Von "80 Frauen" zu 0 Jobs: Der Fall Thilo Mischke, die ARD und der Sexismus-Streit

Harald Neuber
Thilo Mischke ein weißem T-Shirt, lächelt

Thilo Mischke. Bild: StagiaireMGIMO, CC BY-SA 4.0

Thilo Mischke sollte ARD-Kulturmoderator werden. Nach Sexismus-Vorwürfen verlor er den Job. Nun erhebt er schwere Anschuldigungen.

Der Fall Thilo Mischke wirbelt weiter Staub auf. Nachdem der Journalist und Autor Ende letzten Jahres als neuer Moderator des ARD-Kulturmagazins "ttt - titel thesen temperamente" vorgestellt wurde, brach ein Shitstorm über ihn herein.

Der Grund: Mischkes Bücher "In 80 Frauen um die Welt" und "Die Frau fürs Leben braucht keinen großen Busen", in denen er sich teils sexistisch und rassistisch über Frauen geäußert haben soll. Mehr als 100 Kulturschaffende, die dies so empfanden, forderten daraufhin seine Absetzung. Die ARD machte einen Rückzieher und Mischke verlor den Job, bevor er ihn überhaupt antreten konnte.

In einem ausführlichen Interview mit der Wochenzeitung Zeit hat sich der 43-Jährige nun erstmals zu den Vorwürfen geäußert – und erhebt dabei schwere Anschuldigungen gegen die ARD.

Obwohl Mischke offen mit dem Sender über die Problematik seiner früheren Bücher gesprochen habe, habe sich niemand wirklich damit auseinandergesetzt. "Die ARD hat versagt", findet er klare Worte. Weder die Kulturchefs der Landesrundfunkanstalten noch ARD-Chefredakteur Oliver Köhr hätten die Bücher gelesen oder mit dem Verlag gesprochen, bevor sie ihn fallenließen.

"Es war ein kafkaesker Albtraum"

Besonders sauer ist Mischke darüber, dass die Debatte um seine "ttt"-Moderation ohne ihn geführt wurde. "Das hat mir die Beine weggerissen", sagt er. Während manche Kritik an ihm berechtigt gewesen sei, sei vieles aber auch "unsachgemäß und diffamierend" gewesen.

Die Berichterstattung habe maßgeblich dazu beigetragen, dass die ARD ihn gefeuert habe, vermutet Mischke. Eine Kontaktaufnahme durch Journalisten habe es kaum gegeben.

Der Videocall mit ARD-Chefredakteur Köhr sei zudem der Gipfel der Unprofessionalität gewesen. Dieser habe Mischke tatsächlich gefragt, ob denn herauskommen könne, dass er jemanden vergewaltigt habe. "So etwas Unprofessionelles habe ich bisher nicht erlebt", empört sich der Moderator. Auch seine designierte Co-Moderatorin Siham El-Maimouni habe sich geweigert, mit ihm zu sprechen oder eines der Bücher zu lesen.

Gesteht Sexismus und Rassismus ein

Einige seiner Beschreibungen von Frauen seien "sexistisch und rassistisch" gewesen, räumt Mischke im "Zeit"-Interview selbstkritisch ein. Die meisten Sex-Szenen in "80 Frauen um die Welt" seien zudem erfunden gewesen. Es handele sich um Literatur – auch wenn diese problematische Frauenbilder transportiere. Für die Konsequenzen seiner Wortwahl habe ihm damals das Bewusstsein gefehlt. Er wolle aber Verantwortung dafür übernehmen.

Dass der Fall Mischke für die ARD ein Nachspiel hat, zeigt sich auch an der Aussage des Moderators, der Sender habe ihm 6.500 Euro gezahlt, um die Sache damit für geklärt zu halten. Ob es zu einem Rechtsstreit kommt, lässt Mischke offen. Eine ARD-Sprecherin bestätigte auf Anfrage nur, dass ein interner Aufarbeitungsprozess laufe, zu dem man sich nicht äußern wolle.

"Diese Aussage ist in ihrer Arroganz kaum zu überbieten"

Der Fall wirft kein gutes Licht auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Während Mischke dort Arroganz und mangelnde journalistische Standards vorwirft, scheint ihm ProSieben mehr zugetraut zu haben. Dort ist er seit Jahren als Investigativ-Reporter tätig. "Mir ist in der Zeit des Shitstorms aufgefallen, dass ProSieben wesentlich höhere journalistische Standards hat als die ARD", sagt Mischke.

Bleibt zu hoffen, dass die ARD aus dem Fall lernt und künftig sensibler und professioneller mit Mitarbeitern und deren Vergangenheit umgeht. Denn eine oberflächliche Debatte und Vorverurteilungen helfen niemandem – auch nicht dem öffentlich-rechtlichen Kulturjournalismus. Mischkes Fazit ist jedenfalls ernüchternd: "Wenn es dich trifft, dann kann es jeden treffen."