Von Gaza bis Assange: Kann Joe Biden sich aus der Wahlschlinge befreien?
Mit Feuerpause-Resolution scheinen USA Gazakrieg-Blockade zu räumen. Zudem ist Assange-Deal im Gespräch. Ist das Bidens Offensive gegen Trump? Eine Einordnung.
Es gibt zwei aktuelle Meldungen, die darauf hindeuten, dass die Biden-Regierung in den USA versucht, Boden in Hinsicht auf die Präsidentschaftswahl im November gegenüber dem Herausforderer Donald Trump von den Republikanern gutzumachen.
Resolution: Die Kehrtwende der USA im Gaza-Krieg?
Die eine betrifft Israels Krieg in Gaza, der die US-Regierung zunehmend unter Druck setzt. Nun erklärte US-Außenminister Antony Blinken, dass man dem Uno-Sicherheitsrat einen Resolutionsentwurf für eine "sofortige Feuerpause" vorgelegt habe.
Zudem forderten die USA Netanjahu auf, die Waffen ruhen zu lassen und Abstand zu nehmen von einer Invasion in die Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens. Blinken hoffe, dass von dem Resolutionsentwurf ein "starkes Signal" ausgehe.
Natürlich ist eine "Feuerpause" kein "Waffenstillstand" – und man muss sich die Details des Entwurfs noch anschauen. Aber es ist die bisher klarste Botschaft der USA an Israel, den Krieg zu deeskalieren.
Bisher hat die Biden-Regierung drei Resolutionen, in denen sofortige Feuerpausen und Waffenstillstände von Israel gefordert wurden, im UN-Sicherheitsrat mit ihrem Veto blockiert.
US-Amerikaner wollen andere Israel-Politik
Der Grund für die mögliche Kurskorrektur der US-Regierung liegt sicherlich auch daran, dass der internationale Druck auf Washington, seinen Einfluss auf Tel Aviv zu nutzen, um den Krieg zu stoppen, größer wird und Biden auf der Weltbühne mit der bedingungslosen Unterstützung des israelischen Kriegs zunehmend allein dasteht.
Aber das ist in anderen Fällen, in denen die Vereinigten Staaten in der Vergangenheit außenpolitisch auf Gewalt setzten bzw. die von Partnern unterstützten, ähnlich gewesen. Die Opposition großer Teile der Weltgemeinschaft hat dabei selten Einfluss auf die Entscheidungen in Washington ausüben können, wenn es um zentrale geopolitische US-Interessen ging. Das gilt auch für die Israel-Politik.
Was nun aber verstärkend hinzukommt, ist die innenpolitische Lage. Denn die Kriegsunterstützung wird immer unpopulärer in den USA.
Eine neue Umfrage, die Anfang März veröffentlicht wurde, zeigt, dass eine Mehrheit der Amerikaner verlangt, dass die US-Regierung die Lieferung von Waffen an das israelische Militär einstellen soll, damit der Angriff auf den Gazastreifen beendet wird, bei dem mehr als 30.000 Palästinenser getötet wurden, die meisten von ihnen Zivilisten, Frauen und Kinder, und eine Hungersnot im Gange ist.
Warnungen an Biden während der Vorwahlen
52 Prozent der Befragten in den USA wollen das, nur 27 Prozent widersprachen. Die Opposition gegen Waffenlieferung reicht dabei über das gesamte politische Spektrum.
Insbesondere die Unterstützer Bidens und der Demokraten zeigen sich entschlossen. 62 Prozent der US-Bürger, die 2020 Biden als Präsident wählten, wünschen, dass die USA die Lieferungen beenden, während nur 14 es anders sehen.
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Ferner unterstützen zwei Drittel der US-Wähler, ob nun Republikaner oder Demokraten, eine dauerhafte Waffenruhe im Gazastreifen. Bei den Vorwahlen im US-Bundesstaat Michigan, einem wichtigen Swing-State für die Präsidentschaftswahlen im November, haben mehr als 100.000 Wähler im Rahmen einer organisierten Kampagne, die gegen die Unterstützung von Israels Krieg im Gazastreifen durch die USA protestiert, Wahlzettel mit "nicht gewählt" abgegeben. Eine Warnung an Joe Biden.
Bernie Sanders macht Druck im Senat
Und auch auf dem Kapitol gibt es, wenn auch begrenzte, Opposition. So erklärte der US-Senator Bernie Sanders schon im Januar im britischen Guardian:
Die Vereinigten Staaten müssen aufhören, Israel zu bitten, das Richtige zu tun. Es ist an der Zeit, Israel zu sagen, dass es diese Dinge tun muss, oder es wird unsere Unterstützung verlieren.
Gestern sagte Sanders, dass er die Entscheidung des kanadischen Parlaments, keine Waffen mehr an Israel zu senden, für "vollkommen richtig" halte. Und er fügt hinzu: "Angesichts der humanitären Katastrophe im Gazastreifen, einschließlich der weitverbreiteten und zunehmenden Hungersnot, sollten die USA der Kriegsmaschinerie des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu keinen weiteren Cent zur Verfügung stellen."
Lässt Biden die Spionage-Anklage gegen Assange fallen?
Es gibt noch eine zweite Meldung, die auf einen Kurswechsel der Biden-Regierung hindeuten könnte. So erwägt das Weiße Haus Berichten zufolge, dem Wikileaks-Gründer und Journalisten Julian Assange einen Deal anzubieten. In einem Artikel des Wall Street Journal von gestern heißt es, dass von der US-Regierung ein Plan beraten werde, nach dem die aktuell 18 Anklagepunkte gemäß dem Espionage Act (Spionagegesetz von 1917) fallen gelassen werden sollen.
Assange müsste sich im Gegenzug für kleinere Ordnungswidrigkeiten, die die fehlerhafte Handhabung von als geheim klassifizierten Dokumenten betreffen, für schuldig erklären. Assange könnte das Geständnis aus der Ferne von London aus abgeben und wäre wahrscheinlich schon bald nach der Einigung frei, da er bereits fünf Jahre in Großbritannien in Haft verbracht hat.
Das juristische Team von Assange hat jedoch bisher noch keine Hinweise dafür erhalten, dass die Strategie der Strafverfolgung sich geändert habe. Assange drohen bis zu 175 Jahre Haft in den USA.
Es wird erwartet, dass der Oberste Gerichtshof in Großbritannien in den nächsten Wochen entscheidet, ob Assange ein weiteres Recht auf Einspruch gegen seine Auslieferung eingeräumt wird. Assange, der im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh festgehalten wird, soll auf Verlangen der USA an sie ausgeliefert werden.
Wikileaks unter Assange hatte geleakte Dokumente öffentlich gemacht, die u.a. Kriegsverbrechen der USA im Irak belegen. Bekannt wurde insbesondere das Video "Collateral Murder" ("Begleiterscheinung Mord"), in dem ein US-Kampfhubschrauber Zivilisten ins Visier nimmt und zwölf von ihnen, darunter auch zwei Reuters-Journalisten, tötete, während die Soldaten lachten und fluchten.
Die Veröffentlichung führte zu einer internationalen Entrüstung. In den USA schädigte es das Image der US-Kriegsführung.
Australien, Deutschland positionieren sich gegen Auslieferung
Die damalige demokratische Regierung unter Barack Obama beschloss am Ende, Assange nicht anzuklagen, weil man befürchtete, dass damit gegen den ersten Verfassungszusatz verstoßen würde, der die Pressefreiheit garantiert.
2019 erhob die Trump-Regierung Anklage auf der Grundlage des Spionagegesetzes von 1917. Auch unter Bidens Amtszeit wurde die Anklage gegen Assange weiter fortgesetzt. Doch die Auslieferung, die die USA verfolgen, erweist sich politisch gesehen für den amtierenden Präsidenten von den Demokraten als schwierig, vor allem in einem Wahljahr.
Der Druck von außen nimmt weiter zu. Ende Februar forderte das australische Parlament von der US-Regierung in einem parteiübergreifenden Antrag, unterstützt vom Premierminister Anthony Albanese und weiten Teilen der Gesellschaft, die Auslieferung fallen zu lassen.
In Deutschland hat sich jetzt sogar Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gegen eine Auslieferung von Julian Assange an die USA ausgesprochen. Die Vertreter der Vereinigten Staaten hätten dem Gericht in Großbritannien nicht klarmachen können, so Scholz, dass sich eine mögliche Bestrafung in einem "vertretbaren Rahmen" bewegen werde.
Assange-Auslieferung im Wahlkampf eine Belastung für Demokraten
Im November 2022 hatten bereits fünf große Zeitungen, die mit Wikileaks zusammengearbeitet haben – die New York Times, der Guardian, Le Monde, El País und Der Spiegel – in einem gemeinsamen Brief ein Ende der Strafverfolgung gefordert.
Sicherlich ist Assange, anders als in den meisten, auch westlichen Staaten, nicht besonders populär in den USA. Aber eine Auslieferung inmitten des Wahlkampfs würde mediale Öffentlichkeit für den Fall erzeugen, die sich negativ auf Schichten vor allem jüngerer, progressiver Wähler:innen auswirken könnte. Angesichts des Kopf-an-Kopf-Rennens mit Trump will das Biden-Team solch eine zusätzliche Belastung sicherlich möglichst vermeiden.
Es ist daher keine bloße Spekulation, dass, je näher der Wahltermin rückt, der amtierende US-Präsident Joe Biden versuchen wird, die für ihn wichtigen jungen Wähler:innen, aber auch die Arbeiter:innen, Afro-Amerikaner:innen, Latinos und arabischen Communitys an sich zu binden, mit politischen Angeboten.
Wie weit wird Biden Progressiven entgegenkommen?
Diese eher sozial und progressiv ausgerichteten Wählerschichten verlangen nun aber faire Jobs und einen funktionierenden Sozialstaat, den Schutz von Bürgerrechten, eine deeskalierende Außenpolitik und den Schutz von Umwelt und Klima durch einen Green New Deal.
Wie weit der Demokrat Biden ihnen entgegenkommen wird, hängt auch davon ab, wie weit er bereit ist, dem Washington-Establishment und der Businessklasse in den USA die Stirn zu bieten, bzw. ihnen Kompromisse abzuringen, während er sie gleichzeitig als Geldgeber für den Wahlkampf und als Multiplikatoren behalten möchte.
Wenn Biden es aber nicht ernsthaft unternimmt, Angebote an seine Wähler:innen zu machen, wird es im November eng für ihn werden. Und es scheint, als ob er das langsam auch selbst zu erkennen beginnt.