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Von Anerkennung bis "Arschloch": Klimaproteste und Reaktionen

Ausschnitt aus dem Gemälde "Tod und Leben" von Gustav Klimt. Das Schutzglas des Originals begoss unser Interviewpartner mit Farbe. Quelle: Wikimedia Commons / CC0 1.0

Florian Wagner hat das Schutzglas des berühmten Gemäldes "Tod und Leben" von Gustav Klimt in Wien mit Farbe übergossen. Die Aktion der Gruppe "Letzte Generation" schlägt hohe Wellen. Dabei wird nicht nur über das Klima diskutiert.

Florian Wagner ist ausgebildeter Landwirt, studierter Agrarwissenschaftler und Ökonom. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Wirtschaftsforschung an einem Projekt zu klimaneutraler Wärme in Gebäuden. Am 15. November 2022 geht er um 10 Uhr morgens in das Wiener Leopold-Museum und gießt Farbe auf ein durch eine Glasscheibe geschütztes Klimt-Gemälde.

Als jahrelanger Demokratieaktivist hat er sich radikalisiert, weil er nicht mehr glaubt, dass die aktuellen Akteure in der Politik irgendwann ein Einsehen haben werden und die ungeheuren Gefahren der Klimakatastrophe erkennen. Ihm gehe es darum, neue Bilder zu erzeugen, um die Gesellschaft zu transformieren. Visionen dafür, dass Ökonomie ökologisch sein kann und dass Wirtschaft nicht Ausbeutung der Natur bedeuten muss.

Die Verantwortung für die Krise dürfe nicht den Individuen in die Schuhe geschoben werden, sondern es ginge darum das System zu transformieren. Über sein Engagement bei "Letzte Generation", die Hintergründe und Auswirkungen der Aktion spricht er im Interview mit Telepolis.

Wie geht es Ihnen? Vermutlich ist der Stresslevel gerade sehr hoch?
Florian Wagner: Stress nicht unbedingt, es ist eine besondere Situation für mich. Ich bin es nicht gewohnt, so in der Öffentlichkeit zu stehen. Außerdem bin ich auch eigentlich nicht der Typ für solche Aktionen. Ich war viel zu aufgeregt! Ich hatte so eine fleischfarbene Wärmflasche mit der Farbe ins Museum reingeschmuggelt.
Das hat sich alles sehr glücklich gefügt, dass wir nicht entdeckt wurden. Zwei Security-Mitarbeiter haben ständig patrouilliert. Ich war so nervös, dass ich in einer Ecke schnell die Flasche, ganz ungeschickt und eigentlich sehr auffällig, aufgeschraubt habe. Vom Öffnen der Flasche, über das Ausschütten bis hin zum Moment, als mich der Security festgehalten hat, sind nur zehn Sekunden vergangen. Mir kam es wie eine Ewigkeit vor.
Gibt es viele Anfeindungen oder mehr Unterstützung für die Aktion?
Florian Wagner: Subjektiv mehr Unterstützung, Gratulation, Dank und Anerkennung, Manchmal ruft mich wer an und schreit gleich ins Telefon: "Arschloch!" Da lege ich dann auf, weil das kein guter Weg zu einer Diskussion ist. Zurück brüllen bringt ja auch nix. Mit vielen Menschen habe ich aber – auch am Telefon – geredet, die Leute wollen ja gerne diskutieren. Es gibt hier zwei Entwicklungen.
Manchmal, auch zum Beispiel aus meiner Familie, höre ich zu Beginn: Wie konntest Du das tun? Wenn ich dann meine Gründe darlege, pflichten sie mir mitunter bei. Manchmal erst nach ein paar Tagen. Andere hingegen werden dann erst richtig aggressiv, wenn ich ihnen meine Gründe sage.
Dann bin jetzt gewarnt…
Florian Wagner: Nein, keine Angst! Nach einem Gespräch, das ich bei der Stadtzeitung Falter hatte, riefen mich Menschen an und sagten, ich hätte sie zu Tränen gerührt.
Warum?
Florian Wagner: Ach, ich bin im Grunde sehr zuversichtlich. Das habe ich wohl gut rübergebracht. Es ging auch um Joseph Beuys, vielleicht hat ihnen das gefallen.
Der Leiter des Wiener Leopold-Museums, Hans-Peter Wipplinger war weniger gerührt und meinte die Aktion Farbe auf das verglaste Klimt-Gemälde zu schütten, sei kein "Bubenscherz" gewesen. Ein Bubenstreich hingegen ist es (so wissen wir seit neuestem), wenn André Heller ein Basquiat-Werk fälscht und dafür 800.000 Euro erhält. Welche Einschätzung haben Sie zum Kunstmarkt und inwieweit hat dies mit der Schüttaktion zu tun?
Florian Wagner: Mit Schüttaktionen hat es nichts zu tun, Kunst wollen wir ins Spiel bringen, weil wir die Kunst brauchen, um Menschen zu inspirieren. Zum Herrn Wipplinger und dem Leopold Museum möchte ich anmerken, dass mir jemand gesagt hat, der Versicherungswert des Klimt-Bildes sei nun auf 140 Millionen erhöht worden.
Das ist die Summe des Lebensarbeitsverdienstes von hundert Österreichern. Hundert Menschen arbeiten ihr ganzes Leben und erwirtschaften den gleichen Wert wie ein einziges Bild? Das müsste doch allen klar sein, dass da was nicht stimmen kann. Das ist absurd.

"Weil die Zerstörung der Natur die Menschen offenkundig nicht schockiert"

Der Leiter des World Economic Forums, Klaus Schwab, hat 2018 schon gesagt, der Klimawandel sei die größte Gefahr für die Finanzwirtschaft, denn Anlageformen, die mit realer Produktion oder Materialität zu tun haben, wie Immobilien beispielsweise, werden durch die Klimakrise entwertet.
Kunstwerke hingegen oder gar Non-Fungible Tokens sollen den Reichtum schützen. Deshalb wird jetzt alles so absurd teuer. Das ist aber nicht zu verwechseln mit dem eigentlichen Wert der Kunst. Es tut mir Leid, das da jetzt eine finanzielle Notsituation durch die Versicherungskosten für Wipplinger und das Museum entstanden ist. Dafür sind wir aber nicht verantwortlich, sondern der Kunstmarkt.
Mit dem "Wert der Kunst" ist die ideelle Bedeutung der Werke gemeint?
Florian Wagner: Ja, die Inspiration. Das Inspirierende an der Kunst. Es geht um Bilder, die die Menschen inspirieren können.
Gibt es hier einen inhaltlichen, künstlerischen Bezug? Gerade das Schütten und Übermalen hat in der Wiener Kunst ja eine lange Tradition, von Arnulf Rainer bis hin zu Hermann Nitsch.
Florian Wagner: Rainer und Nitsch waren keine Inspiration. Wir nutzen das Museum eher als eine Bühne, auf der inszenieren wir das Zerstören von etwas sehr Schönem und Wertvollem – dem Klimt-Gemälde – weil die Zerstörung der Natur die Menschen offenkundig nicht schockiert. Es ist somit keine Attacke auf die Kunst. Wir tun wirklich alles, um die Gemälde nicht zu zerstören.
Ich habe in der Dusche geübt, von links zu schütten, weil rechts keine anderen Gemälde neben dem Klimt waren. Wir haben sorgfältig geschaut, ob die Glasscheibe Kapillarwirkung entfalten könnte, aber sie ist zehn Zentimeter vor dem Bild. Wir haben überprüft, ob etwas vom Boden nach oben spritzen kann, aber der Spalt unten ist verschlossen. Außerdem ist die Farbe abwischbar und weder sauer noch basisch.
Also wenn ich mir nicht sicher gewesen wäre, dass dem Bild nichts passieren kann, dann hätte ich das nicht gemacht. Wir nutzen die Kunst, damit das Ausmaß der Klimakrise auf der emotionalen Ebene erfahrbar wird durch unsere Inszenierung. Der Gustav Klimt hat eigentlich den größten Teil der Arbeit geleistet, damit die Aktion erfolgreich wurde. Es als Attacke auf die Kunst zu verstehen ist somit ein riesiges Missverständnis von dem Museumsdirektor Wipplinger.
Hat die Aktion inspiriert?
Florian Wagner: Durchaus. Viele haben darauf reagiert und beschrieben, wie betroffen sie dies gemacht hat. Die – wie gesagt vollkommen harmlose – Farbe habe wie Öl ausgesehen. Das habe sie an die ölverklebten Vögel denken lassen, das war so eine Assoziation. Da entsteht dann ein Mitgefühl und das bewirkt mehr als abstrakte Sachverhalte, die ich als Wissenschaftler runterbete. Der HipHop-Artist Süß Ma Bitte macht einen Song über die Sache. Solche Wirkungen entstehen.
Warum fand die Aktion genau an diesem Tag und an diesem Ort statt?
Florian Wagner: Der 15. November ist in Wien der Leopolditag und die Kinder haben schulfrei. An dem Tag sponsert die OMV (der größte österreichische Erdöl- und Erdgaskonzern) traditionell das Leopold-Museum. Ein Grafiker hat in einer Werbung die neongrüne Leuchtschrift "Kunst für alle" über ein Bild des Museums geschrieben, und zwar genau in dem Markenbranding der OMV. Die OMV macht gerade Probebohrungen nach neuem Gas im Weinviertel. Dass die das jetzt noch machen, ist der wirkliche Wahnsinn. Dass man jetzt noch versucht, neue fossile Energieträger aus der Erde zu holen. Das wollten wir thematisieren.
Welche ganz konkreten Ziele sollten damit verfolgt werden?
Florian Wagner: Wir wollen, dass die Politik das Ausmaß der Klimakrise anerkennt und kommuniziert und dementsprechend handelt. Erste und sehr einfache Maßnahmen, die nichts kosten, sondern der Volkswirtschaft sogar Gewinn bringen würden, wären das Tempo 100 auf der Autobahn. Das österreichische Umweltbundesamt meint, damit ließen sich 400.000 Tonnen CO2 im Jahr einsparen.
Ein Auto verbraucht mehr, wenn es höher beschleunigt wird. Das kann jeder Mensch erproben, der versucht, schnell zu laufen. Die Geschichte Autos hätten einen optimalen Verbrauch bei einer gewissen Geschwindigkeit ist eine Legende, die der ÖAMTC verbreitet hat. Langsamer ist sicherer und schadstoffärmer.

"Wir bekommen bei 'Letzte Generation' jetzt viele Zuschriften von Künstlern"

Nur macht die Österreichische Volkspartei natürlich eine legitime Ansage, wenn sie meint, die Leute sollen selbst entscheiden können, wie schnell sie fahren. Gut, das ist eine politische Meinung, aber es ärgert mich, wenn man sagt, Tempo 100 bringt nichts, denn das stimmt nicht. Der zweite Trick heißt dann immer: Zuerst müssten die Kohlekraftwerke in China abgeschaltet werden. Aber an ein Kohlekraftwerk in China sich ankleben ist keine gute Idee.
Diese Aktion und ähnliche werden immer wieder auch deshalb kritisiert, weil sie insbesondere bürgerlichen Kreisen, die gerne das Leopold Museum besuchen, die Möglichkeit bieten, sich moralisch zu erhöhen. Klima-Aktvisten seien totalitär, unreif und hätten keine Ahnung von der Kunst und insbesondere der "Freiheit der Kunst". Wie gehen Sie damit um?
Florian Wagner: Die erniedrigen sich doch eher selbst moralisch. Wir bekommen bei "Letzte Generation" jetzt viele Zuschriften von Künstlern und Kulturschaffenden. In Deutschland gibt es sogar eine Soliidaritätsbekundung, wo Hunderte ihre Solidarität öffentlich erklärt haben. Was mir gesagt wird, es sei da so eine biedere Männerklicke die den Kulturbetrieb in Österreich beherrscht.
Es gibt da anscheinend Angst vor diesem Kreis mächtiger Player in der Wiener Kunstszene, aber da wird jetzt auch mehr aufgemuckt. Ein bisschen so, als hätten manche auf unsere Aktion gewartet. Also zumindest nehmen einige jetzt diese Diskussion als Anlass um sich zu organisieren und einen Beitrag zu leisten. Es geht darum neue Bilder zu erzeugen, um die Gesellschaft zu transformieren.
Visionen dafür, dass Ökonomie ökologisch ist, dass Wirtschaft nicht bedeutet Ausbeutung der Natur. Weg von dem feindschaftlichen Begriff gegenüber der Natur, der sie beherrschen will. Viele im Kunstbetrieb finden das gut, andere tun sich noch schwer damit. Das Leopoldmuseum ist hier zumindest nicht gerade vorbildlich.
Mit hat ein Wiener Kunstschaffender gesagt, die Touristen sehen im Flugzeug schon den Klimt und Schiele und dann rennen sie ins Museum, um genau das Bild zu sehen, so als gäbe es sonst nichts in Wien von Wert. Nur diese wenigen zu Ikonen fetischisierten Werke. Institutionen wie das Leopold-Museum setzen dann alles dran diese Touristen einzufangen und denen teure Tickets zu verkaufen.
Sie behaupten dann sie betreiben Kunstvermittlung. Sie haben eigentlich nichts vermittelt, sondern beuten nur die bekannten Wien-Klischees aus. Dafür müsste eigentlich niemand ins Flugzeug steigen, das wäre dann auch ökologischer. Eine lebendige Kunstszene, die Bilder für eine neue Gesellschaft findet, ist allerdings schon ein guter Grund, Wien zu besuchen…
Die Kunst hat ja eigentlich ein Faible für Revolte.

"Wir sollten bereit sein, Gesetze zu brechen, um die Schöpfung zu bewahren"

Florian Wagner: Nicht nur die Kunst. In einer Diskussion der "European Public Sphere" hat der Präsident der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien, Reinhard Bödenauer gesagt, die Heiligen haben immer die Gesetze gebrochen, um sich für eine bessere Welt einzusetzen. Wir sollten bereit sein, Gesetze zu brechen, um die Schöpfung zu bewahren.
Ich mein, ich sage jetzt was er gesagt hat und ich halte uns nicht für Heilige. Aber diese Katholiken wollen weg von dem Paradigma: "Mach dir die Erde untertan", hin zu dem Gedanken wir Menschen haben die Fähigkeit von Gott erhalten, die Wirkungen unserer Handlungen zu erkennen und deshalb tragen wir die Verantwortung uns auch um die Natur zu kümmern.
Dieser dogmatische und ideologische U-Turn ist doch wohl der schönste Hoffnungsschimmer. Vielleicht kann die ÖVP den auch irgendwann hinkriegen. Oder auch die SPÖ, wenn dort der Arbeitsfetisch nicht zu stark verankert ist?
Wie kriegen die Sozialdemokraten den überwunden?
Florian Wagner: Indem wir gemeinsam Vorstellungen entwickelt für eine neue Arbeitswelt. Und die Idee, dass wir das gerade deshalb schaffen können. weil wir auch Künstler sein können, weil es schöne Kunstwerke gibt, wie "Tod und Leben". Deshalb können wir uns ganz neue Vorstellung davon machen, was es bedeutet zu wirtschaften und zu arbeiten.
So wie die Soziale Plastik?
Florian Wagner: Ja, das hat Joseph Beuys so gesagt. Es ist jetzt schon eine soziale Plastik. Nur sind Ronald Reagan und Maggie Thatcher noch stärker. Der Thatcherismus will uns weismachen: "There is no such thing as a society". So wie die ÖVP sagt, jeder Einzelne kann entscheiden, ob er 100 auf der Autobahn fährt, dann ist das die Marktlogik des Marktfundamentalismus. Dabei schiebt man den angeblich "Freien" die volle Verantwortung zu. Aber die Individuen können als Konsumenten nichts Maßgebliches beitragen.
Sie können im Supermarkt nur kaufen, was es da gibt und das meiste ist in Plastik verpackt. Ich kann bestenfalls als Bürger die Grünen wählen, mich über sie ärgern und demonstrieren. Direkt demokratisch kann ich nicht aktiv werden. Deshalb haben meine Repräsentanten in einer repräsentativen Demokratie die Verantwortung, die großen Probleme wahrzunehmen, zu kommunizieren und zu versuchen sie zu lösen. Das kann ich den einzelnen Menschen nicht in die Schuhe schieben. Das ist falsch.
Genau das versucht ja auch die Industrie. So wie sich British Petrol den "CO2-Fußabdruck" ausgedacht hat, um die Menschen inaktiv zu halten, die sich wegen ihres individuellen Fehlverhaltens schämen.
Florian Wagner: Es geht noch weiter, denn auch die in den Konzernen sind sehr unfrei und gebunden. Die OMV agiert in dem politisch so eingerichtet System einer sozialen Marktwirtschaft. Innerhalb diesen Systems wird gesagt, ihr müsst neue Bohrungen im Weinviertel machen. Das ist genau das richtige, weil damit euer Profit steigt. Wenn euer Profit steigt, dann sagt das System, dann ist das gut für die Gesellschaft. Dann kann ich nicht sagen, die OMV ist schuld an allem. Es ist hier eindeutig eine staatliche Verantwortung.
Aktienunternehmen sind gegenüber ihren Shareholdern zum Profit verpflichtet.
Florian Wagner: Die Diskussion, die bösen Menschen zu suchen und die zu verurteilen ist immer ein Blödsinn. Wir müssen Wege finden, das System der Wirtschaft, der Arbeit und der Verteilung so zu gestalten, dass dabei nicht die Natur zerstört wird. Das kann man nicht den einzelnen Menschen in die Schuhe schieben. Denn wenn wer arbeiten geht, seine Familien hat, sich in Vereinen und bei der freiwilligen Feuerwehr engagiert, dann kann er sich nicht über all dies Gedanken machen, das ist nicht seine Verantwortung.
Die Güterabwägung ist kurios, auf der einen Seite sehen wir dass der Fortbestand der menschlichen Zivilisation gefährdet ist, auf der anderen Seite geht es um "gesunde Unternehmen". Aber weite Teile der die Politik schlagen sich zuverlässig auf die Seite letzterer, wie aktuell zu sehnen ist beim Protest der "Letzten Generation" am Flughafen Berlin-Brandenburg.
Florian Wagner: Das Bewusstsein ist einfach noch nicht da, dass das Fortbestehen der Zivilisation auf dem Spiel steht. Dieses Ausmaß haben die wenigsten realisiert. Aus dem Grund sind drastische Protestformen notwendig, weil die genau dies transportieren, dass die Situation eben sehr drastisch ist.
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres hat längst das Maximum an drastischer Rhetorik ausgereizt: "Wir sind auf dem Weg zur Hölle". Er kann nicht mehr sprachlich eskalieren, aber die Ergebnisse des Klimagipfels sind gering. Weil sprachliche Überzeugung kaum mehr funktioniert, gehen die ersten Wissenschaftler hin und kleben sich nun auch auf die Straße.
Wenn man zwei Stunden lang den Verkehr anhält und verlangsamt, dann ist das eine winzige Blockade. Es sind jetzt schon in der beginnenden Klimakatastrophe mehr Menschen an deren Folgen gestorben als an Corona.
Die Lockdowns haben 42 Milliarden in Österreich gekostet und es hieß vom Finanzminister: "Koste es, was es wolle". Es wurde bewiesen, man kann handeln und Krisen ernst nehmen, wenn man nur will. Die Klimakrise ist unvorstellbar viel größer und nun wird so getan, als sei das "Klimaticket" ein Mittel, das in den Griff zu kriegen und Tempo 100 auf Autobahnen sei übertrieben.
Ein Wort noch zum Protest in Berlin.
Florian Wagner: Da haben sich zwei Leute auf die Rollbahn geklebt und zwei sind mit dem Radel gefahren. Das versteh ich die Aufregung nicht ganz. Es kann kein Sicherheitsrisiko entstanden sein, denn es wurde ja alles der Polizei angekündigt. Da wird jetzt viel Wirbel gegen uns gemacht und es besteht natürlich die Gefahr, dass man sich jetzt rechtliche Konsequenzen ausdenkt um zu verschärfen.
Aufhalten wird uns das aber nicht. In Rheinland-Pfalz hat gestern ein Verfassungsrechtler und Richter geurteilt und jemanden von "Letzte Generation" freigesprochen, mit der Rechtfertigung, die Handlung sei ein "Rechtfertigender Notstand" gewesen. Das ist natürlich gut. Wenn das standhält, dann wird es bald mehr Menschen zum Protestieren bewegen, weil sie nicht mehr Strafen fürchten müssen.
Zugegebenermaßen bieten Sie aber auch vielen konservativen Kreisen tatsächlich eine Steilvorlage, wieder einmal nicht über die seit langem unter den Tisch gekehrte Klimafrage zu reden, oder?
: Florian Wagner: Das passiert sowieso, wer ignorieren will, der macht das auch so. Der Ernst Jandl hat mal sinngemäß gesagt, man kann den Menschen nur den Kopf waschen, aber nicht das Gehirn. Da müssen sie selber machen. Das innere Seelenleben, die eigenen Gedanken erreicht man nicht. Aber die Leute sind nicht blöd, alle erkennen doch, dass da jetzt wieder versucht wird unter den Teppich zu kehren, auf was wir aufmerksam machen wollen.
Es wurde ja schon wissenschaftlich untersucht, welche Auswirkungen solche Aktionen auf die Bevölkerung haben. Das Ergebnis war uneindeutig. Man kann nicht sagen, ob es mehr Menschen abschreckt oder mobilisiert. Letztlich scheint es mir eine Frage des Glaubens zu sein. Glaube ich, dass Menschen fähig sind ein Verständnis für die Klimakatastrophe zu entwickeln und etwas zu ändern oder glaube ich das nicht.
Wir wissen, dass wir vielleicht nicht die Sympathie der Mehrheit bekommen, aber wir schaffen einen Raum, in dem wir zeigen, wie wichtig uns unser Anliegen ist. Manche sagen dann das verstehen sie, finden aber die Art, wie wir es vorbringen, falsch. Die schließen sich dann vielleicht moderateren Protestformen an.
Wir haben ein grundsätzliches, politisches Problem, da wir den Schutz unserer Atmosphäre, des Klimas und überhaupt des Überlebens auf diesen Planeten nicht außer Streit stellen. Wie kann es gelingen, dass Menschen, die ein möglicherweise sehr divergierendes Gesellschaftsbild haben, sich dennoch gemeinsam für die Rettung des Klimas einsetzen?
Florian Wagner: Ich finde es gut, einen Klimarat einzurichten. Die Bürger:innenräte sind sehr interessant. Dort treffen die radikalsten Klimaschützer und Bürger zusammen, die vielleicht meinen, alles sei überbewertet und die auf ihr Recht auf Individualverkehr pochen. Trotzdem haben sich diese Bürger nach sechs Wochenenden auf wirksame Klimaschutzmaßnahmen in Österreich einigen können, die deutlich weitergehen als das, was die Politik plant.
So sollte man weitermachen und dies als Mittel kollektiver Willensbildung und des ausgehandelten Konsens nutzen. Die Politik muss dann aber auch den Vorschlägen der Räte folgen, sonst wirkt das ja wie ein Hohn.
Zu Beginn dieses Gesprächs sagten Sie, Sie seien optimistisch. Warum?
Florian Wagner: Ich denke, es wird immer mehr gelingen, Menschen zum Protest zu inspirieren und damit einen gesellschaftlichen Wandel zu erreichen. Die Ziele sind gar nicht utopisch. Wir müssen den Energiekonsum nur auf den Level der 1970er-Jahre bringen. Das ist ja nicht unmöglich. Wir haben heute so viele sinnvolle Möglichkeiten uns zu beschäftigen ohne hohen Energieverbrauch.
Es ist kein schlechteres Leben, wenn es nicht mehr so verschwenderisch ist. Ein gemäßigtes, gutes und lustvolles Leben ist erreichbar. Die Vorstellungen für diese notwendige Erneuerung müssen auch aus der Kunst kommen.
Man hat die patriarchale Gesellschaft teilweise überwunden, zumindest in einer Weise, wie man sich das vor 70 Jahren nicht vorstellen hätte können. Warum sollten wir die Dekarbonisierung nicht schaffen? Sie ist technisch gut zu machen und wirtschaftlich. Wir müssen es nur wollen und endlich konsequent damit anfangen.
Wie wird es jetzt konkret weitergehen?
Florian Wagner: Wir gehen mit Straßenblockaden in die Bundesländer. In Innsbruck hat sich eine Gruppe gefunden, die sich dem zivilen Ungehorsam anschließen wird. Der Aufstand der letzten Generation in Österreich wächst.

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