Vijay Prashad: Soll Palästina in die Hölle geschickt werden?
Israel will jeglichen palästinensischen Widerstand gegen das Besatzungsregime zerschlagen. Das Projekt sei älter als der 7. Oktober, sagt der Historiker. Was nun? Gastbeitrag.
Eine Fahrt entlang des Jordantals im besetzten palästinensischen Gebiet (OPT) im Westjordanland ist ein beeindruckendes Erlebnis. Die Straße heißt offiziell Highway 90. Das Acker- und Bewässerungsland entlang dieser Straße wird militärisch und illegal von israelischen Siedlern gehalten, von denen viele eigentlich keine israelischen Bürger sind, sondern aus der jüdischen Diaspora stammen.
Ein im Jahr 2022 veröffentlichter Bericht der Kommission der Vereinten Nationen hat gezeigt, dass diese Siedlungstätigkeit ein Verbrechen gegen die internationalen Menschenrechtsnormen darstellt (Transfer von Bevölkerung in ein besetztes Gebiet). Die israelischen Siedler und das israelische Militär, das sie verteidigt, nennen den Highway 90 "Derekh Gandhi" oder "Gandhis Straße".
Als ich vor über einem Jahrzehnt zum ersten Mal diese Straße entlangfuhr, war ich über den Namen Gandhi verwundert. Mahatma Gandhi war ein Führer des indischen Freiheitskampfes und hatte bei vielen Gelegenheiten – wie etwa in seinem Artikel "Die Juden" von 1938 – seine Sympathie und Solidarität mit dem palästinensischen Volk zum Ausdruck gebracht. Tatsächlich ist die Straße, die durch das Westjordanland führt – ein wichtiger Teil des geplanten palästinensischen Staates – nach Rehavam Ze'evi benannt, der ironischerweise den Spitznamen Gandhi erhielt.
Ze'evi war Vorsitzender der Partei der Nationalen Union, in der die gefährlichsten Strömungen der israelischen Rechtsextremisten vertreten sind. Als Vorsitzender dieser Partei und davor von Moledet trat Ze'evi für die Vertreibung der Palästinenser aus dem Gebiet ein, das er als israelisches Land betrachtete (Ostjerusalem, Gaza und Westjordanland).
Er befürwortete die Schaffung von Eretz Israel, das sich vom Jordan bis zum Mittelmeer erstrecken sollte. Im März 2001 sagte Ze'evi, der später der sexuellen Belästigung und der Beteiligung an der organisierten Kriminalität beschuldigt wurde, der Zeitung The Guardian: "Es ist kein Mord, potenzielle Terroristen oder solche, die Blut an den Händen haben, loszuwerden. Jeder eliminierte Terrorist ist ein Terrorist weniger, den wir bekämpfen müssen".
Einige Monate später zeigte Ze'evi, dass er keinen Unterschied zwischen den Palästinensern macht, indem er sie alle als "Krebsgeschwür" bezeichnete und sagte: "Ich glaube, dass es in unserem Land keinen Platz für zwei Völker gibt. Die Palästinenser sind wie Läuse. Man muss sie wie Läuse ausrotten."
Er wurde im Oktober 2001 von Kämpfern der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) erschossen. Der Name der Straße, die das Westjordanland durchquert – in den Osloer Verträgen von 1993 wurde sie einem palästinensischen Staat versprochen – trägt immer noch Ze'evis Namen.
Ze'evi wurde von PFLP-Kämpfern ermordet, weil die israelische Armee ihren Anführer Mustafa Ali Zibri durch den Abschuss von zwei Marschflugkörpern auf sein Haus in Al-Bireh (Palästina) getötet hatte. Die Ermordung von Zibri war kein Einzelfall.
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Sie war Teil des Plans des israelischen Premierministers Ariel Sharon, die Palästinensische Autonomiebehörde, die zur Verwaltung der Osloer Abkommen geschaffen wurde, "zum Scheitern zu bringen" und "sie alle zur Hölle zu schicken". Neben der Ermordung von Zivilisten in regelmäßigen Abständen tötete die israelische Regierung ab Juli 2001 vier politische Führer (den Führer des Islamischen Dschihad, Salah Darwazeh, und den Hamas-Führer Jamal Mansour im Juli, dann den Hamas-Führer Amer Mansour Habiri und den Fatah-Führer Emad Abu Sneineh im August).
Nach der Ermordung von Zibri ermordeten die Israelis im November den Hamas-Führer Mahmoud Abu Hanoud. "Wer auch immer grünes Licht für diesen Akt der Liquidierung gegeben hat", schrieb der Militärkorrespondent Alex Fishman in Yediot Ahronot, "wusste genau, dass er damit das Gentleman's Agreement zwischen der Hamas und der Palästinensischen Autonomiebehörde mit einem Schlag zerschlägt; gemäß dieser Vereinbarung sollte die Hamas in naher Zukunft Selbstmordattentate innerhalb der Grünen Linie [Israels Grenzen vor 1967] vermeiden."
Heiße Gewalt, kalte Gewalt
Jahrhundertelang lebten palästinensische Christen, Muslime und Juden Seite an Seite in den Gebieten, die später zu Israel und den OPT gehören sollten, darunter auch im Jordantal. Seit der Vertreibung der palästinensischen Christen und Muslime und der Ankunft der europäischen Juden arbeitete der Rechtsapparat – oder die "kalte Gewalt", wie der Schriftsteller Teju Cole es nennt – gemeinsam mit paramilitärischer und militärischer Gewalt gegen die Palästinenser, um die Fantasie eines ethno-nationalistischen Staatsprojekts (des "Jüdischen Staates", wie es damals genannt wurde) zu schaffen.
Die Eliminierung der nicht-jüdischen Palästinenser war der Schlüssel zu diesem Projekt, entweder durch Massaker (Deir Yassin 1948) oder durch die vollständige Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus ihrem Land (die Nakba 1948). Die Massaker und Bevölkerungstransfers gingen einher mit der Leugnung der Realität Palästinas und des palästinensischen Volkes.
Der Nachfolger von Ze'evi, der derzeitige Finanzminister Bezalel Smotrich, sagte im März dieses Jahres: "Es gibt keine Palästinenser, weil es kein palästinensisches Volk gibt." Dies ist keine Meinung, die als rechtsextreme Tirade abgetan werden kann.
Das Likud-Mitglied Ofir Akunis, Minister für Wissenschaft und Technologie, sagte vor drei Jahren: "Im Westen Israels gibt es keinen Platz für irgendeine Formel zur Gründung eines palästinensischen Staates." Die Formulierung "Westisrael" ist eine erschreckende Aussage über den israelischen Konsens zur vollständigen Annexion des Westjordanlandes unter Missachtung des Völkerrechts.
Der Fokus auf den Gazastreifen ist zentral. Die israelische "heiße Gewalt" ist extrem, die Zahl der Todesopfer unter den Palästinensern – fast die Hälfte davon sind Kinder in Gaza – liegt bei über 5.000. Die israelische Landinvasion wurde vorerst durch die Gegenkraft des palästinensischen Widerstands gestoppt.
Dieser wird jeden israelischen Soldaten bekämpfen, der in die Ruinen von Gaza eindringt. Vor dem israelischen Einmarsch fuhren 450 Lastwagen mit Versorgungsgütern für die 2,3 Millionen Einwohner in den Gazastreifen ein. Als am 21. Oktober neun Lastwagen der Vereinten Nationen und elf Lastwagen des ägyptischen Roten Halbmonds den Gazastreifen erreichten, wurde das als Sieg gewertet.
Amnesty International untersuchte nur fünf Bombardierungen der Israelis und fand Beweise für Kriegsverbrechen, die den Internationalen Strafgerichtshof alarmieren sollten, seine Akte über israelische Gräueltaten wieder zu öffnen. Das sollte auch das Verbrechen der kollektiven Bestrafung durch die Unterbrechung der Wasser- und Stromversorgung des Gazastreifens, die Bombardierung der Zufahrtsstraßen zum Rafah-Übergang nach Ägypten und die Bombardierung des Rafah-Übergangs selbst umfassen.
Großdemonstrationen in der ganzen Welt fordern einen Waffenstillstand (das Mindeste) und ein Ende der Besatzung. Israel ist daran nicht interessiert. Der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant erklärte vor dem Parlament, dass seine Streitkräfte einen Drei-Punkte-Plan haben – die Hamas zu zerstören, die anderen palästinensischen Gruppierungen zu vernichten und ein neues "Sicherheitsregime" in Gaza zu schaffen.
Das palästinensische Volk – und nicht nur die bewaffneten Gruppierungen – leistet entschlossenen Widerstand gegen die israelische Besatzung. Die einzige Möglichkeit, wie Gallants neues "Sicherheitsregime" funktionieren könnte, wäre die Auslöschung dieses Widerstands, d. h. die Entfernung aller Palästinenser aus dem Gazastreifen entweder durch Massaker oder durch Enteignung.
Die Vereinigten Staaten schließen sich diesem Vernichtungsplan an: In einem Memorandum des US-Außenministeriums heißt es, dass die Diplomaten der USA keine Ausdrücke wie "Deeskalation", "Waffenstillstand", "Ende der Gewalt", "Ende des Blutvergießens" und "Wiederherstellung der Ruhe" verwenden dürfen.
Der Artikel erscheint in Kooperation mit Globetrotter. Hier geht es zum englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.
Vijay Prashad ist Stipendiat und Chefkorrespondent bei Globetrotter. Er ist Herausgeber von LeftWord Books und Direktor von Tricontinental: Institute for Social Research. Er ist Senior Non-Resident Fellow am Chongyang Institute for Financial Studies der Renmin University of China. Er hat mehr als 20 Bücher geschrieben, darunter "The Darker Nations und The Poorer Nations". Seine jüngsten Bücher sind "Struggle Makes Us Human: Learning from Movements for Socialism" und (mit Noam Chomsky) "The Withdrawal: Iraq, Libya, Afghanistan, and the Fragility of U.S. Power".