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Visegrád-Anschluss, CETA-Befragung und Facebook-Zensur

Van-der-Bellen-Wahlplakat

Nach der Verschiebung der Bundespräsidentenstichwahl geht den Parteien in Österreich das Geld aus - statt Inseraten und Plakaten gibt es deshalb Vorschläge und Forderungen

In Österreich herrscht seit dem Frühjahr praktisch ununterbrochen ein Wahlkampf, den sich die Parteien eigentlich schon am 24. April zu Ende gewünscht hätten. Dass er länger dauert, liegt daran, dass es eine Stichwahl zwischen dem Freiheitlichen Norbert Hofer und den ehemaligen Grünen-Chef Alexander van der Bellen gab, dass diese Stichwahl nach einer Anfechtung vor Gericht wegen Unregelmäßigkeiten bei der Briefwahlauszählung wiederholt werden muss und dass diese eigentlich für den 2. Oktober angesetzte Wiederholung vorletzte Woche auf den Advent verschoben werden musste, weil sich herausstellte, dass der für die Wahlunterlagen verwendete Kleber nicht immer klebt (vgl. Klebergate: Stichwahl wegen schadhafter Wahlunterlagen verschoben [1]).

Das belastet die Wahlkampfkassen mehr als die Parteien erwartet hatten. Hofers Wahlkampfleiter Herbert Kickl machte deshalb den Vorschlag [2], dass der Plakat- und Inseratwahlkampf bis zum November unterbrochen wird und dass die Kandidaten und ihre Unterstützer nur noch Termine wahrnehmen, die keine "klassischen Wahlkampfveranstaltungen" sind, sondern stattdessen "Politik machen". Van der Bellens Wahlkampfleiter Lothar Lockl ging auf den Vorschlag ein, verknüpfte so ein "Intensivwahlkampfmoratorium" aber mit Forderung nach einem "Fairnessabkommen" [3]. In diesem Abkommen soll die FPÖ darauf verzichten, die Briefwahl und die Stimmabgabe von Demenzkranken in Pflegeheimen infrage zu stellen und Formulierungen wie die zu verwenden, dass van der Bellen eine "Präsidialdiktatur à la Erdoğan" plant.

Kickl wies diese Forderungen zurück [4]. Er erinnerte bezüglich des Erdoğan-Vergleichs daran, dass van der Bellen einen Nationalratswahlgewinner, der ihm nicht genehm ist, nicht als Kanzler vereidigen, sondern stattdessen "einfach noch einmal" wählen lassen will. Zum Vorwurf einer angeblichen "Europafeindlichkeit" des FPÖ-Vorsitzenden Heinz-Christian Strache, mit der van der Bellen das begründet, meinte der Kärntner: "Was wäre das für eine Aufregung, wenn Norbert Hofer sagen würde, dass er [die Grünen-Vorsitzende] Eva Glawischnig wegen 'Österreichfeindlichkeit' nicht angeloben würde?"

Dem Standart [5] sagte Hofers Wahlkampfchef, so wie ihn Lockl verwende, sei der Begriff "Fairnessabkommen" ein "Etikettenschwindel" und ein "Versuch, eine Sprachpolizei zu etablieren". Was fair ist, kann seiner Ansicht nach keine "Zensurbehörde" bestimmen: "Die einzige Stelle", so Kickl, "die legitimiert ist, Fairness zu beurteilen, ist die österreichische Bevölkerung bei der Wahl".

Außerdem forderte Lockl, dass während einer Wahlkampfpause die Wahlplakate abgehängt werden müssten. Das würde vor allem van der Bellen nützen, der - anders als Hofer - das nun überholte Datum "2. Oktober" auf die Plakate gesetzt hatte, die deshalb ohnehin ausgetauscht oder teilüberklebt werden müssen. Kickl verwies auf diesen Unterschied bei den Plakaten und kritisierte die Forderung aus dem Team des ehemaligen Grünen-Chefs sei nicht nur eine "sinnlose Steuergeldvernichtung", sondern auch "ökologischer Unfug".

Nachdem die Grünen ein Abkommen mit solchen Forderung verbanden, kündigte Kickl an, die FPÖ werde den Wahlkampf nun im Alleingang "auf Standby-Modus herunterfahren" und bis Ende Oktober auf zusätzliche Plakate und Großveranstaltungen, bis Ende November auf Inserate und bis zum Schluss auf Radiowerbung und Fernsehspots verzichten - "egal, was das Team van der Bellen macht". Lockl dagegen stellte in Aussicht, sein Kandidat werde in den nächsten Wochen "sehr viel unterwegs sein". Die eineinhalb Million Euro, die er bislang für den Van-der-Bellen-Wahlkampf ausgab, will er nun noch einmal von Spendern einsammeln.

Zudem erhält van der Bellen auch Unterstützung von Gruppen wie der SPÖ-Jugendorganisation SJ: Die verteilte zum Schulanfang einen Kalender an Schüler [6], in dem sie ganz offen für den Tiroler mit niederländisch-russischem Migrationshintergrund wirbt. Als österreichischen Medien auffiel, dass politische Werbung an Schulen gesetzlich verboten ist, rechtfertigten sich SJ-Vertreter mit der Behauptung, sie hätten die Kalender lediglich vor und nicht in den Schulen verteilt, was legal gewesen sei.

Wird Visegrád zum Habsburgerblock?

Vorschläge und Forderungen - die kostengünstigste Form von Wahlkampf - kommen derweilen aus allen Parteien: Der FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache nahm beispielsweise einen Vorschlag des tschechischen Präsidenten Miloš Zeman [7] auf, der gemeint hatte, er sehe Norbert Hofer auf einer Linie mit ihm und seinen Amtskollegen in den anderen Visegrád-Staaten Polen, Ungarn, und Slowakei. Österreich, so Strache zur Tiroler Tageszeitung [8], sollte einen Aufnahmeantrag in diese Länderfraktion stellen, weil eine solcherart "gestärkte Visegrád-Gruppe" ein stärkerer "Gegenpol zu Angela Merkel" wäre und die Chance einer Reform der EU" erhöhe: "Bislang", so Strache, "werden in der EU zwischen Deutschland und Frankreich irgendwelche Abmachungen getroffen, die alle anderen dann schlucken müssen".

Dieser Gegenpol nähme mit einer Aufnahme Österreichs zunehmend die Form des Habsburgerreiches an, das im 18. und 19. Jahrhundert ein Gegenpol zu Preußen war. Vor 150 Jahren war auch Bayern [9] mit diesem Gegenpol verbündet, dann musste es nach einem verlorenen Krieg [10] die Allianz wechseln und sich kurz darauf dem von Berlin beherrschten Deutschen Reich anschließen. [11]

Auch Kern will Gegenpol zu Merkel schaffen

Einen Gegenpol zu Merkel will auch der SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern bilden [12] - er sieht dazu allerdings weniger die Staaten des ehemaligen Habsburgerreiches als potenzielle Verbündete, sondern seine sozialdemokratischen Amtskollegen Matteo Renzi aus Italien und François Hollande aus Frankreich, mit denen er Merkels "Sparkurs" beenden möchte. Ob ihm Hollande nach der französischen Präsidentschaftswahl im Frühjahr noch als Verbündeter zur Verfügung steht, ist allerdings fraglich: In Umfragen schneidet er deutlich schlechter ab als Marine Le Pen und die Konkurrenten von den Republikanern. Matteo Renzi, dessen Sozialdemokraten durch Beppe Grillos M5S gefährdet sind, hat bereits die Notbremse gezogen und erklärt, er werde - anders als vorher in Aussicht gestellt - auch dann weiterregieren, wenn er das anstehende Verfassungsreferendum verliert (vgl. Widerruf eines Regierungschefs [13]).

Heute hat Kern Merkel und Vertreter der Balkanroutenländer Slowenien, Kroatien, Serbien, Albanien, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, Mazedonien und Griechenland zu einem Migrationsgipfel in Wien eingeladen. Ob er Merkel dabei wesentliche Zugeständnisse abringen kann, die die deutsche Kanzlerin seit über einem Jahr verweigert, wird sich herausstellen.

SPÖ lässt CETA-Entscheidung trotz Mitgliederentscheid offen

Konfliktstoff mit Merkel ist auch das Freihandelsabkommen CETA: Während es die deutsche Regierungspartei SPD auf einem Parteikonvent und im Bundestag absegnete, ließ Kern im Internet die SPÖ-Mitglieder befragen, die den umstrittenen Vertrag mit 88 Prozent Mehrheit ablehnten [14]. Auch die Österreicher insgesamt sind einer repräsentativen Erhebung im Auftrag der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) zufolge mit 73 Prozent klar dagegen [15]. Ob Kern diese Meinungen auch nach der Bundespräsidentenwahl noch beherzigt, ist offen:

Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner, der für den SPÖ-Koalitionspartner ÖVP im Kabinett sitzt, zeigte sich in der deutschen Tageszeitung Die Welt [16] überzeugt, dass auch die Führung der österreichischen Sozialdemokraten CETA letztendlich absegnen wird. Das schließt auch SPÖ-Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler nicht aus, der meint, eine Zustimmung hänge von "Klarstellungen" der EU-Kommission ab. "Dann", so Niedermühlbichler, "könnte es schon sein, dass man sagt: Okay, dass reicht für uns, okay, wir blockieren es nicht".

Hofer-Wahlplakat

Allerdings könnte der österreichische Bundespräsident das Abkommen möglicherweise noch aufhalten: Hofer hat angekündigt, CETA erst nach einer Volksabstimmung zu unterschreiben, wenn er Bundespräsident wird. Van der Bellen dagegen hofft ebenso wie die SPÖ auf "Klarstellungen" und will den Vertrag lediglich mit Experten "evaluieren" [17], bevor er unterschreibt.

Grüne verklagen Facebook und fordern weltweite Entfernung von "Hasspostings"

Die österreichischen Grünen schärfen derweilen ihr Profil als Verbotspartei, die "Hasspostings" aus dem Internet verschwinden lassen will: Dazu verklagen sie jetzt nicht mehr nur einzelne Facebook-Nutzer, sondern auch die für das Geschäft in Europa zuständige Facebook Ireland Limited [18] wegen "übler Nachrede und Ehrenbeleidigung". Anlass dafür ist, dass eine Facebook-Nutzerin die Grünen-Vorsitzende Eva Glawischnig unter anderem als "korrupten Trampel" bezeichnete und Gerüchte über eine angebliche Krebserkrankung von Alexander van der Bellen verbreitete, die dieser bestreitet. Außerdem wollen die Grünen, dass Facebook Inhalte nicht nur für österreichische IP-Nummern sperrt, sondern weltweit löscht, und mehr Nutzerdaten als bislang herausgibt, damit die Partei weitere Personen verklagen kann.

ÖVP-Politiker Penz will Volkswahl des Bundespräsidenten wegen Pannenserie abschaffen

In der ÖVP hat der niederösterreichische Landtagspräsident Hans Penz vorgeschlagen [19], dass der Bundespräsident zukünftig nicht mehr vom Volk gewählt wird, sondern dass ihn die Parlamentarier in einer Bundesversammlung so unter sich ausmachen wie in Deutschland. Als Begründung für diesen Vorschlag nennt Penz nicht etwa mangelndes Vertrauen in die Konkurrenzfähigkeit des ÖVP-Personals im Volk, sondern einen Mangel an Wahlhelfern und die Pannenserie [20], die "peinlich" sei und zu einer schlechten "Stimmung" in der Bevölkerung geführt habe. Außerdem möchte der ÖVP-Politiker eine Begrenzung auf eine Amtszeit einführen und meint er, man solle die Kompetenzen des österreichischen Bundespräsidenten, der eine Regierung auch ohne Begründung entlassen könne, "noch einmal hinterfragen".

In einem Vorschlag der ÖVP-Nationalratsfraktion [21] sind diese Forderungen allerdings noch nicht enthalten: Er sieht neben der Einrichtung eines zentralen Wählerregisters, das doppelte Stimmabgaben verhindern soll, die Einführung von E-Voting für Auslandsösterreicher vor. Klappt das Verfahren bei diesen problemlos, soll es anschließend auch in Österreich angeboten werden.

Ihr Profil will die ÖVP mit einem "Analyseprozess" zu einer Reform des Sozialstaats [22] schärfen, dessen Ergebnisse zu Beginn des nächsten Jahres der Öffentlichkeit präsentiert werden sollen. Im Zentrum dürfte eine Begrenzung der "Mindestsicherung" stehen, die 2010 die Sozialhilfe ablöste: Von 2014 auf 2015 stieg die Zahl der Empfänger dieser Mindestsicherung um 10,9 Prozent [23].


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3336710

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Klebergate-Stichwahl-wegen-schadhafter-Wahlunterlagen-verschoben-3319326.html
[2] http://orf.at/m/stories/2358344/
[3] http://www.heute.at/news/politik/Kickl-erteilt-neuem-Fairnessabkommen-Absage;art23660,1344948
[4] https://kurier.at/politik/inland/bp-wahl-vdb-team-fuer-plakat-pause-und-fairnessabkommen/221.983.470
[5] http://derstandard.at/2000044783628/FPOe-lehnt-linke-Zensurbehoerde-ab
[6] http://noe.orf.at/news/stories/2798434/
[7] http://orf.at/m/stories/2358863/
[8] http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/5086891/Strache-will-Osterreichs-Beitritt-zur-VisegradGruppe
[9] https://www.sat1bayern.de/news/20160916/wir-fuehlen-uns-als-bayern/
[10] https://books.google.de/books?id=a1pNCgAAQBAJ&pg=PA28&lpg=PA28&dq=%22mit+den+bundesbr%C3%BCderlichen+grenzern+und+j%C3%A4gern+aus+tirol%22&source=bl&ots=YMCnXpbUgq&sig=U_TjyHguDZy1tn2DuUfIKPaey0E&hl=de&sa=X&redir_esc=y#v=onepage&q=%22mit%20den%20bundesbr%C3%BCderlichen%20grenzern%20und%20j%C3%A4gern%20aus%20tirol%22&f=false
[11] http://www.sueddeutsche.de/bayern/geschichte-saupreiss-miserabliger-1.3069578
[12] https://www.euractiv.de/section/eu-innenpolitik/news/eu-gipfel-in-bratislava-oesterreich-passt-nicht-zur-visegrad-gruppe/
[13] https://www.heise.de/tp/features/Widerruf-eines-Regierungschefs-3307480.html
[14] http://orf.at/m/stories/2358799/2358805/
[15] http://oesterreich.orf.at/m/news/stories/2796984/
[16] https://www.welt.de/wirtschaft/article158319984/Oesterreich-fordert-Neustart-fuer-TTIP.html
[17] http://www.gmx.at/magazine/politik/wahlen/bundespraesidentenwahl-oesterreich/bundespraesidentenwahl-alexander-van-bellen-hofer-oexit-31893502
[18] http://orf.at/m/stories/2358360/2358362/
[19] http://www.noen.at/niederoesterreich/politik/bundespraesident-hans-penz-wahl-durch-bundesversammlung/23.502.783
[20] http://wien.orf.at/m/news/stories/2798553/
[21] http://orf.at/m/stories/2359273/
[22] http://orf.at/m/stories/2358127/
[23] http://vorarlberg.orf.at/m/news/stories/2796715/