Vor 35 Jahren begann die Laufbahn des Ego-Shooters
Kein Genre ist so umstritten wie der First-Person-Shooter. Die einen empfinden ihn als höchste Game-Erfahrung, die andren bemühen sich, ihm ein Image als Trigger zum Amoklauf aufzuoktroyieren
Es ist nicht zu erörtern, wer den ersten Ego-Shooter entwickelte. Programmierer betraten in der Pionierzeit elektronischer Unterhaltung meist aus Jux neues Terrain. Die drei Studenten Steve Colley, Greg Thompson und Howard Palmer legten 1972 mit „Maze War“ den Grundstein. Während seines Praktikums bei der NASA schrieb Colley auf dem Minicomputer Imlac PDS-1 ein dreidimensionales Labyrinth, durch das er navigieren konnte - was ihm und seinen Kommilitonen auf Dauer zu öde erschien. Um mehr draus zu machen, verbanden sie zwei Imlacs und jagten einander. Die Kombination aus Ballern und direkter Sicht aufs Geschehen war genau die Intensitätssteigerung, die die Shooter-Art ausmacht.
Kurze Zeit später entstand das Weltraumschießspiel „Spasism“, das noch dazu in einem der ersten Universitäts-Netzwerke, dem PLATO-Network, mit bis zu 32 Mann aus der Ich-Sicht gespielt werden konnte. Wenige nennenswerte Klone mit variablen „Grafikeffekten“ und Panzersimulationen in Vektorgrafik folgten, die allesamt aus der Erste-Person-Perspektive gespielt wurden, wie „Panther“ (1975) oder Ataris Münzautomatenspiel Battlezone (1980).
Ein kleiner Hit, der dem First-Person-Shooter nach heutigem Verständnis wichtige Elemente hinzufügte, kam Jahre später. Die LAN-vernetzte Labyrinth-Schießerei MIDI Maze weist historisch wertend ausreichende Definitionsmerkmale eines echten Egoshooters auf. Dieses 1987 von Hybrid Arts veröffentlichte Netzwerkspiel für Atari ST war eine Innovation, da es für bis zu 16 via MIDI-Schnittstelle miteinander verbundene Rechner ausgelegt war und zum Vorläufer des Multiplayer-Fangspielmodus „Deathmatch“ wurde.
Prinzipiell ging es darum, den Gegner zu jagen. Jeder Spieler steuerte einen Smiley durch die Gänge des Labyrinths, weshalb MIDI Maze stark ans damals noch allgegenwärtige Pacman erinnerte. Statt zu fressen wurde geschossen. Ziel war das Erreichen einer vorgegebenen Punktezahl. Eine Anzeige am Bildschirmrand zeigte, wie oft ein Treffer gelandet wurde und wie viele Gegner der Spieler eliminiert hatte. Jedes Leben konnte zwei Schuss einstecken, die Verabreichung eines dritten wurde als „Kill“ gewertet und versetzte den Getroffenen an einen anderen Punkt des Labyrinths, von dem er seine Jagd fortsetzte. Seitdem hat sich grundsätzlich nichts am Deathmatch geändert.
Den modernen Ego-Shooter, wie er heute gespielt wird, erfanden streng genommen erst Spieldesigner John Romero und Programmierer John Carmack 1992: Das Ami-jagt-Nazi-Game „Castle Wolfenstein 3D“ erreichte ein Massenpublikum. ID Software gelang ein kommerzieller Erfolg, dem hier zu Lande Einhalt geboten wurde. Aufgrund seiner nicht gerade spärlich verwendeten Nazi-Symbolik (Hakenkreuze, Horst Wessel-Lied) wurde das Spiel 1994 in Deutschland beschlagnahmt.
1993 erschien der nächste Titel aus dem Softwarehaus: „Doom“ wurde zum Synonym fürs gesamte Genre und diesmal von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjS) wegen starker Gewaltdarstellung ebenso indiziert wie sein Nachfolger Doom II (1994) und weitere Genre-Klassiker wie Duke Nukem 3D (1996) und Quake (1996), das als erster Ego-Shooter auch die Gegner in dreidimensionaler Polygon-Optik statt flächiger 2D-Sprites darstellte. Während in einigen anderen Ländern die Games gleichsam zensiert oder indiziert wurden, waren Kritikern in den USA, dem Land privater Schusswaffen, in erster Linie die eingestreuten vermeintlich "pornografischen" Darstellungen von „Duke Nukem 3D“ ein Dorn im Auge. Sogar Bill Gates zeigte sich schwärmerisch von „Doom“ und warb damit für Windows 95.
Mit Valves Half Life (1998, ab 16 Jahren) kam ein neuer Trend auf und sorgte für die allgemeine Weiterentwicklung des gesamten Genres bzw. der Aufsplitterung in Untergenres. Half Life erzählte in Zwischensequenzen erstmals eine Geschichte. Horror- und Science-Fiction-Autor Marc Laidlaw erfand die Story um Physiker Gordon Freeman, der nach einem Unfall in einem Geheimlabor vor Aliens und der Armee flieht. Das Game wurde zum Vorbild jedes Ego-Shooters mit cineastischen Ambitionen.
Entgegengesetzt entwickelten sich die Untergenres aus Verfeinerungen der Ursprungsvarianten des First-Person-Shooters. Taktische Multiplayer-Online-Gefechte wie Unreal Tournament (1999, in D. indiziert) oder der berühmte Half Life-Fan-Mod Counter Strike (2001, keine Jugendfreigabe) unterhalten anders, als die auf schnelle Geschicklichkeit setzenden Ballerorgien wie Serious Sam (2001, ab 16 Jahren) oder Painkiller (2004, keine Jugendfreigabe).
Science-Fiction- (Halo, 2001, ab 16 Jahren) oder Weltkriegsszenarien (Call of Duty, 2003, keine Jugendfreigabe) bestimmen heute den Markt der Ego-Shooter. Wie zensiert wird, zeigte sich beim jüngst erschienenen Spiel-zum-Comic The Darkness (keine Jugendfreigabe). Die Story handelt von Mafia-Frischling Jackie Estacado, der zum 21. Geburtstag von einer dunkeln Macht in Besitz genommen wird. Seine neuen Kräfte - u. a. ein Kobold, der ihm auf Ruf zur Seite steht, ein herbeigezaubertes Schwarzes Loch und zwei bissige Tentakel - nutzt er zum Rachefeldzug gegen eine verfeindete Verbrecherfamilie. In der internationalen Version des Spiels schießen die Schlangenarme vor und greifen sich das Herz der Gegner; hier zu Lande bekommen sie nur die Seele zu essen.
Der Ego-Shooter ist insgesamt vielleicht das spannendste aller Game-Genres, auch ohne Darstellung von Gewalt. Radikale Gegner fordern hier zu Lande dennoch weitreichende Zensur, mit der das erwachsene Unterhaltungsmedium wenigstens in nationalem Rahmen auf Kindernivea gepresst werden soll. Denn obwohl die USK viele Titel nur einem Publikum ab 18 Jahren, bzw. der in mehr als 30 Jahren kommerzieller Videospielgeschichte mitgealterten Spielerschaft zugänglich machen will, gelangen Minderjährige Umfragen zufolge ohne große Hürden an jegliche Wunschartikel.
Ob sich beim Spielen von First-Person-Shootern ein Schräubchen lockert oder nur ein bestehender Riss in der Psyche vorbelasteter Ausnahmepersonen verstärkt wird, ist nicht offiziell bewiesen. Aus jüngsten Studien weiß man jedoch, dass nicht die Gewalteffekte motivierend wirken, sondern, wie z.B. e-Sportler der World Cyber Games oder der Electronic Sports League beschreiben, ausschließlich das Kräftemessen in Reaktionsschnelligkeit, Zielsicherheit, dem situationsabhängigen Umgang mit verschiedenen Waffenarten, der Steuerungsgeschicklichkeit und der Kenntnis der jeweiligen Levels.