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Vom "lebendigen Fluss" zum "genormten Kanal"

Auennationalpark im unteren Odertal. Bild: Nick Reimer

Polen will die Oder ausbauen. Naturschützer warnen, dass dadurch der einzige Auwald-Nationalpark Deutschlands im unteren Odertal zerstört wird

Es geht um Aland, Flussneunauge, Rapfen oder Bitterlinge - äußerst seltene Fischarten. "Bei uns finden sie beste Lebensbedingungen", sagt Michael Tautenhahn, stellvertretender Leiter des Nationalparks Unteres Odertal. Auch geht es um 2,5 Millionen Jungtiere des Baltischen Störs, die seit 2007 in Brandenburgs Gewässern ausgesetzt wurden. Störe können bis zu 60 Jahre alt werden, in der Ostsee waren sie ausgestorben.

Tautenhahn: "Unser Wiederansiedlungsprogramm könnte Früchte tragen: Wir erwarten die ersten Tiere nach ihrer Reise in die Ostsee hier zum Laichen zurück".Es geht um Vogelarten wie den Flussregenpfeifer, Wachtelkönig oder Seggenrohrsänger. "Von dem gibt es in Deutschland nur noch hier bei uns Brutkolonien."

Noch, sagt Tautenhahn, denn: "Wenn Polen seine Pläne zum Ausbau der Oder umsetzt, dann wird das den Nationalpark Unteres Odertal dauerhaft schwer beschädigen."Und es geht um eine prinzipielle Frage: "Hier an der Oder entscheidet sich, ob wir Menschen gewillt sind, im Einklang mit der Natur zu leben, oder sie zu zerstören", urteilt Rocco Buchta, Fluss-Experte des Naturschutzbundes NABU.

Deutschlands einziger Auennationalpark im unteren Odertal bei Schwedt stand lange auf der Kippe. Jene Bauern, die nach der Wende ihre Wiesen wieder zurückbekamen, wollten sie nicht schon wieder hergeben. Auch heute noch gibt es Polder, die bewirtschaftet und deshalb nicht geflutet werden, nur etwa gut die Hälfte der Nationalparkfläche ist unberührte Natur.

Mittlerweile steht aber stolz "Nationalpark-Gemeinde" am Ortseingang von Criewen, es gibt eine "Nationalpark-Buslinie", die Übernachtungszahlen steigen. Ausgerechnet jetzt, wo der Nationalpark zur Erfolgsgeschichte werden könnte, droht ihm sein endgültiges Ende: Polen will die Oder ausbauen, die Umweltverträglichkeit der Pläne ist bereits geprüft.

Zwar hat das Land Brandenburg Einspruch gegen den Beschluss erhoben. Wenn der allerdings aus Warschau zurückgewiesen wird, könnten die Bagger in diesem Jahr (2021) rollen.

Das Oderhochwasser von 1997 und die Weltbank

Angefangen hatte alles nach dem Oderhochwasser 1997 mit der Weltbank: Polen bekam umfangreiche Mittel zum Hochwasserschutz bewilligt. Ein Plan war, das verfallene Poldersystem mit den alten Deichen der Oder südlich von Szczecin wiederaufzubauen.

Im Zweiten Weltkrieg waren sie zerstört worden, in der Folge entwickelte sich zwischen Ost- und West-Oder ein großartiges Feuchtbiotop, dass nun wieder eingedeicht werden sollte. "Allerdings konnten die Polen nicht nachweisen, dass neue Deiche Szczecin tatsächlich besser gegen Hochwasser schützen", sagt Tautenhahn. Damit waren die Flussbaupläne vom Tisch.

Dachten die Naturschützer. Tatsächlich aber erarbeitete die "Bundesanstalt für Wasserbau" in Karlsruhe 2014 im Auftrag der polnischen und deutschen Schifffahrtsverwaltungen ein "Stromregulierungskonzept" für die Oder. "Eine Verbesserung des ökologischen Potentials der Grenz-Oder", heißt es in dem Papier, sei bei der Erarbeitung "kein definiertes Ziel".

Die Bundesanstalt solle vielmehr sicherstellen, dass der in Tschechien entsprungene Fluss tiefer für die Schifffahrt wird: Im unteren Bereich soll die Oder zu 80 bis 90 Prozent eines Jahres 1,80 Meter Wassertiefe ausweisen. Dafür soll der Fluss neue Buhnen bekommen, mit einer "Neigung von 1:10, beidseitig", wie es im "Stromregulierungskonzept" heißt.

"Beste Lebensbedingungen" für seltene Fische: Michael Tautenhahn, stellvertretender Leiter des Nationalparks Unteres Odertal. Bild: Nick Reimer

Buhnen: das sind jene Steinschüttungen, die wie Stacheln in den Fluss ragen und - vereinfacht gesagt - die Oder an den Rändern bremst und in der Mitte beschleunigt. Durch dieses neue Korsett werde der Fluss schneller fließen, sich so selbst tiefer eingraben und damit fast ganzjährig schiffbar.

Naturschützer reagierten entsetzt. "Ausgerechnet jetzt, wo sich der Nationalpark endlich etabliert, soll ihm durch die Stromregulierung der Garaus gemacht werden", sagt Carsten Preuß, Chef des BUND Brandenburg. "Unter dem Motto Hochwasserschutz kanalisiert das Projekt die Oder für die Binnenschifffahrt, zerstört die Natur und verschlechtert so die Hochwassersicherheit", erklärt Radosław Gawlik von Polens "Ökologischem Verband EKO-UNIA". Rocco Buchta, der NABU-Fluss-Experte: "Die Europäische Wasserrahmenrichtlinie schreibt vor, Flüsse in guten ökologischen Zustand zu bringen. Die Ausbaupläne erreichen das Gegenteil."

Ende der Artenvielfalt in der Oder

In seinem Büro kramt Michael Tautenhahn Luftbildaufnahmen eines Uferstücks der polnischen Seite hervor: "Hier wurde schon mal probehalber gebaut." Die Buhnen sind mit einer Art Mauer verbunden, der Zwischenraum mit Sand verfüllt. "So machst du aus einem lebendigen Fluss einen genormten Kanal". Nicht, dass die Oder nicht auch heute schon durch Buhnen reguliert wäre. "Das derzeitige Buhnensystem ist aber genau das, was hier noch so eine reiche Artenvielfalt erhalten hat", sagt der Fischereiingenieur.

An manchen Stellen sorgen die Buhnen für eine starke Strömung, Strudellöcher entstehen, die im Winter nicht zufrieren, hier können Fische überwintern. Andererseits gibt es Schlammbänke mit geringer Strömung – wichtig für die Kinderstube seltene Arten. Ziel der Flussbauarbeiten sei, dass sich der Fluss tiefer in sein Bett eingräbt. Das wird im Sommer unmittelbare Auswirkungen auf die Auenwildnis haben: "Die letzten Jahre waren bei uns durch extreme Niedrigwasserphasen geprägt.

Wenn die Oder dann tiefer fließt, zieht sie das letzte Wasser aus den Auen."Im April erteilte die polnische Behörde eine Genehmigung der Umweltverträglichkeit, allein auf Höhe des Nationalparks sollen 65 Buhnen neu gebaut werden. "Wir haben dagegen Widerspruch eingelegt", erklärt ein Sprecher des Brandenburger Umweltministeriums. Denn die Prüfung der Umweltverträglichkeit habe nur die kurzfristigen Schäden begutachtet, nicht aber die Langzeitfolgen.

Noch gibt es keine Reaktion aus Warschau, Experten haben aber bereits eingeräumt, dass man schlechte Karten habe. Theoretisch könnte Brandenburg bei der EU gegen die polnischen Pläne klagen. Ob die Bundesregierung eine Klage aber unterstützt, ist äußerst fraglich: Die deutsch-polnischen Beziehungen sind wegen des europäischen Rechtsstaatsmechanismus derzeit ohnehin sehr angespannt. Nicht nur im Nationalpark soll die 162 Kilometer lange Grenzoder ausgebaut werden, auch bei Frankfurt, bei Küstrin, und südlich von Schwedt.

"Jeder Euro ist gut investiert", sagt Kapitän Leszek Kiełtyka, fünf Schubkähne und zwei Motorfrachtschiffe gehören seiner Firma. Seit 40 Jahren befährt er die Oder, im Ausbau sieht er die Zukunft seines ganzen Berufsstandes. Nach dem polnischen "Schifffahrtsentwicklungsplan" soll die Fracht auf rund 28 Millionen Tonnen Güter im Jahr nahezu verdoppelt werden.

Beata Szydło, damals Polens Premierministerin, erklärte 2017: "Die Entwicklung von Binnenschifffahrt, Häfen und Werften sind Prioritäten der polnischen Regierung." Für das "Odra-Vistula Flood Management Project" stehen insgesamt 1,202 Milliarden Euro zur Verfügung, darunter 460 Millionen von der Weltbank. Auch die EU trägt zur Finanzierung bei.

Eisenbahn wäre effizienter

Polnische Umweltschützer halten dagegen, dass die Eisenbahn problemlos doppelt so viele Güter wie die Binnenschiffe auf der Oder transportieren könnte. "Es gibt keine Rechtfertigung dafür, dass die Regierung mit öffentlichen Mitteln einen künstlichen Wettbewerb für die polnische Staatsbahn schafft, die im Laufe der Jahre modernisiert und subventioniert wurde", heißt es in einer Stellungnahme der "Koalicji Ratujmy Rzeki", der "Koalition Rettet die Flüsse".

Auch diese hat angekündigt, gegen die Pläne vor Europäische Gerichte ziehen zu wollen.Derzeit sind viele Polder an der Grenze zu Polen geflutet, Polder – das sind durch Deiche eingeschlossene Flächen. "Früher ging es darum, Wasser schnell abfließen zu lassen", sagt der stellvertretender Leiter des Nationalparks Unteres Odertal.

Doch in Zeiten des Klimawandels sei es notwendig, "Wasser so lange wie möglich in der Landschaft zu halten".Jetzt ist hier sehr viel Wasser ringsherum, bis zum Frühling bleiben die Wiesen geflutet, die Auenlandschaft hat ihr Lebenselixier zurück. Aber dieser heilsbringende Rhythmus der Natur könnte mit dem Oderausbau zu Ende gehen.


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