods, zeigt zunächst einmal das System bei der Arbeit - und in der Überforderung angesichts der ungekannten Herausforderung. Düsenjäger brettern aufgeregt hin und her über den Städten, niedrig wie beim leider missglückten Türkei-Putsch; man sieht Menschen-Massen zu den Landeplätzen eilen, um dort ein Woodstock der erfüllten Transzendenz-Erwartung, oder auch des Weltuntergangs zu feiern; Soldaten errichten um diese Landegebiete Sperrbezirke: alles sehr gute plausible Bilder.

Kangaroo - Sprache ist die erste Waffe

Zeitgleich begegnet man Louise Banks, einer Top-Sprachwissenschaftlerin und Übersetzungsexpertin der Höchstklasse. Vor ihren Studenten erzählt sie eine Geschichte vom mittelalterlichen Königreich Galizien, in dem Sprache nicht nur Form der Kommunikation, sondern auch eine Kunstform gewesen sei.

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Bald darauf wird sie von der Regierung gerufen, um mit den fremden Wesen zu kommunizieren. "We need answers as soon as possible. What do they want? How did they get here?" Als sie argumentiert, sie brauche dafür Zeit, drängeln die Militärs: "I have a room full of people whose first and last question is: Can this be used against us?"

Dieses Wortgefecht gewinnt sie noch, indem sie lauf ausruft: "Kangeroo!" - "What do you mean?" Sie behauptet, das Wort bedeute: "I don't understand." Der Soldat antwortet: "Remember what happened to the Aboriginees? But I got the point." Später offenbart sie dann: "Story is not true, but made my point clear."

Es ist interessant, wie der Film zunächst zeigt, wie sich der Sicherheits-Apparat ihrer bemächtigt. Wie die Ärzte in solchen Situationen das Kommando übernehmen: Bluttest, Medikamente, Schutz-Kleidung.

Dann geht sie mit ein paar Kollegen in das fremde Raumschiff hinein, bewegt sich gewissermaßen jenseits der Schwerkraft. Sie tragen Schutzanzüge, bringen einen immensen Technik-Apparat mit - und einen kleinen Kanarienvogel in einem Käfig. Warum, das fragten sich manche Kinogänger bei der Filmpremiere beim Festival in Venedig.

Keineswegs um zu erklären, wo oben und unten sind, wenn es keine drei Dimensionen mehr gibt. Sondern aus dem gleichen Grund, wie einst die Bergleute unter Tage: Um vor Schlagwetter zu warnen, vor Atmosphärenstürzen und giftigen Dämpfen.

Die Grenzen unserer Sprache sind die Grenzen unserer Welt

Dies ist ein Science-Fiction ohne Action, der eher an Steven Spielbergs poetisch-esoterische "Unheimliche Begegnung der Dritten Art" erinnert als an Roland Emmerichs bombastische Zerstörungsorgien und Mars-Attaken.

Louise begreift bald, dass unser menschliches Denken zu linear ist, dass die Alien-Sprache Sätze ohne Anfang und Ende formuliert, Sätze außerhalb der Zeitordnung.

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Sprache, sagt die Heldin einmal, sei nicht nur eine Form der Kommunikation, sondern auch eine Kunstform. Und Sprache sei die "erste Waffe". Der Satz des Sprach-Philosophen Ludwig Wittgenstein, dass die Grenzen unserer Sprache die Grenzen unserer Welt seien, gilt in beide Richtungen - die Verständigung gelingt, und so kommt es nach dem ersten Kontakt zu überraschenden Folgen, die wir hier nicht verraten wollen.

Wichtiger ist, wie der Film das Sensationelle einer solchen Begegnung, wenn sie denn eines Tages stattfände, spürbar macht, wie er die Hilflosigkeit der Menschen zeigt, wie er erkennen lässt, dass ein solcher Tag einfach alles verändern würde. Und dass zugleich das Leben seinen Gang ginge.

Was würde eigentlich passieren, wenn wir Kontakt zu Außerirdischen hätten? Es wäre dies eine revolutionäre Situation, die uns vor unglaubliche Probleme stellen würde. In seinem Film "The Visit" [2] hat der dänische Regisseur Michael Madsen sie erste Begegnung des Menschen mit intelligentem Leben aus dem All "dokumentiert", ein Ereignis das bisher nicht stattgefunden hat.

Madsen fragte bei UNO (Büro für Weltraumfragen), NASA, Astrophysikern und dem Militär nach, bei Experten der ISU (International Space University) sowie der SETI (Search for Extraterrestrial Intelligence), spielte Möglichkeiten eines Erstkontakts durch und entwarf Szenarien.

Wittgensteins Nichte und das grundlegend Ambivalente unseres Daseins

"Arrival" ist ein Film über das grundlegend Ambivalente des Daseins, um Perspektivverschiebungen und weiche Erschütterungen. Eine bedrückend schöne Meditation der Langsamkeit, in verschwommenen, kontrastarmen Stimmungslagen und in Zeitlupe eingefangenen Impressionen. Die Aliens in diesem Film sind sehr sehr langsam, oder sagen wir es unumwunden: saulahmarschig in ihrer Bewegung. Analog dazu ist die Musik langsam, schwebend, ziehend, fließend.

Visuell erinnern diese Außerirdischen an Kraken mit Armen in Form eines Seesterns und Tintenfisch-Tinte zum Schreiben. Schwerkraft kennen sie nicht, aber sie kennen das Tausch-Prinzip: "We help humanity. In 3.000 years we need humanitys help." Auch unter Aliens gilt also die Basis des amerikanischen Kapitalismus: "We've got a deal?"

Der Schlüssel dazu ist die Linguistin Louise, Wittgensteins Nichte. Warum? nicht nur als Expertin, sondern auch aus Empathie. Frauen verstehen Aliens besser, so darf man vermuten, weil sie ja auch [3] Außenseiter [4] sind.

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Dies ist zudem ein glanzvoller Auftritt der Hauptdarstellerin Amy Adams [5], einem Hollywood-Star [6], der leider immer etwas unterschätzt wird, weil sie zwar gut aussieht, aber nicht perfekt den Model-Normen der Filmindustrie entspricht und etwas zu intelligent ist für das gewünschte Talk-Show- und Gala-Smalltalk-Geblubber.

Um so aufregender, sie hier als sensible Wissenschaftlerin zu erleben. Und als eine, die in die Zukunft gucken kann: "I know something, what's gonna happen. And I know a non-linear, universal language." Esperanto für Aliens.

Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen

Es sind spannende mitunter höchst beunruhigende Fragen, die Villeneuve aufwirft. Der Franco-Kanadier portraitiert in seinen Filmen immer wieder gern Frauen in Männerwelten. Diesmal beweist er mit einem faszinierenden Gedankenspiel, das nur von fern an die Kurzgeschichten-Vorlage "Story of Your Life" von Ted Chiang erinnert, dass wir von Villeneuve noch anderes zu erwarten haben: Philosophische Tiefe, unkonventionelle und erfrischende Reflexionen in einem magischen, soghaften Stil, voller Geschmack und Zurückhaltung, Sinn fürs Mysteriöse mit visueller Opulenz, das Intime mit dem Epischen verbindend.

Alles hat hier eine zweite, mitunter auch ein wenig (im besten Sinne) esoterische Bedeutung. So lautet der Name von Louises Tochter etwa Hannah, weil dies ein Palindrom ist - also ein Wort, das von beiden Seiten gelesen werden kann.

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Palindromisch ist auch die Erzählstruktur dieses Films. Ein wenig wirkt "Arrival" daher gelegentlich wie ein - allerdings überaus kurzweiliges - linguistisches Proseminar. Doch dies ist definitiv Kino!

Und zwar ästhetisch herausragendes, inhaltlich herausforderndes Kino, das uns etwas sagen will, und auch etwas zu sagen hat. Hinter diesem Film tut sich ein humanistisches Plädoyer für universale Verständigung auf, das sich perfekt auf unsere eigenen gegenwärtigen gesellschaftlichen Kommunikationsprobleme, sei es mit Moslems, mit Flüchtlingen, mit Amerikaner oder sogar mit bayerischen Politikern übertragen lässt.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3505008

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.arrivalmovie.com/
[2] https://www.youtube.com/watch?v=EkGG-L0wuVw
[3] https://www.perlentaucher.de/buch/hans-mayer/hans-mayer-aussenseiter.html
[4] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41458190.html
[5] http://www.vulture.com/2016/08/amy-adams-arrival-nocturnal-animals-c-v-r.html
[6] http://www.salon.com/2016/11/07/the-evolution-of-amy-adams-on-view-in-arrival-nocturnal/