"Völkermord seit mehr als 400 Jahren"

Gerd Roettig

Symbolisches Tribunal: Experten hören Zeugen an. Bild: @BinaNepram

Symbolischer "Strafgerichtshof" in New York verhandelt Verletzungen der Menschenrechte durch US-Regierungen. Anklage wegen Völkermordes an People of Color erstmals 1951 vor den UN

Vom 22. bis zum 25. Oktober hat in New York City ein "Internationaler Strafgerichtshof" aus Rechtsexperten getagt, um ein Urteil über Menschenrechtsverletzungen der USA gegen "schwarze, braune und indigene Völker" zu fällen.

Die Anklage lautete auf Völkermord und knüpfte damit an die vor 70 Jahren veröffentlichte Klageschrift "We Charge Genocide" an, die der Civil Rights Congress (CRC) 1951 vor die Vereinten Nationen gebracht hatte.

Die damalige Klage stützte sich auf die nur knapp drei Jahre zuvor in Kraft getretene UN-Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, die Völkermord als jede Handlung definiert, die mit der Absicht begangen wird, eine ethnische Gruppe "ganz oder teilweise zu vernichten".

Um die These des Völkermordes an den Schwarzen in den USA zu untermauern, zählte die Bürgerrechtsorganisation zahlreiche Fälle von Lynchmord, rechtlichen Diskriminierungen, die offene Entrechtung der Schwarzen in den Südstaaten, eine Reihe von Vorfällen brutaler Polizeigewalt sowie die grundsätzlichen Ungleichheiten in Bezug auf Gesundheit und Lebensqualität auf.

Genauso wie der CRC 1951 befand auch das in dessen Tradition tagende aktuelle Tribunal den US-amerikanischen Staat mitschuldig und verantwortlich für eine weiterhin anhaltende völkermörderische Situation.

In New York zusammengekommen war eine internationale Allianz aus Anwälten und Akademikern sowie Aktivisten für Bürger- und Migrantenrechte, Indigenenenvertretern und Umweltaktivisten, welche die USA, ihre einzelnen Bundesstaaten und deren Kommunen wegen Verbrechen gegen People of Color anklagten.

Internationales Expertengremium aus Juristen

"Dieses Verfahren wird überwältigende Beweise dafür liefern, dass dieses Land und seine kolonialen Vorgänger seit über 400 Jahren Völkermord im Sinne der Vereinten Nationen an Schwarzen, Braunen und indigenen Völkern begangen haben", hatte Jihad Mabdulmumit, Sprecher des Koordinierungsausschusses der In the Spirit of Mandela Coalition im Vorfeld gesagt.

"Wie wir zuletzt bei den Aufständen nach der Ermordung George Floyds gesehen haben, kann nur eine starke Basisbewegung von unten diese Verbrechen aufdecken, um diesen ein Ende zu setzen", fügte der Aktivist an.

Den Vorsitz des viertägigen Tribunals führte ein unabhängiges neunköpfiges Gremium mit teilweise international renommierten Juristen aus Indien, Eritrea, Haiti, Frankreich, den USA sowie weiteren Ländern.

Zwei Tage lang wurden Zeugenaussagen von betroffenen Opfern, Sachverständigen und Anwälten gesammelt. Sie berichteten über Menschenrechtsverletzungen wie rassistisch motivierte Polizistenmorde, Masseninhaftierungen, politische Inhaftierungen von Revolutionären und Aktivisten der Bürgerrechts- sowie Befreiungsbewegung aus der Ära des Vietnamkriegs und Aktivisten der Gegenwart.

Aber auch Anklagepunkte bezüglich indirekter Formen von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen wie etwa Auswirkungen eines latenten Umweltrassismus, Diskriminierung im Gesundheitswesen und die daraus resultierenden traumatischen Folgen wurden vor dem Tribunal aufgeführt.

Auf der Grundlage all dieser Aspekte lautete die Anklage schließlich, dass die USA Völkermord an Schwarzen, Braunen und indigenen Völkern begangen und damit sowohl gegen geltendes US-Bundesrecht (18 USC 1091) sowie die UN-Konvention zur Verhinderung von Völkermord von 1948 verstoßen hätten.

In einer ersten Beurteilung befand dieser "Internationale Strafgerichtshof" die USA und ihre staatlichen Untergliederungen in den folgenden Anklagepunkten des Völkermordes für schuldig:

Ergebnis soll UNO vorgelegt werden

Polizeimorde: Die Zeugenaussagen betrafen die "alarmierenden Muster und Praktiken der Polizei, die Schwarze, Braune und Indigene ungestraft ermordet".

Masseninhaftierung: In den Zeugenaussagen wurde hervorgehoben, dass der 13. Zusatzartikel zur US-Verfassung zwar die Abschaffung der Sklaverei versprach, in Wirklichkeit aber eine Ausnahme schuf, die die Inhaftierung von Menschen afrikanischer Abstammung und anderer Völker begünstigte. Die US-Politik der angeblichen Armutsbekämpfung, der Drogenbekämpfung, der Terrorbekämpfung laufe auf einen "Krieg gegen Schwarze, Braune und indigene Völker hinaus".

Politische Gefangene: Es wurden Zeugenaussagen vorgebracht, die die Kriminalisierung legitimer politischer Kämpfe, insbesondere von Schwarzen, Braunen und indigenen Völkern, belegten. U.a. wurden zahlreiche Beweise für jahrzehntelange Einzelhaft von Gefangenen vorgelegt, die weit über die von der UNO aufgestellten Definitionen von Folter hinausgingen.

Umweltrassismus: Zahlreiche Auswirkungen von Umweltgewalt wurden dargelegt. So treffe etwa die Klimakrise schwarze, braune und indigene Völker in unverhältnismäßiger Weise, gleiches feste für zahlreiche Fälle vorsätzlicher und skrupelloser Vergiftung von Land, Wasser, Luft und Boden.

Ungleichheiten im öffentlichen Gesundheitssystem: In den Stellungnahmen wurde auf tiefgreifende Ungleichheiten im Bereich der öffentlichen Gesundheit hingewiesen, die sich sowohl auf die körperliche als auch auf die geistige Gesundheit auswirken. Von den in der Vergangenheit verübten Zwangssterilisation über Mangelernährung bis hin zur Kriminalisierung psychischer Erkrankungen würden schwarzen, braune und indigenen Völker von jeder Illusion des Menschenrechts auf Gesundheit ausgeschlossen werden.

Die Juristen des im Church Center for the United Nations tagenden Gremiums kündigten an, eine umfassende Urteilsschrift auszuarbeiten. Diese soll wie das historische Vorbild von 1951 bei den Vereinten Nationen eingereicht werden.