Vogelgrippe - wie ein Virus die Welt erobert

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Landauf, landab wird hierzulande wieder Geflügel eingesperrt. Wo nahm das Virus eigentlich seinen Anfang? Und wie konnte es sich so schnell ausbreiten?

Anfang Februar gab es in der Uckermark in Brandenburg zwei Ausbrüche von H5N8 in einem Putenmastbetrieb mit 14.000 Tieren. Der ganze Bestand wurde gekeult. In Mecklenburg-Vorpommern im Landkreis Vorpommern-Rügen grassierte das Virus in einem Mastbestand mit 19.700 Puten (Übersicht über neue Fälle hier). Zudem wurde es bei Tieren im Tierpark Grimmen nachgewiesen, nachdem mehrere Hausgänse verendet waren. Gekeult wurden aber nur jene Tiere, die sich zu nah bei den verendeten Gänsen aufgehalten hatte.

Bald darauf wurden neue Fälle aus einer Putenhaltung in Glasin und aus Hobbygeflügelhaltung in Gadebusch gemeldet. Am 25. Februar kam ein neuer Fall aus dem Landkreis Rostock hinzu. In den Landkreisen Rügen und Greifswald wurde Stallpflicht angeordnet. Auch in Niedersachsen fand man infizierte Wildvögel. Hier wurden teilweise Aufstallungspflichten verhängt, ebenso in Sachsen. In Nordthüringen wurde die Stallpflicht in fast allen Kreisen und Städten bzw. Gemeinden nach kurzer Zeit nach und nach wieder aufgehoben.

In Bayern, wo am 6. Februar das Virus bei einer verendeten Graugans nachgewiesen, gilt in einigen Landkreisen Stallpflicht für Geflügel. In Schleswig-Holstein wurden zum Jahreswechsel in einer Gänsehaltung im Kreis Dithmarschen 1.800 Tiere getötet.

Inzwischen traten weitere Fälle von Geflügelpest an der Westküste auf, weshalb die landesweite Stallpflicht, die seit November 2020 gilt, bestehen bleiben soll. Einzig in NRW gibt es keine Stallpflicht, obwohl auch hier verendete Wildvögel entdeckt wurden.

Die Ausbreitung der Geflügelpest bei Wildvögeln in einigen Regionen wurde zum Ende des Jahres durch das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) bestätigt. Demnach war die Anzahl infizierter Wildvögel laut FLI bis Ende Dezember auf rund 16.000 Ende Dezember gestiegen. Nutz- und Heimtiere sollten unbedingt von Futter- und Trinkstellen der Wildvögel ferngehalten werden, warnte die Verbraucherzentrale.

Zuletzt machte der Subtyp H5N8 in Deutschland 2017 von sich reden, als in Mitteleuropa Hunderttausende Vögel getötet werden mussten. Eine Übertragung über Lebensmittel galt bisher als unwahrscheinlich. Im Dezember sollen sich allerdings im Süden Russlands sieben Mitarbeiter einer Geflügelfarm mit H5N8 angesteckt haben - mit mildem Krankheitsverlauf -, wie kürzlich bekannt wurde.

Inzwischen beauftragte Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner neben dem FLI und dem RKI auch das Bundesinstitut für Tierseuchen sowie die Universität Rostock mit einer Studie, um die Infektionsrisiken für Menschen besser beurteilen zu können. So soll bei Ausbrüchen in Deutschland vorsorglich ein Monitoring der Personen initiiert werden, die in Kontakt mit infizierten Tieren kommen. Bestehende Vorsorgekonzepte sollen an das derzeitige Geschehen angepasst werden.

Außerdem empfiehlt das RKI für Personen, die vor oder während eines Ausbruchs einer pathogenen aviären Influenza engen Kontakt zu erkrankten oder verendeten Vögeln haben, besondere Vorsichts- und Schutzmaßnahmen.

Von der Tier-Mensch zur Mensch-Mensch-Übertragung

Die infizierten Vögel leiden nicht nur unter den für Geflügelpest typischen Magen-Darm-Symptomen, sondern auch unter geschwollenen Kehllappen und Nebenhöhlen. Weitere Symptome sind Verstopfung, Blutergüsse der Sprunggelenke und Schenkel. Als Folge von Sauerstoffmangel verfärben sich Kamm und Beine blau. Zudem treten Gewebeschäden an inneren Organen auf.

An derartigen Symptomen verstarb das Geflügel Mitte Dezember 1997 auf chinesischen Märkten scharenweise. Schließlich ließen die Behörden 1,5 Millionen Tiere töten und verboten Importe aus chinesischen Provinzen.

Was Wissenschaftler lange befürchtet hatten, war bald eingetreten: Der Virenstamm sprang auf zahlreiche andere Gattungen über. Es begann im März 1997 in Hongkong, wo eine tödliche Epidemie der Influenza in einem Geflügelbestand zweier Zuchtanlagen auftrat. Zwei Monate später starb ein dreijähriger Junge, der an H5N1 erkrankt war. Im November infizierte sich ein sechsjähriges Kind - und wurde wieder gesund. Zwei Wochen später steckten sich ein Teenager und zwei Erwachsene an, es folgten 14 weitere Infektionen.

Den Angaben der WHO zufolge erkrankten zwischen 2003 und 2009 rund 440 Menschen an der der Vogelgrippe, 262 von ihnen starben. Hatten die Infizierten zunächst Kontakt mit Geflügel, zum Beispiel auf Bauernhöfen, mehrten sich in einigen Ländern Asiens Übertragungen von Mensch zu Mensch. Die H5N1-Patienten litten unter hohem Fieber, Lungenentzündung, entzündeten Atemwegen, Durchfall, Erbrechen. In einigen Fällen kam es zu multiplem Organversagen.

Beim Menschen endet die Krankheit nicht selten tödlich: Die Lungengefäße werden porös, so dass das Protein Fibrinogen eindringen kann. Das so entstehende Bindegewebe (Fibroblast) verstopft die Lungenbläschen. Als Gegenreaktion kommt es zu einem Angriff von Zytokinen, eine Flüssigkeit, die sich in der Lunge ablagert und an der die Patienten innerhalb weniger Tage ertrinken. Stark verändert, tauchte das Virus 2002 beim Menschen wieder auf. Der so genannte Genotyp Z verbreitete sich nahezu in ganz Asien und Südostasien.

Während sich das Virus über drei Kontinente verbreitet, kommt es in Kontakt mit lokal spezifischen Kombinationen von Wirtskörpern. Je größer die genetische und phänotypische Varation in einer Region ist, umso schneller entsteht eine menschliche Infektion. In China dominierten Neukombinationen wie der Qinghai-Stamm als auch der Fujian-Stamm, die sich gegen lokale H5N1-Varianten durchsetzen. Sie grassieren besonders in den Regionen, in denen die Tiergesundheit nicht routinemäßig überwacht wird.

Im Kampf zwischen Kultur und Natur

Die Krankheit sei ein Kampf zwischen der Evolution des Virus und den menschlichen Bemühungen, wirksame Impfungen zu entwickeln, sagen Wissenschaftler. Warum aber entstand H5N1 ausgerechnet im Jahr 1997 in Südchina? Und warum lassen sich die Epidemien so schwer kontrollieren oder gar verhindern?

Im Jahr 2008 wertete ein Team um Noel Castree von der University of Manchester Studien aus, die sich mit der Vogelgrippe beschäftigten. Die Natur werde neoliberalisiert - durch Wasser- und Holzwirtschaft, Fischerei, Bergbau, pflanzliche und tierische Genetik, Handel mit Emissionsrechten für Treibhausgase, Agrikultur, Züchtung und Nutzung der Natur für pharmazeutische Forschungszwecke, schreiben die Autoren.

Die Influenza sei zudem eine Folge der Nutzbarmachung von Tieren für multinationale Konzerne, ergänzt der Biologe Rob Wallace. Genau das war in China passiert. Überall entstanden Märkte für lebende Nutzvögel, mit denen viele Menschen in Kontakt kamen. In den ärmsten Ländern grenzen Agrarbetriebe ohne staatliche Aufsicht an periurbane Slums an. Auf diese Weise vergrößern ungebremste Übertragungen den genetischen Pool, aus dem sich H5N1 bedienen und spezifisch menschenbezogene Merkmale ausbilden kann.

Seit 1978 wurden landwirtschaftliche Produkte vor allem für Märkte in Hongkong hergestellt. Als China in den 1980er Jahren seine Handelsbeziehungen in die südlichen Provinzen rund um Hongkong ausdehnte, floss bereits ein geringer Teil ausländischer Investitionen in den Agrarsektor.

Während der 1990er Jahre wuchs die Geflügelproduktion um durchschnittlich sieben Prozent. Der Exportwert von verarbeitetem Hühnerfleisch wuchs innerhalb von vier Jahren - zwischen 1992 und 1996 - von sechs Millionen auf 773 Millionen US-Dollar.

Zunehmende Urbanisierung natürlicher Lebensräume

Im Jahr 1997 - während des Ausbruchs von H5N1- galt Guangdong als eine der Provinzen mit der größten Geflügelproduktion - mit Beständen von insgesamt 700 Millionen Tieren. Aufzucht, Schlachtung, Weiterverarbeitung und Futterherstellung waren unter dem Dach derselben Unternehmen organisiert. Ein großer Teil ausländischer Direktinvestitionen förderte den Import neuer Zuchtlinien, Vermehrung und moderne Fütterung.

Was fehlte, war eine ausreichende tiermedizinische Überwachung. Seitdem weitete China seine Geflügelexporte immer weiter aus. Während die Zahl internationaler Tiertransporte wuchs und die tiermedizinische Aufsicht vernachlässigt wurde, entwickelte sich eine große Vielfalt an ganzjährig zirkulierenden Influenza-Serotypen. Die "virale Ernte" wurde in Form von H5N1 über Handelswege in die ganze Welt transportiert.

Die zunehmenden kapitalistischen Tendenzen hatten auch soziale Folgen: Tausende Bauernfamilien gaben die Landwirtschaft auf und verdingten sich als Wanderarbeiter, wobei sie auch Rechte wie Schulbildung und andere Sozialleistungen aufgeben mussten.

Währenddessen wurden ländliche Räume urbanisiert: Von 1990 bis 1996 wurden allein im Perlflussdelta von Guandong 13 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche zu Fabrikstandorten. Zwischen Fabrikarbeit und Heimatdörfern pendelten die oft unterernährten Menschen mit geschwächten Immunsystemen hin und her.

Hongkong importierte nicht nur Geflügel, sondern begann auch Geflügel neben anderen Nahrungsmitteln ans chinesische Festland zu liefern. Der illegale Handel mit Hühnerfleisch blühte. Zur Zeit des Viren-Ausbruchs dürfte der Wert an geschmuggeltem Hühnerfleisch nach China bei mehr als 300 Millionen US-Dollar pro Jahr gelegen haben.