Von Gaza zum Roten Meer: Eröffnen USA regionalen Krieg an globaler Handelsroute?

David Goeßmann

Training auf dem Flugzeugträger USS Gerald R. Ford der Carrier Strike Group am 24. März 2023. Bild: Jennifer A. Newsome, U.S. Navy / Public Domain

US-Militär erwägt Gegenschläge gegen Huthi im Jemen nach erneuten Angriffen wegen Gaza-Krieg. Frachtverkehr durch Suezkanal erlahmt. Über eine explosive Lage.

Hochrangige US-Vertreter in Washington erwägen scheinbar einen Gegenschlag gegen die jemenitischen Huthi. Die Rebellengruppe, die vom Iran unterstützt wird und den Süden des Landes einschließlich der Hauptstadt Sanaa regiert, hat im Zuge des israelischen Gaza-Kriegs in den letzten Wochen eine Reihe von Angriffen auf Marine- und Handelsschiffe im Roten Meer gestartet.

Die US-Marine meldete gestern neue Huthi-Angriffe im Roten Meer. Insgesamt 15 Drohnen seien abgefangen worden, die gegen Frachtschiffe im Roten Meer auf dem Weg Richtung Suezkanal gerichtet worden seien, heißt es vom US-Kommando. Im Einsatz waren die US-amerikanischen und britischen Zerstörer "USS Carney" und "HMS Diamond".

Das US-Magazin Politico zitierte gestern zwei nicht benannte Pentagon-Beamte mit der Aussage, dass "hochrangige Vertreter der Biden-Regierung aktiv Optionen für einen Gegenschlag gegen die Huthi im Jemen erwägen". Danach soll das US-Militär "den Befehlshabern Möglichkeiten für einen Schlag gegen die Huthi unterbreitet haben".

Bewegungen der US-Navy im Nahen Osten deuten zudem auf einen möglichen Schlag des US-Militärs gegen die Huthi hin, während die jemenitische Gruppe weiterhin Schiffe im Roten Meer angreift. So wurde gestern berichtet, dass man die Dwight D. Eisenhower Carrier Strike Group vom Persischen Golf in den Golf von Aden vor der Küste Jemens verlegt habe, wo die Huthi operieren.

Die Verlegung könnte auch eine Maßnahme der Abschreckung gegen die Huthi sein, die mit ihren täglichen Angriffen auf Handelsschiffe die internationale Schifffahrt lahmlegen.

Deutschland prüft Marineeinsatz

Die Biden-Regierung hat sich bisher geweigert, einen Gegenschlag gegen die Rebellengruppe zu führen, weil sie wohl befürchtet, dass die iranische Führung über seinen Jemen-Stellvereter die USA in einen kostspieligen, ungewissen und unpopulären Krieg weit entfernt im Nahen Osten hineinziehen würde.

In Deutschland verurteilte die Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) die jüngsten Angriffe. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, hat eine Beteiligung der deutschen Marine an einem multilateralen Einsatz gefordert. "Wir sollten unterstützen, dass die Marine zusammen mit internationalen Partnern die Schiffe schützt", sagte die FDP-Politikerin. Es sei "folgerichtig, dass sich alle daran beteiligen, die davon abhängig sind, dass ihre Waren durch das Rote Meer geführt werden".

Die Bundesregierung prüft eine Anfrage der Vereinigten Staaten zur Beteiligung der deutschen Marine an dem Einsatz.

Unterdessen erklärten die Huthi, man habe am Samstag die israelische Stadt Eilat mit einem Drohnenschwarm angegriffen, so der Sprecher Yahya Sarea, der den Badeort am Roten Meer als im "südlichen besetzten Palästina" gelegen bezeichnete.

Die Rebellen kündigten zugleich an, ihre Angriffe auf Schiffe im Roten Meer, einer der meistbefahrenen Schifffahrtsrouten der Welt, fortzusetzen, um Israel unter Druck zu setzen, seine Angriffe auf den Gazastreifen einzustellen. Alle Schiffe, die von und nach Israel unterwegs seien, würden so lange attackiert, bis Israel seine Attacken gegen den Gazastreifen beende. Damit erneuerte die Gruppe frühere Drohungen.

Erhebliche Auswirkungen auf Welthandel und Ölpreis

Die militärische Eskalation kommt einen Tag, nachdem große Schifffahrtsunternehmen angekündigt haben, den Suezkanal, eine wichtige Handelsroute zwischen Europa und Asien, zu meiden, was sich auf den globalen Handel auswirken könnte. Darunter befinden sich Reedereien wie die deutsche Hapag-Lloyd, die dänische A.P. Moller-Maersk und die französische CMA-CGM-Gruppe. Nun hat auch der Branchenführer MSC (Schweiz/Italien) erklärt, Fahrten durch den Kanal zu stoppen.

Derzeit werden zwölf Prozent des Welthandels über das Rote Meer abgewickelt, heißt es in einer Erklärung der Internationalen Schifffahrtskammer, die die "Länder mit Einfluss in der Region auffordert, die Huthi davon abzuhalten, Seeleute und Schiffe anzugreifen".

John Stawpert von der Internationalen Schifffahrtskammer erklärte gegenüber dem TV-Sender Al Jazeera, dass die Angriffe der Huthi auf dem Roten Meer erhebliche Auswirkungen auf den Welthandel haben.

Wir haben gesehen, dass zwei große Reedereien das Kap der Guten Hoffnung [vor Südafrika] umfahren haben, was ihre Reise um sechs bis 14 Tage verlängern wird. Dadurch verzögert sich die Ankunft der Waren in den Märkten, in die sie geliefert werden sollen. Das ist kein israelisches Handelsproblem. Dies ist ein globales Handelsproblem.

Stawpert fügte hinzu, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen nicht sofort sichtbar seien, aber "wenn wir uns den Suezkanal ansehen, sprechen wir von drei bis neun Milliarden Dollar Handelsvolumen, das jeden Tag durch ihn fließt – es wird also erheblich sein". Befürchtet wird von Analysten, dass der Ölpreis steigen könnte.

Deutschland, Frankreich, UK machen Druck auf Waffenstillstand

Paul Sullivan vom Global Energy Center des Atlantic Council in den USA kann sich sogar vorstellen, dass China und Indien ihre Präsenz in der Region verstärken könnten.

Es würde mich nicht überraschen, wenn China und möglicherweise auch Indien mehr Mittel in die Region schicken würden, um ihr Öl zu schützen. Die Nato könnte die Einsatzkräfte aufstocken, die sich auf den freien Seeverkehr und die Sicherheit der Schifffahrt konzentrieren könnten. Die USA werden sich stärker engagieren, wenn die Spannungen zunehmen.

Iranische Regierungsvertreter, während sie ihre Unterstützung für die Huthi bekräftigen, haben den USA und ihren Verbündeten mit "außergewöhnlichen Problemen" gedroht, sollten sie eine Task Force gegen die Huthi einrichten.

Es scheint nun also genau das Szenario einzutreten, das alle Akteure im Nahen Osten, abgesehen von der jemenitischen Rebellengruppe, eigentlich vermeiden wollen: eine Ausweitung des Gaza-Kriegs in einen regionalen Kriegsschauplatz. Zugleich wächst der Druck auf die Netanjahu-Regierung, den Krieg gegen Gaza zu deeskalieren und einzustellen, um genau das zu verhindern.

Der wachsende Druck auf Israel lässt sich unter anderem an den jüngsten Äußerungen in Europa und den USA ablesen. In Deutschland, Frankreich und Großbritannien ist man zunehmend besorgt über die humanitäre Situation im Gazastreifen.

Die französische Außenministerin Catherine Colonna hat Israel daher zu einem "sofortigen und andauernden Waffenstillstand" aufgefordert. In einem gemeinsamen Artikel in der Sunday Times verlangen die deutsche Außenministerin Baerbock und ihr britischer Amtskollege David Cameron von allen Parteien, auf einen langfristigen Waffenstillstand hinzuarbeiten.

Die Vereinten Nationen riefen Israel in einer Resolution zu einem sofortigen Waffenstillstand auf, während US-Präsident Joe Biden davor warnte, dass Israel die internationale Unterstützung im Zuge der unterschiedslosen Bombardierung von Zivilisten verliere. Das hindert die USA aber nicht daran, ihr Veto bzw. Nein bei Abstimmungen im Sicherheitsrat und in der UN-Generalversammlung über eine Waffenruhe in Gaza einzulegen und Waffen in großem Umfang trotz der humanitären Bedenken an Israel zu liefern.

Gaza-Krieg: Wie lange verbleiben USA an der Seitenlinie?

International und im Land wird die Biden-Regierung immer eindringlicher aufgefordert, sich der überwältigenden Mehrheit der Staaten anzuschließen, die ein Einstellen der Bombardierungen und Kämpfe verlangt.

Die UN-Organisation Ocha meldet in ihrem aktuellen Update zu Gaza: "No one and nowhere is safe", "Niemand ist nirgendwo sicher." 18.787 Bewohner der Enklave seien nach Angaben der Gesundheitsbehörde vor Ort bisher getötet worden (Stand 14. Dezember), 70 Prozent davon Kinder und Frauen.

Die schwersten Angriffe Israels finden im Moment in Khan Younis, im Süden, und in den Gebieten Ash Shuja'iyeh, At Tuffah und Ad Darraj in Gaza-Stadt statt. Die Notaufnahme des Al-Shifa-Krankenhauses im nördlichen Gazastreifen sei ein "Blutbad" und die Einrichtung müsse "wiederbelebt" werden, so die Warnung der Weltgesundheitsorganisation WHO.

Netanjahu hat angekündigt, den "Krieg gegen die Hamas" über Monate weiterführen zu wollen. Die Frage ist, wie lange die Biden-Regierung in den USA noch an der Seitenlinie verharren kann.

Denn angesichts der Eskalation im Roten Meer, abgesehen von der humanitären Katastrophe, dem internationalen Image- und dem inländischen Popularitätsverlust, der wiederum Auswirkungen hat auf die US-Interessen im Nahen Osten und in der Welt sowie für Bidens Bewerbung um die Präsidentschaft im nächsten Jahr, wird der Gaza-Krieg für das Weiße Haus zunehmend zu einer Lose-Lose-Situation.

Aber bisher gibt es noch keine wirklichen Anzeichen für einen Kurswechsel Washingtons.