Seite 2: Perspektiven des Konfliktes in Tigray

Mittlerweile mehren sich die Anzeichen, dass eritreische Truppen kriegsentscheidender sind als die Regierungstruppen der äthiopischen Zentralregierung. Bereits vor dem Einmarsch hat Ahmed die äthiopische Armee durch die Entfernung von tigraystämmigen Militärs aus wichtigen militärischen Positionen stark geschwächt. Man schätzt, dass rund 20 Prozent der äthiopischen Armeeangehörigen entlassen oder verhaftet worden sind.

Ahmed überlässt den ausländischen Invasoren viele Gebiete in Tigray. Es ist nicht davon auszugehen, dass eritreische Truppen Tigray in ansehbarer Zeit verlassen werden. Eher sieht es so aus, dass Tigray zwischen Amharen und Eritrea aufgeteilt werden soll.

Da international Forderungen nach einem Rückzug der eritreischen Truppen aus Tigray lauter werden, kommt Abiy Ahmed Ali in eine Zwickmühle: Einerseits ist er selbst dringend auf ausländische Hilfe und Investition angewiesen, andererseits ist er militärisch zu schwach, als dass er auf die eritreischen Verbündete verzichten könnte.

Es gibt erste Anzeichen, dass die Anwesenheit von eritreischen Truppen durch das Tragen von neuen (äthiopischen) Uniformen verborgen werden soll. Erleichtert wird dies dadurch, dass sowohl in Tigray als auch in Eritrea die gleiche Sprache gesprochen wird.

Faktisch hat Abiy Ahmed Ali die Souveränität in einem Teil Äthiopiens an Isayas Afewerki verloren. Sollte der eritreische Diktator auf lange Sicht weite Teilen Tigrays besetzen, ist ein Konflikt mit den Amharen, auf die sich Abiy zurzeit stützt, nicht ausgeschlossen.

Wenn der Hauptstörfaktor Tigray/TPLF in die Knie gezwungen ist, wäre ein blutiger Konflikt zwischen den aktuellen Alliierten wahrscheinlich. Das Horn von Afrika kommt nicht zur Ruhe, eine angeblich kleinere Operation zur Durchsetzung von Gesetzen hat sich zu einem internationalisierten Krieg entwickelt. Und ein Friedensnobelpreisträger mutiert zunehmend zum Kriegstreiber und -verbrecher.