Vom Sexdarsteller zum Millionär

Reinhard Jellen

Beim Pornodreh. Alle Bilder: F24 Films

Der Dokumentarfilmer Jens Hoffmann zeigt die Spacken-Version des amerikanischen Traums

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Das San Vernando Valley in Los Angeles ist das Mekka des amerikanischen Pornofilms, einer Branche, in der alljährlich rund 13.000 Filme produziert werden, die sich an die 50 Millionen mal verkaufen und dabei einen Umsatz von 12,7 Milliarden Dollar erzielen - also mehr als die Musikindustrie. Über diesen vom Schmuddelgeschäft zum Mainstream geworden Erwerbszweig hat der Münchner Filmemacher Jens Hoffmann den Dokumentarfilm "9 to 5: Days in Porn" angefertigt, Darsteller, Regisseure, Produzenten und Agenten interviewt und über 18 Monate bei ihrer Arbeit gefilmt.

Das Metier zieht nach der Aussage der ehemaligen Darstellerin Sharon Mitchell, die nach einer brutalen Vergewaltigung aus dem Geschäft ausgestiegen ist, anschließend über das Pornobusiness promoviert hat, und sich nun mit ihrer Organisation um die Gesundheit der dort Beschäftigten kümmert, Sexsüchtige, Geldsüchtige und Ruhmessüchtige an, die auch allesamt in der Dokumentation zu Wort kommen: Zum Beispiel der spackige, in sämtliche Gärten urinierende, Pot rauchende und Bier saufende Pornoregisseur und -darsteller Otto Bauer, die ostdeutsche Katja Kassin (die durch Schäferstündchen mit ihren Fans mehr Geld als mit den Filmen verdient) und die gewiefte Sasha Grey, die in den neuen Film von Stephen Soderbergh mitspielt und sich über ihre Kollegen wie folgt äußert:

Ich sehe sie als Requisite, als Werkzeuge, die ich gebrauche, sie sind meine Knarre mit der ich schieße.

Sexuelle Warenästhetik

Das Pornogeschäft ist die amerikanischen Utopie mit Flecken an der Unterhose. In ihm verdient dem Agenten Mark Spiegler zufolge "ein Mädchen, das nie studiert hat oder nicht einmal die Schule beendet hat, mehr Geld als ein Arzt". Er rät seinen Schäfchen, vier bis fünf Jahre hart zu arbeiten und viel zu verdienen um sich dann zur Ruhe zu setzen. Und Arbeit ist das Business durchaus, schließlich ist der Sex in den amerikanischen Pornos stets durch ein extrem protestantisches Leistungsethos vermittelt, so dass die Tätigkeit des Lutschens, Leckens, Schleckens, das Reinhalten und Rausspritzen, fortwährend der auszehrenden Verrichtung einer menschlichen Arbeitsbiene an Henry Fords Fließband gleicht.

Gleichzeitig überschreitet die Ware, die auf dem Markt konstant ihre Verpackung ändern muss, beständig Grenzen: Die Filme gehorchen bedingungslos dem Paradigma des schneller, härter, weiter - und so müssen Darstellerinnen sich beim Training schon einmal einen Baseballschläger in den Hintern stecken lassen, denn in diesem Metier herrscht absolute Analsex-Pflicht. Zwei Schwänze im Arsch sind sozusagen die Schoko-Streusel auf dem Porno-Latte-Macchiato.

Dabei geht es auch nicht ohne bizarren Sado- und Sebstverstümmelungs-Sex ab: Die Darstellerin und Regisseurin Belladonna rasiert sich in ihrem eigenen Film ihr Haar, steckt sich einen Sack über den Kopf, filmt sich in knuddeliger Abu-Ghureib-Pose beim Monster-Sex mit Schwarzen und räumt prompt einen Preis beim "Adult Video Award" ab. Überhaupt, so erfahren wir, ist Sex mit Schwarzen und Weißen in Amerika das Allerverruchteste überhaupt: Die Vermischung "schwarzer" mit "weißer" Komponenten im Pornofilm ist also jene Form von Rock'n'Roll, welche Angloamerikaner immer noch lustvoll auf die Palme treibt.

Kehrseite des Ruhms

Hoffmann verzichtet in seinem Film auf Kommentare von außen und lässt nur die Protagonisten sprechen, was in diesem Fall seine Vor- und Nachteile hat. Einesteils kommt er ohne moralisierenden Zeigefinger aus1 (wobei jedoch die verhärmten und abgekämpften Gesichter der Darstellerinnen am Filmende vermutlich Bände sprechen sollen), andererseits verharrt er, da sich seine Gestalten nicht wirklich in die Karten blicken lassen, an der Oberfläche, so dass man im Grunde das Kino genauso schlau verlässt, wie man es betreten hat.

Zwar wird die Kehrseite des Porno-Ruhms beständig thematisiert ("Sie pressen dich aus wie eine Zitrone. Sie pressen den Saft raus und dann ist Schluss"), jedoch bleiben diese Passagen zum Film selber merkwürdig unvermittelt. Bis auf die Porno-Aussteigerin Dr. Sharon Mitchell kommt keine Person zu Wort, die angemessen über das Metier im Ganzen zu reflektieren in der Lage ist. Hinzu kommt die Musik, die zwar suggestiv, aber nicht unbedingt subtil eingesetzt wird.

Nicht auszuschließen, dass die Enttäuschung bei diesem Film gewollt ist und auf die gelungenere Darstellung des Sujets in der Kunst verweist. In dem Film "Boogie Nights" erfährt man beispielsweise nicht nur mehr über das Geschäft, sondern wird auch noch adäquat über den Paradigmenwechsel von den 70er zu den 80er Jahren (in denen nicht nur der Porno endgültig seine Unschuld verlor) in der amerikanischen Gesellschaft informiert. Wir raten ohnehin, zu diesem Thema den meisterlichen Trialog "Linke Arbeiter" von Peter Hacks zu lesen:

Für die hoffnungsvolle Jungfrau und den strebenden Jüngling zunächst ist die Pornographie ein Lehrmittel. Der Gebrauch der Geschlechtswerkzeuge muß gelehrt werden; Beischlaf ist das Schwierigste. Diese hochwichtige Sache kann keinesfalls der Natur überlassen werden; denn die Natur selbst befindet sich hier im Irrtum. Sie hat die reizbaren Orte falsch verteilt, nämlich derart, daß sie beim Zusammenstecken nicht gleichermaßen betroffen und ergötzt sind, kunstlose Wechselwirkung also nicht statthat. Die Tatsachen widersprechen den Erwartungen, das Bedürfnis des einen Geschlechts nicht dem des anderen. Woher soll der männliche Zögling wissen, daß Frauen sich bei der Selbstbefriedigung niemals eines künstlichen Geschlechts bedienen? Wie, wenn er es erfährt, sollte ihn nicht tiefe Entmutigung befallen, was die Wertschätzung seines Gliedes betrifft; wie andererseits sollte das Mädchen nicht in Verwirrung geraten, das vom natürlichen Glied sich Wirkungen versprochen hat, die es dem Godemiché abzuverlangen nie auf den Einfall käme? Beiden steht die Entdeckung bevor, daß das eigentliche Geschlechtswerkzeug des Mannes sein Schambein ist. Das ist das Hauptmissverständnis, aber auch alles übrige an der Lust ist bei den Geschlechtern verschieden, das Herangehen, die Durchführung und das Verhalten danach; in der Regel wird das eine Geschlecht durch genau das verdrossen, was das andere hochstimmt. Man darf die handwerkliche Seite der Begattung nicht gering achten. Viele junge Paare ersetzen Handwerk durch Aufgeregtheit, und es klappt auch, obgleich sie alles nach der Natur und mithin falsch machen. Aber aufgeregt ist man nur in Lagen, die neu sind. Der anfängliche Erfolg verliert sich; Enttäuschung tritt ein und bleibt. Aus solchen Erfahrungen des Scheiterns nun rührt großer Schrecken und aus dem die Flucht in die gleichgeschlechtliche Lust oder andernfalls der Verzicht auf Lust überhaupt. Gerade das einfache Volk, nach dem zu urteilen, was auf die oder die Art zu meiner Erkenntnis gelangt ist, ist von beklagenswerter Rohheit, ja Grausamkeit in der Entsagung; es löst den Widerspruch zwischen Trieb und Triebenttäuschung nach Maßgabe der Macht und im Suff oder Stumpfsinn. Die Arbeiterklasse macht es kaum besser als Bukowsky.