Vom sprachlichen zum bildlichen Wissen?
Das Internet soll, so die Publikation "Weltwissen-Wissenswelt" der Burda Akademie, unsere Wissensstruktur radikal verändern
Letztes Jahr fand in München das Symposium "Envisioning Knowledge" statt, veranstaltet von der Burda Akademie zum dritten Jahrtausend. Jetzt ist dazu die durch einige zusätzliche Beiträge ergänzte Sammlung der Vorträge Weltwissen - Wissenswelt erschienen. Dabei geht es vor allem um den Zusammenhang zwischen neuen Medien und Wissen. Die einzelnen Beiträge decken ein ziemlich weites Feld ab, von der Grundlagenforschung in der Hirnforschung über angewandte Techniken beim Web Design bis zum vielzitierten Wissensmanagement im Unternehmen.
Laut dem Vorwort stellen die Vortragenden die "Speerspitze dessen, was in den technologischen Think Tanks der wissenschaftlichen Institute zur Zeit ausgedacht und entwickelt wird" dar, und tatsächlich finden sich unter den Autoren einige Big Names wie der Hirnforscher Ernst Pöppel (Auf der Suche nach der Landkarte des Wissens), die Medientheoretiker Derrick de Kerckhove und Peter Weibel oder auch der Schriftsteller Thomas Hettche mit einer kurzen Erzählung.
Im Mittelpunkt steht die These, dass die neuen Medien, allen voran natürlich das Internet, die Art und Bedeutung unseres Wissens radikal verändern. Wichtig sei nicht mehr die reine Anhäufung von Wissen, sondern die Weiterentwicklung der individuellen Fähigkeiten zum Wissensmanagement. Eine besondere Bedeutung komme dabei jetzt und in Zukunft dem Bild zu. Der "pictorial turn" ist für die Burda Akademie das neue Paradigma des Wissenszeitalters. Die Akademie selbst bezieht hier, vorsichtig ausgedrückt, einen eher affirmativen Standpunkt. Das Editorial der Akademie-Leiterin Christa Maar erweckt schon den Eindruck von Selbstironie:
"Die elektronische Revolution hat ihre Kinder bereits entlassen. Mit den Instrumenten des Data Mining suchen sie in ihrer Brainware nach den Schätzen der Augmented Reality. Sie schuften sich durch den Technostress hindurch, den die Infosociety ihnen aufbürdet. Sie lassen sich nicht abschrecken von der Gefahr, man könne sich im Infosmog verlieren und womöglich als Vidiotic den 'Pictorial Turn' verpassen. Ihnen reicht der pure Kick, gepaart mit der Hoffnung auf den für das Kerngeschäft der Zukunft unabdingbaren permanenten Knowledge Loop." (C.Maar)
Die interessanteren Beiträge kommen vor allem aus der Hirnforschung, auch wenn es hier nicht unbedingt Neues zu entdecken gibt und einige der Ideen schon in dem von Christa Maar zusammen mit Ernst Pöppel und Thomas Christaller herausgegebenen Die Technik auf dem Weg zur Seele zu finden sind.
Francisco J. Varela und Ernst Pöppel geben auch dieses Mal einen Einblick in den Stand der Forschung und deren Folgen für unser Welt- und Menschenbild. Sogar die KI-Forschung hat Interessantes zu berichten, wie der Artikel von Israel Rosenfield zeigt. Er betont die Bedeutung der Handlung für den Erwerb von Intelligenz und Wissen. Für einen knappen Überblick über den aktuellen Stand der Hirnforschung mit weiterführenden Verweisen ist das Buch durchaus zu gebrauchen.
Interessant ist auch der Einblick, den Helga Nowotny, in das von ihre geleitete Collegium Helveticum an der ETH Zürich gibt. In einem wissenschaftstheoretischen Umfeld steht im Vordergrund die Überschreitung der künstlichen Grenzen zwischen einzelnen Disziplinen. Helga Nowotny zeigt nebenbei auch eine realistische Einschätzung des Internet, in der sie sieht, dass Ausschlussmechanismen und Ungleichzeitigkeit zu Ungleichheit führen.
Am schwächsten ist das Buch, wo Digital Media Designer aus ihrem beruflichen Alltag berichten. Sie erschöpfen sich vor allem in Allgemeinheiten. Eine Ausnahme ist die Anweisung zum Kreativ-Sein von Bruce Mau mit seinen anarchistische Anregungen zur kreativen Wissensbildung.
Visionen des Lernens der Zukunft, vor allem im Kapitel "Das Wissen von morgen und sein Design" erscheinen meist überzeichnet und unreflektiert optimistisch. Empirische Untersuchungen (Macht der Einsatz von Computern in der Schule das Lernen schwieriger?) und die tägliche Arbeit mit Internet und Computer sprechen da noch eine andere Sprache. Die Beiträge der Web-Designer dokumentieren eher den Versuch, der eigenen Tätigkeit eine Bedeutung zu verleihen, als eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema "Wissen und Internet". Die Beiträge der Vorstandsmitglieder von Siemens, Daimler-Benz und der Deutschen Postlesen sich eher wie Pressemitteilungen der Konzerne. "Früher wurde gern gesagt: 'Wenn Siemens wüßte, was Siemens weiß'. Heute bewegen wir uns klar in die Richtung, dass wir unseren Kunden sagen können: 'We are Siemens, we can do it'".
Beim Zusammenhang von Wissen und Internet kommt selten Substanzielles oder Neues zur Sprache. So sucht man vergeblich nach einer Erwähnung der Aufmerksamkeitsökonomie. Interessiert man sich für Internet/Wissen, gibt das neue Buch "Preferred Placement doch mehr her.
Interessant ist das Buch der Burda-Akademie also vor allem, wo es entweder Texte von Visionären der Grundlagenforschung wie Pöppel und Varela anbietet oder wo es - leider zu selten - von den altbekannten Klischees des Internet-Hype abweicht. Die im Original englischen Beiträge gibt es übrigens auch zum Teil online oder alternativ einen 404 -not found- Error. Es ist halt alles nicht so einfach mit dem Management von Wissen im Netz.
Christa Maar, Hans Ulrich Obrist, Ernst Pöppel (Hg.): WELTWISSEN - WISSENSWELT. Das globale Netz von Text und Bild. 392 Seiten mit etwa 60 Abbildungen. DuMont Buchverlag. DM 48,- (ISBN 3-7701-5307-3).