Von der Arztpraxis zur MVZ: Wie hohe Renditen mit der Gesundheit erzielt werden
Facharztpraxen werden inzwischen häufig von Finanzinvestoren betrieben. Sie dringen inzwischen in alle medizinischen Bereiche vor. Wie kam es zu dieser Entwicklung?
Immer wieder wird gefordert, die in den vergangenen Jahren privatisierten Kliniken in die öffentliche Hand zu übernehmen. Bei der ganzen Diskussion um die Privatisierung der medizinischen Versorgung wird aber oft übersehen, dass die rasante Zunahme von Facharztketten schon bald zu viel gravierenderen Problemen führen kann.
Wo man sich früher einen Facharzt aussuchen konnte, hat man es heute in manchen Städten bereits mit einem Monopolisten zu tun. Deren Inhaber sind in erster Linie auf Gewinnoptimierung bedacht, denn sie müssen die Kosten für die Praxisübernahme erwirtschaften. Gelingt dies nicht, besteht die Gefahr, dass die Finanzierung scheitert und die Praxen geschlossen werden.
Traditionell steht die Gesundheitsversorgung in Deutschland auf zwei Säulen. Zwar stehen die niedergelassenen Ärzte für die ambulante Versorgung. Auf der anderen Seite stehen die Krankenhäuser und Kliniken, die für die stationäre Versorgung zuständig sind und keine ambulanten Leistungen anbieten dürfen.
Die MVZ als Einfallstor der Finanzinvestoren
Mit den Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) ist Bewegung in diese traditionelle Arbeitsteilung gekommen. Die MVZ wurden im Zuge der Gesundheitsreform 2003 eingeführt, um die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und damit die Lohnnebenkosten dauerhaft zu senken. Seit 2004 können neben niedergelassenen Vertragsärzten in Einzelpraxen oder Praxisgemeinschaften auch MVZ an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen.
Das Gesetz beabsichtigte damals die Verbesserung der fachärztlichen Versorgung, ermöglichte jedoch auch Krankenhäusern, ambulante Behandlungen durchzuführen, was bis damals nicht zu ihren Aufgabenfeldern zählte.
Gerade die privatisierten Krankenhausketten wollten sich dieses Geschäftsfeld nicht entgehen lassen. Und so finden sich heute im Helios-Konzern mehr als 230 MVZ, die ambulante Leistungen anbieten. Sie treten damit einerseits in Konkurrenz zu den niedergelassenen Fachärzten und anderseits schaffen sie die Verknüpfung zwischen ambulanten und stationären Angeboten, wie sie in anderen Ländern üblich sind.
Auch die Asklepios Kliniken, aus welchen die Helios Kliniken durch Abspaltung hervorgegangen sind, hat das Geschäftsfeld MVZ für sich entdeckt. Wie viele MVZ der Hamburger Konzern betreibt, lässt sich aufgrund der Konzernstruktur nicht ermitteln.
Das Vehikel der MVZ erlaubt – entgegen der ursprünglichen Planung – inzwischen auch reinen Finanzinvestoren, ihre Instrumente einzusetzen, um aus Arztpraxen gewinnoptimierte Gewerbebetriebe zu machen, die eine Rendite von bis zu 20 Prozent erwirtschaften sollen.
Das ″medizinische Reservoir″ für diese Entwicklung speist sich aus drei Quellen. Einmal sind es Facharztpraxen, deren Inhaber sich nicht rechtzeitig oder letztlich erfolglos um eine Nachfolgeregelung gekümmert haben. Jedoch lassen sich junge Ärzte heute wohl lieber anstellen, als selbst eine Praxis zu gründen.
Hinzu kommt das vagabundierende Kapital, das jede renditeträchtige Gelegenheit ergreift, um aus Geld noch mehr Geld zu machen. Diese für alle, die nicht davon profitieren, eher unglückliche Mischung führt hauptsächlich in der Landschaft der Facharztpraxen zu einer echten Zeitenwende.
Die Tatsache, dass potente Finanzinvestoren derzeit die Branche aufmischen, hat hinsichtlich der Nachfolgeregelungen bei Praxen den Effekt, dass es insbesondere in Ballungsgebieten für junge Mediziner kaum mehr möglich sein soll, sich selbstständig niederzulassen. Denn die großen Ketten würden hohe Summen für Arztsitze bieten. Da die Praxen streng reguliert sind, ist es nicht möglich eine neue Praxis in einem Gebiet zu eröffnen, das als gut versorgt gilt.
Aussichten der kapitalorientierten Facharztketten
Waren es anfangs primär Augen- und Zahnarztpraxen, so haben Investoren inzwischen auch Hausarzt- und Orthopädiepraxen als Renditeobjekte entdeckt. Aber auch Kardiologen, Radiologen und Nierenfachärzte sind inzwischen von der Bildung von Facharztpraxisketten betroffen.
Bei den Augenärzten zeigt sich folgendes Muster: Finanzinvestoren kaufen Augen-OP-Zentren und Augenarztpraxen in deren räumlichem Umfeld auf. Diese werden dann wie ein Staubsauger genutzt, um Patienten für teure Operationen in die eigenen Kliniken zu lotsen.
Ob diese so eingeworbenen Operationen für den Patienten notwendig oder zumindest hilfreich sind, ist dabei nicht entscheidend. Wichtig ist die Rendite, denn die Finanzierung der Praxisübernahmen erfolgte meist über Kredite, die im nächsten Schritt auf die übernommene Praxis übertragen wurden.
Steigen dann die Zinsen für diese Kredite, droht die Insolvenz und die fachärztliche Versorgung einer ganzen Region steht auf dem Spiel, wenn die regionale Kette in die Insolvenz geschickt wird.
Die Digitalisierung sowie die sogenannte Telemedizin sind jetzt die nächsten Felder, die sich die Investoren erobern wollen.
Hier ist die ursprünglich als ″Zur Rose-Gruppe″ in der Schweiz entstandene und seit Mai 2023 unter dem Namen ″DocMorris″ firmierende Unternehmensgruppe mit der Übernahme der Teleclinic schon im Markt der Telemedizin. Zur Auslastung ihrer vorhandenen Personalkapazitäten und zur Akquisition von neuen OP-Patienten werden sich die Facharztketten in nächster Zeit auch in der Telemedizin etablieren.
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