Völlig unwichtig

"The Buch" als Resümee aus zwei Jahren Online-Literatur

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Literatur im Internet - das klingt noch immer ein wenig wie Radeln auf dem Mond oder Baden in der Gobi. Bis auf viel heißer Luft, semi-poetischen Verbal-Entgleisungen und dem großen Nichts brachten Literaten im Netz bisher nicht viel zu Stande. Nun gibt es "The Buch", das Resümee aus zwei Jahren Internet-Literatur, die medial recht stark beachtet im virtuellen Schreibsalon pool stattfand.(Vgl.Zwischendurch: neue, junge Literatur

)

Der Titel allein schmerzt, man hat das Buch noch gar nicht aufgeschlagen. "The Buch" prangt in dicken roten Lettern auf weißem Grund. "The Buch"! Wie das gemeint ist, welch schlauer Hintersinn sich hier verbirgt, das will man gar nicht erst wissen, denn dieser Klang allein peinigt schon jeden, dem die deutsche Sprache Ästhetik ist. Kein freundlicher Einstieg ist das, aber immerhin, man horcht auf, wird neugierig wie im Zoo, wenn man emsig lauschend dem schrillsten, gellendsten, misstönendsten Pavian-Schrei entgegeneilt, um zu sehen, wer es da wohl wagt, so bös zu Lärmen. "The Buch" also.

"The Buch" (Na, tut's weh?) ist eine Ansammlung von Kurzgeschichten, Textfetzen und Bildchen, erschienen im Verlag Kiepenheuer & Witsch, Preis: 25,50 Mark. Was hier auf 370 Seiten hingedruckt wurde, stammt von Schreibenden wie Andrian Kreye (Korrespondent der Süddeutschen Zeitung), Tom Kummer (Interview-Fälscher) und Helmut Krausser (Schriftsteller). Insgesamt 22 Kreative, allesamt Vor-, Mitt- und Enddreißiger, verfassten Kurzes für den Wälzer, der das Ende des Online-Literatur-Projekts "pool" beschließt. Aufgelockert wird die Bleiwüste durch ein paar unspektakuläre Fotos, Zeichnungen und Grafiken.

Herausgegeben haben das Werk Elke Naters und Sven Lager, ein in Berlin (und Bangkok) lebendes Autorenpärchen, das den "pool" initiierte und organisierte. An jenem trafen sich in loser Runde vom Juni 1999 bis Juni 2001 Kreativlinge, mehr als 30 an der Zahl, die in loser Folge Texte schrieben, über dies und das, oft über nichts. Neben der im Netz so oft allgegenwärtigen großen Langeweile, gab es dabei zuweilen auch Lichtblicke, schöne Geschichten, nette Monologe und freche Diskussionen. Und ein paar Prominente gab es auch, zum Beispiel den begabten Jungautor Sebastian Lebert, den blutarmen Dandy Christian Kracht und den heißblütigen Krachmacher Rainald Goetz.

Leider hat es keiner von den Dreien in das Buch geschafft. Oder, es hat keiner von den Dreien in das Buch gewollt. Zwar heißt es bei den Herausgebern, die Herren hätten keine Zeit gehabt, die Feinheiten des Werkes abzustimmen, doch das will man so richtig nicht glauben, zumal diese Entschuldigung die Frage auf wirft: Was für Feinheiten, bitte? Viel mehr will man sich der Schriftstellerin und Journalistin Simone Meier anschließen, die im Nachrichtenmagazin Der Spiegel vermutend fragte, ob das erwähnte Promi-Trio, "die schreiberisch matten Lichtlein der Herausgeber und ihrer 20 Mitschreiber etwa allzu sehr verblassen lassen" würde, und deswegen im Buch fehle. Oder - neue These - vielleicht ist selbst einem Christian Kracht, der sich für die peinlich aufgeblasene Jung-Dandy-Dichter-Debatte "Tristesse Royal" nicht zu Schade war, eine derart magere Ansammlung halbgarer Textchen wie "The Buch" einfach eine Nummer zu langweilig, zu schlecht, zu doof.

Im Buch erzählt zum Beispiel Moritz von Uslar, wie sich ihm in einer Telefonzelle drei "BUFFALO-Girls...diese Mädchen mit BUFFALO-Boots" körperlich aufdrängten, was er "ASOZIAL!" fand und aufschrieb und sich nun so lustlos, effekt-hascherisch zusammengestückelt darbietet, dass einem das Mitleid für den Bedrängten ganz schnell vergeht. Eckhart Nickel hingegen schreibt in seinem Text, der anderthalb Seiten lang ist und nur aus einem Satz besteht, wie er über einen Text nachdenkt, dabei einen Jungen beobachtet, der stetig um einen Opel radelt, wobei Nickel ganz wehmütig an seine Tage als Kind sich erinnert. Der Interview-Fälscher und Schweizer Tom Kummer, der unter anderem den Stern und das Magazin der Süddeutschen Zeitung mit erlogenen Texten verarschte, schreibt Verquastes über Autobahnen, Hollywood und das Leben als solches. Das liest sich zerfahren, orientierungslos, sinnentleert. Der Mann sollte weniger koksen oder einfach wieder ein paar Interviews fälschen.

Was in diesem Wälzer so steht, findet man im besten Fall nett, kaum aber interessant, noch weniger lesenswert. Und so geht das die ganze Zeit: Palavern über Nichtigkeiten, Philosophieren über Banalitäten, Breitreden von Alltäglichem. Das ist langweilig, weil oftmals weder schreiberisch noch inhaltlich erhellend. Natürlich gibt es auch Ausnahmen; Texte von Helmut Krausser, die stilistisch glänzen, eine schöne Abhandlung von Carmen v. Samson über die Geliebten von Männern, Andrian Kreyes feiner Beitrag über Pop in den entlegensten Zipfeln der Welt und die Tagebuch-artigen Einträge der Hamburger Soziologie-Studentin Sabine Weber, deren Texte hier erstmals veröffentlicht werden, die unverbraucht und ehrlich klingt und sicher unfreiwillig das Motto dieser Text-Sammlung vorgibt: "Ein Beispiel für gut geschrieben und hat nichts zu sagen haben wir nicht gefunden, ich glaube, die Bücher legt man wieder weg." Genau.

Weg also mit "The Buch", in dem viele schreiben, kaum jemand was zu sagen hat, und wenn jemand dann doch mal was sagt in seinen Texten, er oder sie über sich redet, sich, sich und noch mal sich. Diese ekelhafte, die kleinste Alltags-Banalität zum weltbewegenden Ereignis hochstilisierende Ich-Bezogenheit ist vielleicht eine Generations-Krankheit, vielleicht sogar zeitgemäß, in dieser Form aber einfach nur ätzend, weil fast durchgehend langweilig und verzichtbar, zumal junge Herren wie Benjamin von Stuckrad-Barre und Christian Kracht eben diese selbstversunkene, dandyeske Weltschmerz-Masche schon zu Genüge ausgewalzt haben - und das weit besser als die meisten der "The Buch"-Autoren.

"The Buch" ist die papierne Essenz aus zwei Jahren so genannter Internet-Literatur, hat aber mit dem Internet als solches nichts zu tun, bis auf eine abgedruckte E-Mail-Konversation zwischen der Mit-Herausgeberin Elke Naters und der Künstlerin Cathy Skene sowie der Tatsache, dass das ganze Debakel in "The Buch" im Netz seinen Ursprung fand. Das Literatur-Projekt "pool" bewies, das etwas nicht spannender und besser wird, wenn es im Internet stattfindet. Das Buch "The Buch" beweist, dass Texte, die im Internet langweilen, in Buchform erst recht nicht funktionieren. Versöhnlich stimmen letztlich lediglich die wenigen schreiberischen Lichtblicke und die Tatsache, dass Elke Naters und Sven Lager das "pool"-Projekt mit den Worten "War schön so, gut und völlig unwichtig" beendeten. Nur hätte man ihnen das auch ohne "The Buch" geglaubt.