Vizeminister in Moskau in Haft: Eskaliert der Kampf der mächtigen Clans?
Moskau: Vize-Verteidigungsminister Iwanow festgenommen. Hinweis auf Spalt in russischer Elite? Kreml-Kenner Andrej Perzew über Hintergründe und Folgen des Falls.
Der stellvertretende russische Verteidigungsminister Timur Iwanow musste wegen massiver Korruption zurücktreten und wurde festgenommen. Er galt zuvor als mächtige Größe im inneren Zirkel der Regierung in Moskau aus dem unmittelbaren Umfeld des Verteidigungsministers Schoigu. Telepolis hat mit dem russischen Kreml-Kenner Andrej Perzew gesprochen, um Hintergründe und Folgen zu erfahren.
Andrej Perzew ist Journalist und politischer Analyst und arbeitete unter anderem als Redakteur für die renommierte Moskauer Zeitung Kommersant. Gegenwärtig ist er Sonderkorrespondent der exilrussischen Onlinezeitung Meduza und Gastexperte beim Berliner Carnegie-Zentrum Russland-Eurasien. Er ist bekannt dafür, dass er als einer von sehr wenigen kritischen Analysten der russischen Politik noch über Kontakte in die russische Machtelite verfügt.
Sie haben in einer Analyse geschrieben, die Verhaftung von Iwanow könnte ein wichtiger Meilenstein in der politischen Existenz von Wladimir Putin sein. Was ist das Besondere an diesem Vorfall?
Andrej Perzew: Timur Iwanow verwaltet große Ressourcen. Er war für die gesamte Infrastruktur des Verteidigungsministeriums verantwortlich: Militärlager, medizinische Einrichtungen, der Neubau von Anlagen und anderes. Weiterhin kann man Iwanow als eine Art Schatzmeister des "Schoigu-Clans" bezeichnen, der über viele Vermögenswerte verfügt.
Festnahmen von diesem Rang sind auch selten. Von seinem Einfluss ist Iwanow nicht einmal mit dem 2016 verhafteten ehemaligen Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew vergleichbar.
Diese Struktur rund um Schoigu ist mächtig?
Andrej Perzew: Ja, er ist immer noch auf dem Vormarsch. Solch öffentlichkeitswirksame Verhaftungen gab es beispielsweise bei Großunternehmern und Beamten aus dem Umfeld von Dmitri Medwedew, als dessen Clan im Niedergang begriffen war. Die aktuelle Verhaftung von Schoigus Vertreter zeigt, dass der Konflikt zwischen den Eliten Putins eine komplett neue Ebene erreicht hat.
Wusste Putin von der Verhaftung? Hat er sie sogar befohlen? Es gab Gerüchte, dass Iwanow nicht wegen Bestechung, sondern wegen Hochverrat verhaftet wurde.
Andrej Perzew: Putin wurden eher einfach Fakten präsentiert. Einflussreiche Gegner Schoigus konnten Iwanow in den Schmutz ziehen und erklären, dass die Verhaftung schon vorbereitet sei und nicht verzögert werden dürfe. Für Schoigu selbst war die Inhaftierung seines Stellvertreters natürlich eine große Überraschung. Hier gab es natürlich keine vorab-Beratung und alles ging rasant.
Woraus schließen Sie das?
Andrej Perzew: Wenn all das schon unter persönlicher Beteiligung Putins vorbereitet worden wäre, hätten wir eine andere PR-Strategie gesehen. Staatliche Medien hätten den Kampf gegen Korruption auf höchster Ebene angekündigt und ausgeschmückt. Iwanows luxuriöse Villen, sein Fuhrpark oder Bündel von Geld hätten gezeigt werden können. Nichts davon ist passiert.
Im Gegenteil: Für die Festnahme gab es keine grundlegenden Informationen im Voraus, da all das offensichtlich nicht gut vorbereitet war. Selbst am Folgetag wurde in den Abendnachrichten des Staats-TV kein Wort über die Verhaftung von Iwanow verloren.
Ende 2022 hatte das Team von Nawalny eine Untersuchung veröffentlicht, die Timur Iwanow gewidmet war. Da ging es um extremen Luxus, etwa den Reichtum seiner jetzigen Ex-Frau Svetlana Zaharova, ihre regelmäßigen Ferien in teuren Villen in Monaco bis zum Kriegsausbruch.
Könnten solche Berichte Einfluss auf die Verhaftung gehabt haben?
Andrej Perzew: Im Gegenteil! Solche Ermittlungen könnten Iwanow sogar schützen. Putins Elite meint manchmal ironisch, dass Ermittlungen von Nawalnys Team einem Offiziellen automatisch Immunität verleiht. Selbst, wenn er eigentlich in Ungnade gefallen ist. Putin mag es auch gar nicht, Entscheidungen unter äußerem Druck zu treffen. So besteht da kein Zusammenhang. Jeder wusste schon lange, wie luxuriös Iwanow lebte.
Was sagt diese Verhaftung über die Lage im Umfeld Putins aus?
Andrej Perzew: Diese Verhaftung zeugt zum einen von einer großen Uneinigkeit innerhalb der Elite. Wir können beobachten, dass sich Putin aus diesen Konflikten zurückzieht. Es geht nicht darum, dass Putin nichts wusste, sondern dass er im Vorfeld nichts in Bezug auf diesen Konflikt getan hat. Etwas Ähnliches haben wir bereits beim Konflikt zwischen Jewgeni Prigoschin, dem Chef von PMC Wagner und dem Gouverneur von Sankt Petersburg Alexander Beglow gesehen.
Oder zwischen Prigoschin und Schoigu. Prigoschins gescheiterter Aufstand war auch eine Folge davon, dass sich Putin davor lange Zeit nicht in diesem Showdown eingemischt hat. Die Verhaftung von Iwanow ist nur ein neuer Grad, eine Erhöhung der Einsätze. Sie ist ein Indiz dafür, dass es in der Elite weitere Auseinandersetzungen mit weniger Regeln geben wird.
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War es nicht auffällig, dass Iwanow in Uniform vor Gericht gestellt wurde? Ist so etwas nicht ein Schlag gegen die Militärs? Ist Schoigu geschwächt, könnte sogar zurücktreten?
Andrej Perzew: Die Möglichkeit eines Rücktritts besteht. Offensichtlich haben sich mehrere Elitenvertreter gegen Schoigu zusammengeschlossen. Der Druck ist hoch, das erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Rücktritts.
Aber auch hier ist zu beachten: Putin trifft Entscheidungen nicht gerne unter Druck und so muss dieser Rücktritt nicht unmittelbar erfolgen. Einiges hängt davon ab, was Iwanow bei den Verhören aussagen wird, wie weit der Groll gegen Schoigu geht. Unabhängig davon wird der Schoigu-Clan versuchen zu erreichen, dass der Fall vor einem Militär- und nicht einem Zivilgericht verhandelt wird.
Wenn das gelingt, glaube ich, Schoigu wird seinen Posten behalten. In jedem Fall wird hier die letzte Entscheidung von Putin getroffen und auch wenn er sie schon getroffen hat, wird ihr Vollzug wahrscheinlich verschoben. Vielleicht sogar bis zum Ende des Krieges.