Von Frankreich zu Russland: Afrikas politische Neuausrichtung
Seite 2: Der Machtwechsel im Senegal: Hoffnungsschimmer für die Region?
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Eine Sonderrolle in der Region nimmt jedoch auch der Senegal ein. Denn dort hat – die regionale Ausnahme bestätigt die Regel? – ein Machtwechsel stattgefunden, sogar in demokratischen Formen. Auch außenpolitisch ist er nicht ohne Implikationen.
Am 02. April wurde in Dakar der alte Amtsinhaber unter den Pfiffen einer johlenden Menge aus dem Amtsgebäude gefahren. Der neue zog kaum zweieinhalb Wochen nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis – wo er aus politischen Gründen inhaftiert war – dort ein.
Der alte, das war der seit 2012 amtierende Staatschef des westafrikanischen Landes, Macky Sall, dankte ab. Letztendlich hatte er doch einen demokratischen Machtwechsel akzeptiert, nachdem es zuvor einige Wochen lang anders ausgesehen hatte.
Tricks im Vorfeld der Wahlen
Ursprünglich hätte die diesjährige Präsidentschaftswahl am 25. Februar stattfinden sollen, doch zweiundzwanzig Tage davor stellte der Noch-Präsident sich ins Fernsehen und erklärte seinen zunächst verblüfften und dann vielfach wütenden Landsleuten, der Wahltermin sei auf unbestimmte Zeit verschoben.
Politische Gerüchte, die auf real stattfindenden Diskussionen im Regierungslager basierten, sprachen zu dem Zeitpunkt von einem Aufschub um bis zu zwei Jahre. In der darauffolgenden Woche verabschiedete dann das senegalesische Parlament einen Beschluss, der einen neuen Termin "bis zum Jahresende" forderte – die protestierenden Abgeordneten der Opposition waren zuvor unter dem Einsatz von Polizeiknüppeln aus dem Sitzungssaal entfernt worden.
Mutige Verfassungsrichter
Doch das Verfassungsgericht in Dakar urteilte kurz darauf, die Neuwahl müsse zwingend vor dem Auslaufen von Salls Mandat am 02. April abgehalten werden.
Dass es überhaupt so weit kommen konnte – in einer Reihe von Staaten des Kontinents hätten die dortigen Verfassungsrichter sich weder getraut, die Regierung zu irgendetwas zu verdonnern, noch es gewünscht, da die Pfründe der Korruption beiden gleichermaßen zugutekommen -, hing auch damit zusammen, dass das politische Lager rund um die unter Sall regierende Alliance pour la République (APR) selbst sich gespalten zeigte.
Ambitionen auf den Posten des UN-Generalsekretärs
Macky Sall war übrigens weitaus eher bereit, einen juristisch korrekten Wahltermin zu akzeptieren und nicht hinauszögern, als viele Mitglieder seiner Entourage: Der nunmehrige Ex-Präsident hat noch weitere Karrierepläne und würde sich gerne zum nächsten UN-Generalsekretär nach Antonio Guterres wählen lassen.
Einige seiner Minister, die in ihrer Amtszeit stahlen und hinterzogen, was sie konnten, fürchteten jedoch die Folgen eines Regierungswechsels weitaus mehr als er selbst.
Bassirou Diomaye Faye: Vom Gefängnis zum jüngsten Präsidenten
Neuer Staatspräsident, und mit 44 Jahren der jüngste in der Geschichte des 1960 Frankreich unabhängig gewordenen Landes überhaupt, ist nun Bassirou Diomaye Faye.
Er war am 14. März dieses Jahres auf der Haftanstalt entlassen worden, wo er seit April 2023 eingesperrt blieb, wegen "Verbreitung falscher Nachrichten, Richterbeleidigung und Verächtlichmachung staatlicher Institutionen". Diese Anklagepunkte rochen nach politischen Vorwürfen gegen einen Oppositionspolitiker.
Doch wofür steht der Mann inhaltlich? Er ging aus der "Partei afrikanische Patrioten des Senegal für Arbeit, Ethik und Brüderlichkeit", dem Pastef, hervor. Bis vor rund einem Jahr war Faye noch weitgehend unbekannt.
Denn der mit Abstand bekannteste Repräsentant des Pastef war dessen Gründer (im Jahr 2014), Ousmane Sonko, welcher bei der nunmehr vorletzten Präsidentschaftswahl vor fünf Jahren als Dritter abschnitt und mit aus dem Stand geholten fünfzehn Prozent der Stimmen bereits einen Achtungserfolg einfuhr. Doch infolge mehrerer Gerichtsverfahren wurde Sonko das passive Wahlrecht entzogen.
Ihre gemeinsame Partei war seit dem 31. Juli 2023 verboten, und wurde in jüngster Vergangenheit wieder zugelassen. Seit 2021 waren bei der Repression gegen durch den Pastef geführte Proteste insgesamt rund sechzig Menschen zu Tode gekommen.
Hoffnungen auf Veränderung
Inhaltlich zieht die Partei Hoffnungen auf Veränderungen aus diversen Richtungen an. Menschen, die in anderen Ländern Linke wären – im Senegal und anderswo in Westafrika sind politische Begriffe wie "links" und "rechts", wenn überhaupt, nur in schwammiger Form vorhanden -, bringen ihr ebenso Zuspruch wie solche, die anderswo wie beispielsweise im Maghreb bei islamistischen Parteien unterkämen.
Die ideologischen Trennlinien, die in Nordafrika, in der Türkei oder in EU-Europa existieren, lassen sich allerdings auf die senegalesische politische Landschaft nur unzulänglich übertragen.
Sonko wie Faye waren beide Steuerbeamte, also in einem Sektor tätig, der für die "systemrelevante", ja das politische System weitgehend ausmachende Korruption in vielen afrikanischen Ländern von zentraler Bedeutung ist.
Beide waren dort bei einer Gewerkschaft tätig, die Ousmane Sonko 2012 gründete, und kämpften gegen Korruption, systematische Steuerhinterziehung durch Begüterte und Unternehmen und gegen die Begünstigung ausländischer – sehr oft französischer – Unternehmen, die dort nackten Ressourcenraub betrieben.
Balanceakt gegenüber Frankreich und anderen Nationen
Zu den allerersten Amtsmaßnahmen von Präsident Faye, neben einer genauen Prüfung der Staatsfinanzen bis Ende April, zählt übrigens die Ankündigung, sowohl französische Firmen als auch die französische Armee im Senegal hätten ab jetzt ordnungsgemäß Steuern zu zahlen.
Die Forderung danach kann man sicherlich nur unterstützen. Dass es nicht zu einem noch tieferen Bruch wie etwa einem Verlangen nach Abzug der französischen Soldaten kommt, dem versuchte die Pariser Politik im Vorfeld der Wahl des Pastef-Kandidaten aktiv vorzubeugen.
So begaben sich 2023 mehrere französische Nachrichtendienstmitarbeiter zu Ousmane Sonkos Wohnsitz in Ziguinchor, im Süden des Senegal.
Einen Monat darauf hätten Unterredungen mit Nadège Chouat, Nummer Zwei der einflussreichen "Afrikazelle" im Pariser Elysée-Palast (cellule Afrique), im Parteigebäude des Pastef in Dakar stattgefunden.
Demnach wurden "Missverständnisse aufgehoben", und der Pastef verzichtet mittlerweile auf die früher erhobene Forderung, die französische Armee aus dem Senegal zu verbannen.
Der Kampf gegen Homosexualität und gesellschaftliche Kontroversen
Unterdessen könnte die neue Regierung allerdings symbolisch Frankreich und anderen westlichen Staaten seine neu proklamierte Souveränität zeigen, indem es die Rechte sexueller Minderheiten weiter beschneidet.
Die Bekämpfung von Homosexualität ist in nahezu allen afrikanischen Staaten in weiten Teilen der Gesellschaft populär. Im Senegal besteht bislang für männliche homosexuelle Handlungen ein Strafrahmen von einem bis zu fünf Jahren Haft. Ousmane Sonko forderte seit Längerem, die Gesetzeslage zum Thema zu verschärfen.
Die rechte Variante von Anti-Neokolonialismus
Dies tendiert im Sinne einer rechten Variante von Anti-Neokolonialismus, wofür in Ländern des planetaren Südens mit einem anderen politischen Gefüge als der Senegal oft etwa islamistische Parteien stehen; während ein linker Antikolonialismus oder Antiimperialismus auf ein Ende einer ökonomischen Dominanz, soziale Verbesserungen und menschliche Emanzipation abzielt.
Faye bedient jedoch beide oder Versatzstücke von beiden, denn seine Souveränitätsversprechen sind an zentraler Stelle ökonomischer Natur, und er selbst benutzte zur Selbstdefinition mitunter auch den Begriff eines "linken Panafrikanismus".
Sonko wiederum war in jungen Jahren Mitglied einer senegalesischen Schüler- und Studierendenvereinigung, AEEMS, die auf internationaler Ebene den Muslimbrüdern nahesteht.
Neue Bündniskonstellationen und die Chancen des Machtwechsels
Der laufende Prozess des Machtwechsels im Senegal ist widersprüchlich, er wird seine Chancen und Grenzen aufzeigen müssen. Positiv zu verzeichnen, ist die starke Einmischung von jungen Menschen und von Frauen, die massenhaft zu den Siegesfeiern für Diomaye Faye kamen, in den Wahlprozess.
Eine vollständige Umorientierung auf Russland hat Präsident Faye unterdessen ausgeschlossen.
Bei seiner ersten Siegesfeier erklärte er, man werde nicht "eine alte Unterwerfung durch eine neue ersetzen", und bei seiner Antrittsreise in das Nachbarland Côte d’Ivoire unterstützte er dort den pro-französischen Staatspräsidenten Alassane Ouattara. Dennoch könnte durch den Wechsel im Senegal Bewegung in regionale Bündniskonstellationen kommen.