"Viele Bürger haben schlicht Angst vor weiteren Veränderungen"
Seite 2: "Spitzenkandidat der AfD ist glatt wie ein Stück Gummi und Rassist"
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Der Spitzenkandidat der AfD kommt im Land gut an. Ist Leif-Erik Holm ein politisches Talent?
Silke Gajek: Er ist glatt wie ein Stück Gummi. Holm wirkt zwar auf den ersten Blick moderat, genießt es aber, auf dem Podium neben Bernd Höcke und Frauke Petry zu stehen. Das ist eine klare Botschaft. Mich erinnert einiges an die Weimarer Republik. Es erschreckt mich, dass viele Bürger diesen Rattenfängern auf den Leim gehen. Haben wir denn aus der Geschichte nichts gelernt? Wir müssen dringend mehr in Bildung investieren, auch in eine Jugendarbeit, in der die Menschen ihren Kopf noch zum Denken einsetzen. Wir brauchen Brückenbauer - keine Spalter!
Ist Herr Holm aus Ihrer Sicht ein Rassist?
Silke Gajek: Die Übergänge bei ihm sind fließend. Bei einer Podiumsdiskussion der Ostsee-Zeitung hat er sich kürzlich selbst enttarnt. Da kamen derart viele sexistische, homophobe und fremdenfeindliche Aussagen - unglaublich! (überlegt) Ja, natürlich ist er ein Rassist! Wer rassistisch redet, den muss man auch so nennen, ganz klar. Holm beherrscht auch diese typischen AfD-Sätze à la "Die Politiker reden ja nur ...". Ich möchte den mal im Landtag sehen! Wenn er eine Rede hält! Das wird peinlich für den Mann.
Womit rechnen Sie?
Silke Gajek: Spätestens dann werden wir sein wahres Gesicht erkennen. Holm hat klar gesagt, er wolle gar nicht regieren, er sei schließlich kein Politprofi. Ja, was will er dann?! Pöbeln? Vielleicht hilft es ihm, dass er bei Frau von Storch eine Art Praktikum absolviert hat. Das Hetzen gegen Geflüchtete gehört ja zu deren Königsdisziplinen.
In Ihrem Wahlprogramm steht der Satz, sie wollten Abschiebungen unbedingt vermeiden. Frau Gajek, weshalb sollte ein Asylbewerber dessen Antrag abgelehnt wird, nicht zügig abgeschoben werden?
Silke Gajek: Da frage ich mich: Welche Definition haben wir von Humanität? 1994 wurde der Nachtabschiebestopp festgelegt; im vergangenen Jahr ist er ausgesetzt worden. Ich halte das für einen großen Fehler. Die exzessiven Nachtabschiebungen, die Innenminister Caffier medienwirksam inszeniert, sind eine Schande für Mecklenburg-Vorpommern. Es ist unerträglich, dass Familien nachts aus ihren Betten geholt werden, um sie schnellstmöglich in den nächsten Flieger zu setzen.
Das sei wichtig für das Vertrauen in die Politik und ihre Glaubwürdigkeit, sagt der Innenminister.
Silke Gajek: Herr Caffier sollte eher für eine Willkommenskultur werben. Wo sind denn hier im Land die kriminellen Asylbewerber, von denen immer gesprochen wird?! Die gibt es nicht. Caffier arbeitet nur ein Gesetz ab. Punkt.
Was spricht dagegen, ein Gesetz umzusetzen?
Silke Gajek: Wir fordern mehr Beratungsangebote für Asylbewerber, die das Land freiwillig wieder verlassen wollen. Und genau hier gibt es noch großen Nachholbedarf. Thüringen geht mit gutem Beispiel voran: Die leisten dort richtig gute Arbeit. Die Abschiebepolitik unserer Landesregierung dagegen ist nur eins: unmenschlich.
Ihr Parteikollege Boris Palmer (Oberbürgermeister Tübigens, Anm. d. Red.) geht beim Thema Abschiebungen sogar einen Schritt weiter als Herr Caffier. Er sprach sich kürzlich dafür aus, gewaltbereite syrische Asylbewerber notfalls auch in das Bürgerkriegsland zurückzuschicken.
Silke Gajek: Jeder kann seine Meinung haben. Wir sind ja tolerant. Klar ist aber auch: Manchmal ist es einfach besser, die Klappe zu halten. Boris Palmer hat offensichtlich einen extremen Selbstdarstellungsdrang. Wie die Parteispitze kritisiere auch ich seine Aussagen scharf. Fakt ist: Herr Palmer ist nur ein Bürgermeister. Wir sollten nicht bei jeder seiner Aussagen, so tun, als habe gerade der Bundespräsident gesprochen.
Weshalb sagen Sie vor der Wahl eigentlich nicht deutlich: Ich will Rot-Rot-Grün?
Silke Gajek: Darüber entscheiden die Wähler. Uns geht es um Inhalte. Selbstverständlich würden wir uns Koalitionsverhandlungen nicht verweigern. Aber kaufen lassen wir uns nicht.
Mit Verlaub, das sagen alle Spitzenkandidaten.
Silke Gajek: Ich will nicht drumherum reden: Natürlich ist es für mich als Bündnisgrüne schwierig, mit der Linkspartei zu koalieren. Die Frage des Unrechtsstaates DDR ist für mich weiter eine sehr, sehr wichtig. Ich komme aus der Bürgerbewegung, ich bin '89 gegen die DDR auf die Straße gegangen; gegen Bevormundung und Fremdbestimmung - und für: Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Wahlfreiheit. Rot-Rot-Grün in Thüringen hat es vorgemacht, sie haben den Unrechtsstaat in den Koalitionsvertrag geschrieben. Große Teile der Präambel drehen sich um die schonungslose Aufarbeitung der Alltagsdiktatur der DDR.
In welchen Politikfeldern müsste sich die SPD noch bewegen?
Silke Gajek: Wir brauchen keinen Landespapi, der irgendwelche Geschenke verteilt, sondern eine Politik auf Augenhöhe. Die Bürger sind mündig, wir haben es nicht mit Kindern zu tun. Die SPD hat viel zu lange über die Menschen hinweg regiert. Eine Fortsetzung dieses Kurses würden wir nicht mittragen.
"Wir sind zurzeit das demografische Labor Deutschlands. Und wir wollen nicht das Florida Deutschlands werden"
In welchen Punkten sind Sie nicht kompromissbereit?
Silke Gajek: Das Innenministerium arbeitet nur wenig mit anderen Ministerien zusammen. Auch deshalb fordern wir einen Integrationsbeauftragten, wie in Thüringen, um etwa zwischen Innen-, Sozial- und Bildungsministerium besser zu koordinieren. Das Thema ist viel zu wichtig, als dass man es einem Mann wie Herrn Caffier überlassen sollte. Es ist keine Sicherheits-, sondern ein Sozialaufgabe. Zudem stellt sich die Frage: Wie können wir die Kommunen besser unterstützen und zugleich die Haushaltskonsolidierung vorantreiben? Kürzungen im Sozialen sind mit uns definitiv nicht zu machen.
Bitte etwas konkreter.
Die Kommunen liegen am Boden, weil die Landesregierung sie im Stich gelassen hat. Sie durften zum Beispiel keine Kitas bauen. Die Folgen sind nun sichtbar. Und was sagt Herr Sellering? Es dürfe nicht sein, dass deutsche Kinder keinen Platz in der Kita kriegen, weil jetzt Flüchtlingskinder da seien. Solche Aussagen sind unerträglich. Es sind doch nicht die Flüchtlingskinder, die den deutschen die Kita-Plätze wegnehmen. Wenn die Landesregierung die Folgen ihrer verfehlten Sozialpolitik jetzt auf die Geflüchteten schiebt, ist das schlicht skandalös.
Auch hier gießt der Ministerpräsident wieder Öl ins Feuer. Aber bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich gehöre nicht zu denen, die das Land schlechtreden. Im Gegenteil. Ich bin hier geboren worden; ich bin Mecklenburgerin, ich will hier alt werden. Gerade deshalb sage ich aber auch: Ein Weiter so darf es nicht geben.
Was macht Sie zuversichtlich, dass Mecklenburg-Vorpommern in zehn Jahren besser dasteht als heute?
Silke Gajek: Wir müssen aus der Not eine Tugend machen, Stichwort Fachkräftemangel. Es muss unser Ziel sein, viele derer, die das Land Richtung Westen verlassen haben, zurückzugewinnen. Das geht allerdings nur mit einer besseren Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Hier brauchen wir einen Paradigmenwechsel.
Wie genau stellen Sie sich das vor?
Silke Gajek: Wir sind zurzeit das demografische Labor Deutschlands. Und wir wollen nicht das Florida Deutschlands werden. Wir brauchen daher eine intelligente Politik, einen Garten der Metropolen, wie es so schön heißt, sodass auch Leute aus anderen Bundesländern ins Land gelockt werden, beispielsweise aus Hamburg und Berlin. Das hiesige Potenzial ist riesig, ich nenne nur die Kreativbranche. Oder auch die Themen Energie und Umwelt. In Zeiten des Klimawandels hat MV einen großen Vorteil: Weite und Freiräume. Wenn wir nur endlich den Mut aufbrächten, den Regionen mehr Autonomie zu geben! Aber nein, die Damen und Herren fördern lieber Nestlé. Immer wieder die Großen. Getragen wird unser Bundesland allerdings vom Klein- und Mittelstand. In einem Satz: Derzeit wird Mecklenburg-Vorpommern unter Wert regiert. Wir wollen das ändern.
Sie liegen in den Umfragen zurzeit bei sechs Prozent . Wäre das aus Ihrer Sicht ein gutes Ergebnis?
Silke Gajek: Ein gutes Ergebnis wäre, die NPD aus dem Landtag zu halten, den Höhenflug der AfD zu stoppen und die Fortsetzung der Großen Koalition zu verhindern, deren jahrelange Arroganz und Rückzugspolitik den autoritären Kräften überhaupt erst den Nährboden bereitet hat. Hoffentlich können wir das bis zum Wahlsonntag noch einigen Unentschiedenen klarmachen. Da wir, genauso wie die Mehrheit der Landeskinder unter 18, an eine grüne Zukunft für dieses Land glauben, wollen wir - wie schon bei der letzten Landtagswahl - das beste bündnisgrüne Wahlergebnis in Ostdeutschland erreichen. Das wäre also das Brandenburger Ergebnis von 6,2 plus X.