Viel Rauch um nichts?
Das Martyrium eines Marihuana-Apostels
Vielen ehemaligen Marihuana-Rauchern, die mittlerweile in ehrwürdigen Berufen angekommen sind, mag er entweder als nostalgische Jugenderinnerung oder aber als albtraumartiger Wiedergänger erscheinen: Tommy Chong, der große, dürre und naive Althippie aus humoristischen Kassenschlagern wie "Up In Smoke" (1978), "Cheech and Chong's Next Movie" (1980) oder "Still Smokin'" (1983).
Der 65-jährige kanadische Komiker mit chinesischen, französischen, schottischen und irischen Wurzeln verstand es, sein Kiffer- und Hippie-Image auch für die Zeit nach seinen großen Kino-Erfolgen der 70er und 80er-Jahre zu nutzen. Er stieg unter dem Firmennamen "Tommy Chong Glass" in das Glas- und Wasserpfeifengeschäft ein. Während seine filmischen Begegnungen mit der Polizei, personifiziert durch Sergeant Stadanko, nur das Zwerchfell strapazierten, dürften ihm seine jüngsten Erfahrungen mit der harten Realität eher an die Nieren gehen.
In einem Interview mit dem Magazin Los Angeles CityBeat erzählte Chong im Dezember, wie Agenten der amerikanischen Rauschgiftbekämpfungsbehörde DEA morgens um halb sechs ausgerüstet mit automatischen Waffen und Laserzielgeräten seine Haustür eintraten und ihn und seine Frau aus den Träumen rissen. Der Hintergrund dieser Polizei-Aktion mit Codenamen Operation Pipe Dreams ist die seit dem 11. September 2001 zunehmend geäußerte Gleichsetzung des Marihuana-Gebrauchs mit der Unterstützung des Terrorismus.
People selling drug paraphernalia are in essence no different than drug dealers. They are as much a part of drug trafficking as silencers are a part of criminal homicide.
John B. Brown, DEA Acting Administrator
Während die meisten Beschuldigten mit Geldbußen davon kamen, erhielt Tommy Chong mit neuen Monaten Haft und einer Geldstrafe von 20.000 US$ die härteste Strafe, ungeachtet der Tatsache, dass die Anstoß erregende Firma Nice Dreams Enterprises tatsächlich von Chongs Sohn Paris geleitet wird. Seit dem 8. Oktober sitzt Chong nun seine Haftstrafe ab und kann erst im Juli mit seiner Entlassung rechnen, denn ein Antrag auf vorzeitige Entlassung wurde abgelehnt. Die Staatsanwältin warf ihm vor, dass er durch "Verklärung des Drogenkonsums und Trivialisierung der Strafverfolgung in seinen Filmen aus den 70er und 80er Jahren seinen Wohlstand erworben" habe. Die Filme wurden von ihm für seinen Katalog und seine kommerzielle Website verwendet.
Mary Houghton said Chong grew wealthy glamorizing drug use and trivializing law enforcement in his films of the late 1970s and early '80s. Houghton also said Chong used the movie persona to promote his catalog and Internet business.
Seit einigen Wochen regt sich im Internet der zivile Widerstand. Auf Webseiten wie freetommychong.net oder freetommychong.org finden sich sowohl emotionale Solidaritätserklärungen mit Tommy Chong - "Hang in there, Tommy!" - als auch politische Erklärungsversuche, die bisweilen ihre Neigung zu Verschwörungstheorien nicht verbergen können. So wird etwa die ungleiche Rechtsprechung angeprangert, die einen harmlosen Komiker dafür ins Gefängnis steckt, dass er Geräte verkauft, die potentiell für den Drogengebrauch geeignet sind, während in Supermärkten Artikel wie Pfeifenreiniger oder Zigarettenpapier frei verkauft werden dürfen. Oder aber der fotografische Nachweis des angeblichen Drogenkonsums des - bislang straffrei gebliebenen - kalifornischen Gouverneurs Schwarzenegger wird für die Verteidigung von Tommy Chong aufgeführt. Auch die Versorgung der kiffer- und bürgerrechtsbewegten Gemeinschaft durch Solidaritätsartikel wie etwa Aufkleber, Mousepads, Baseballcaps, T-Shirts oder Kaffeetassen ist angelaufen.
Nun beginnen auch die größere Medien wie Wired News diese Affäre aufzunehmen und damit global zu verbreiten. Das Fazit scheint hier auf eine Vermischung von Kunst und Wirklichkeit oder Film und Leben hinauszulaufen. Diese Grenzverwischung zwischen medialer und realer Wirklichkeit identifiziert einerseits den schuldigen. aber unverfolgten Chong des Films mit dem unschuldig verfolgten Chong der Realität. Genau dasselbe Muster wird andererseits dazu verwendet, um Arnold Schwarzenegger als amtierenden Terminator darstellen zu können.
So weist diese Angelegenheit eindringlich darauf hin, wie prekär die Grenzziehung zwischen Medium und Realität ist, da nicht nur ein auffällig abweichendes Verhalten in der wirklichen Welt die Gefahr einer Verfilmung oder Verschriftlichung in sich trägt, sondern auch ein Kinoauftritt immer das Risiko mit sich bringen kann, sich auch in der wirklichen Welt dafür verantworten zu müssen. "Was wir über die Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben wissen, wissen wir durch die Massenmedien." Aus Niklas Luhmanns Einleitung in seine "Realität der Massenmedien" folgt eben auch: dass gerade mit dieser Verdopplung der Unterschied zwischen den beiden Welten verschwindet und folglich auch nicht mehr in den Massenmedien selbst festgestellt werden kann. Insofern also: Nur viel Rauch um nichts?