Viel beschäftigte Politiker
Worauf es jetzt in der Debatte über Nebentätigkeiten von Politikern ankommt
Im verabschiedeten 15. Bundestag waren 105 Aktiengesellschaften privilegiert, indem 70 Abgeordnete bei ihnen in Aufsichtsräten oder Kuratorien saßen. 51 dieser Abgeordneten vertreten auch im 16. Bundestag wieder die Interessen ihrer Wähler. Die für Herbst erwartete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, ob die verschärften Veröffentlichungspflichten für Abgeordnete umgesetzt werden, wird zeigen, ob die Wähler auch von den amtierenden Abgeordneten wieder erfahren dürfen, welche Interessen sie noch vertreten. Derweil beginnt eine öffentliche Debatte über die Vereinbarkeit von Nebentätigkeiten und Mandaten von Politikern, die aber bislang noch von Wirtschaftsseite bestimmt wird.
Friedrich Merz (CDU) ist ein viel beschäftigter Mann. Neben seinem Sitz im Bundestag hatte er 2005 noch jeweils einen Sitz in den Beiräten der AXA Konzern AG, der Commerzbank AG, der Deutschen Börse AG und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young AG. Außerdem war er Aufsichtsrat bei der AXA Versicherung AG und der Interseroh AG zur Verwertung von Sekundärrohstoffen und Verwaltungsrat bei der BASF AG Antwerpen. Es folgten Nebentätigkeiten für weitere Unternehmen, Vereine und Stiftungen.
Dass die Ausübung des Mandats „im Mittelpunkt der Tätigkeit eines Mitglieds des Bundestages“ steht und „Tätigkeiten vor Übernahme des Mandats sowie Tätigkeiten und Einkünfte neben dem Mandat, die auf für die Ausübung des Mandats bedeutsame Interessenverknüpfungen hinweisen können“, zu veröffentlichen sind, so will es § 44a des Abgeordnetengesetzes dagegen klagt Merz zurzeit vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Auch Max Straubinger (CSU) klagt gegen die Veröffentlichung seiner Nebentätigkeiten und -einkünfte. Er war im letzten Jahr Generalvertreter der Allianz-Versicherung. Die Abgeordneten Heinrich Kolb, Sibylle Laurischk, Hans-Joachim Otto (alle FDP) und Peter Danckert (SPD) haben gemeinsam eine entsprechende Klage eingereicht. Kolb sitzt im Beirat des Gothaer Konzerns, Danckert im Aufsichtsrat der Marseille-Kliniken AG. Auch Laurischk und Otto sind mit Kapitalgesellschaften verbunden.
Vor diesem Hintergrund ist die derzeitige Debatte über die Vereinbarkeit von Nebentätigkeiten und Mandaten von Politikern zu sehen. Auslöser dieser war eine Diskussion im Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), woraufhin der Abgeordnete Norbert Röttgen (CDU) auf das Amt des BDI-Hauptgeschäftsführers verzichtete. Die ehemaligen BDI-Präsidenten Hans-Olaf Henkel und Michael Rogowski hatten ihn praktisch dazu aufgefordert. (Kein Schmusekurs mit der Regierung). Nach Röttgen setzte unter anderen die FDP den Abgeordneten Reinhard Göhner (CDU) auf die Medienagenda. Dieser ist Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). „Herrn Röttgens Niederlage ist eine Warnung an alle hauptamtlichen Verbandsfunktionäre im Deutschen Bundestag“, sagte FDP-Generalsekretär Dirk Niebel. FDP-Vize Rainer Brüderle bezeichnete Göhners Mitgliedschaft im Wirtschaftsausschuss gegenüber der B.Z. als unvereinbar mit der Position im Arbeitgeberverband.
Warum aber sollte die Diskussion auf Verbände und Gewerkschaften begrenzt bleiben? Sind Aktiengesellschaften, deren oberstes Ziel die Profitmaximierung ist, mit dem Bundestagsmandat vereinbar?
Die FDP-Spitze ist stark mit dem Finanzsektor verknüpft. FDP-Chef Guido Westerwelle war 2005 im Beirat der Hamburg-Mannheimer Versicherung AG und hielt zwischen Oktober 2003 und Oktober 2005 sieben Vorträge bei Aktiengesellschaften. Rainer Brüderle sitzt im Beirat der Deutschen Bank AG und im Aufsichtsrat der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft IVA Valuation & Advisory AG.
Worauf es jetzt in der Debatte über Nebentätigkeiten von Politikern ankommt
Wenn die Debatte über symbolische Politik, bei der das tatsächliche Handeln unter einem Mantel schöner Worte verdeckt wird, hinausgehen soll, muss klar sein, worum es geht.
BDA-Geschäftsführer Göhner hatte laut eigenen Angaben in der Financial Times Deutschland im letzten Jahr keinen Interessenskonflikt im Bundestag, obwohl er gleichzeitig in der AXA Konzern AG im Beirat und der CENTCONSULT AG und der CSC Ploenzke AG im Aufsichtsrat saß.
Nebentätigkeiten können notwendig sein: In der Duales System Deutschland (DSD) AG saßen 2005 die Abgeordneten Petra Bierwirth (SPD), Steffen Kampeter (CDU) und Franz Obermeier (CSU) im Kuratorium. Die DSD AG ist ein politisch gewolltes Monopol und braucht politische Kontrolle.
Gleiches gilt für die Deutsche Bahn AG. Dort sitzt heute der Bundestagsabgeordnete Georg Brunnhuber (CDU) im Aufsichtsrat. Aufsichtsratvorsitzender ist der Vorstandsvorsitzende der Ruhrkohle AG (RAG) und erste Wirtschaftsminister von Gerhard Schröder, Werner Müller (Politiker a.D. in ihren neuen Jobs). Statt einer Neiddebatte über die Höhe von Diäten und Nebeneinkünften braucht es eine Strukturdebatte, wie und wo Entscheidungen zustande kommen.
Mit diesem Blickwinkel wird ersichtlich, wie z.B. Merz mit der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft zusammenarbeitet, die der Öffentlichkeit eine Reformdebatte aufzwingt, von deren Folgen letztendlich die Unternehmen profitieren, die Leute wie Merz vertreten (Think Tanks sollen Stimmung schaffen und lassen die Grenze zwischen PR und Journalismus verschwimmen).
Transparenz aller Nebentätigkeiten und deren Honorierung ist daher das oberste Gebot. Nach Bekanntmachung der Klagen der sechs Abgeordneten hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) im März beschlossen, „die Angaben der Bundestagsabgeordneten über ihre Einkünfte vorerst nicht [zu] veröffentlichen“ (Geheimsache Nebeneinkünfte). Der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim hatte daraufhin dem Münchner Merkur gesagt, dieses stelle „die Ankündigung eines offenen Gesetzesbruchs dar“.
Ein Sprecher des Bundestags hat nun bestätigt, dass bis zur Urteilssprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur die Veröffentlichung von Angaben über Nebeneinkünfte, sondern auch von Angaben über Nebentätigkeiten ausgesetzt wird. Die Daten mussten bis Ende März eingereicht werden. „Unabhängig davon gehen fortlaufend Ergänzungs- und Änderungsanzeigen der Abgeordneten ein und werden bearbeitet, so dass grundsätzlich ein veröffentlichungsfähiger Datenbestand gewährleistet bleibt“, teilt der Sprecher mit. Mit dem entscheidenden Urteil ist ab Herbst zu rechnen.