Vorläufiger Showdown in Darjeeling
Im indischen Darjeeling zeigt sich gerade, dass auch verbohrte Unabhängigkeitsbefürworter verstehen können, dass Dialog der bessere Weg ist
Auf dem Chowrastar-Platz in Darjeeling herrscht immer noch Schläfrigkeit. Als könnten die Bewohner nicht wirklich glauben, dass der 104 Tage andauernde Streik schon seit 14 Tagen beendet ist. Auch die Touristen haben es noch nicht mitbekommen. Was keiner auf dem Platz ahnt: Zeitgleich durchkämmt 1700 Meter tiefer eine Polizeieinheit der West-Bengalischen Polizei den Wald um das Dorf Löngkkashor Busty am Chhota-Rangit-Fluss - das Versteck von Morcha-Führer Bimal Gurung.
Er war es, der die hiesige Bevölkerung vor 118 Tagen zum Streik aufgerufen hatte. Seine als gewalttätig gefürchteten Anhänger sorgten dafür, dass sich die Bevölkerung an den Aufruf hielt. Auch jetzt am Ufer des Chhota Rangit sollen es Gurungs Anhänger sein, die sich sofort zur Wehr setzten: Ein Polizist wird erschossen, 4 andere werden schwer verletzt. Über die toten Anhänger Gurungs gibt es unterschiedlichste Angaben. Dann kommt ein pensionierter Regierungsbeamter am Chowrasta auf mich zu und ballt die Faust: "Heute kriegen sie ihn, dann können wir wieder ohne Angst leben."
Schnell verbreitet sich die Nachricht von den Kämpfen. Vereinzelt eilen Bewohner mit vollen Einkaufstüten über den Platz. Die ersten Läden schließen. Doch dann passiert das Unerwartete. Die Läden öffnen wieder - immer mehr Menschen laufen mit einem auffälligen Lächeln herum. Es spricht sich herum, dass der Großteil der Morcha-Bewegung Gurung und seine Schlägertrupps nicht unterstützen wird. Auch 150 Meter tiefer am Busbahnhof und am Basar herrscht weiter reges Treiben. Es bilden sich immer mehr Kleingruppen, deren Mitglieder sich angeregt und auffällig heiter unterhalten - sich trotzdem ab und zu unsicher umschauen, ob sie auch keiner belauscht.
Vor fünf Tagen, bei meiner Ankunft, war die Stimmung eine andere: "Ich verzweifele an meinen Mitmenschen", sagte der pensionierte Regierungsangestellte zu mir, und setzte hinzu: "Unsere Teeindustrie ist am Boden. Der Tourismus ebenso. Die einfachen Arbeiter sind nicht nur seit über 3 Monaten ohne Einkommen, sondern hatten in dieser Zeit auch noch das Doppelte bis Dreifache für die Lebensmittel zu zahlen. Selbst daran haben Bimal Gurung und seine Anhänger noch verdient, denn sie waren es, die anfänglich bestimmt haben, wer während des Streiks Waren liefern durfte und wer nicht. Trotzdem reden immer noch einige in Darjeeling von einem Kampf für einen eigenen Gorkhastaat."
Der Konflikt begann in den 80er Jahren, als die ethnischen Gruppen der Nepalis/Gorkhas einen eigenen Bundesstaat forderten, weil sie sich von den Bengalen wie Menschen zweiter Klasse behandelt fühlten. Sie sammelten sich unter der Gorkha National Liberation Front (GNLF) und boten der indischen Regierung die Stirn. Erst 8 Jahre und 1200 Tote (Regierungszahlen) später kamen beide Seiten zur Besinnung und einigten sich in einem Abkommen auf eine gewisse Teilunabhängigkeit für die Bewohner Darjeelings und der Dooars (der umliegenden Täler).
Auslöser: Sprachenstreit an Schulen
"Drei Monate kein Einkommen. Aber die Ladenmiete durften wir bezahlen", schimpfte vor 4 Tagen die Restaurantbesitzerin Sonam zu mir. Während des Streiks hatten sie und ihr Mann sich mit anderen Geschäftsinhabern zusammen getan, Geld gesammelt, davon Lebensmittel gekauft und an die Armen der Stadt verteilt. "Wir hatten Jahre gebraucht, um uns von den schweren Streiks 2013 zu erholen. Dieses Jahr gab es dann endlich mal wieder eine sehr gute Frühlings- und Sommersaison, dann fängt dieser irre Gurung wieder zu zündeln an. Trotzdem gibt es immer noch Bewohner hier die nichts verstehen", seufzte Sonam.
Die bengalische Regierung hatte diesen Sommer veranlasst, das im nepalesisch sprechenden Darjeeling auch Bengalisch an den Schulen gelehrt wird. Das nutzte Bimal Gurung, um verloren gegangenen Boden gut zu machen und rief zum Streik auf. Obwohl Mamata Banerjee die Anordnung zurücknahm, setzte Gurung den Streik fort.
Gurung hat seinen Anhängern erzählt, dass es ein Gorkhaland braucht, damit das Geld direkt aus Delhi nach Darjeeling kommt - und das bedeutet, dass alle hier reich werden. Doch er wie andere Morcha-Führer verschweigen, dass neben dem Geld von der Bundesregierung schon etliche Sonderzahlungen der Zentralregierung aus Delhi nach Darjeeling geflossen sind.
Dass sich die Bergregion seit knapp 15 Jahren nicht entwickelt hat, liegt vor allen an ihren lokalen Führern. Ein riesiges Opernhaus, in der Bodybuilding-Shows und ähnliche Veranstaltungen stattfinden, ist alles, was die verschiedenen Morcha Führer in Darjeeling für die Bewohner geschaffen haben. Und selbst dabei haben sie sich verplant: Wer größer als 1,30 Meter ist, stößt sich im obersten Stockwerk der Oper den Kopf an.
Doch immer mehr Mitglieder der Gorkha Janmukti Morcha (GJM), die 2007 von Bimal Gurung gegründet wurde, haben verstanden, dass ihr derzeitiger Weg nicht weiter führt. Während Gurung tatenlos in seinem Versteck zusehen musste, traf sich sein Parteikollege Binay Tamang mit Mamata Banerjee - so wurde der Streik am 28. September beendet. Schon mehrfach hatte Mamata mit einer Mischung aus Härte und Entgegenkommen den Einfluss von Bimal Gurung zurück gedrängt. Das gelang ihr auch vor den Parlamentswahlen 2014, als der spätere Ministerpräsident Modi der GJM ihr Gorkhaland versprach, wenn sie dafür seinen Kandidaten unterstützten.
Vor ein paar Tagen nahm der neue GJM-Führer Binay Tamang sogar Polizeischutz der bengalischen Regierung an - Bimal Gurung soll ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt haben. Dass solche Anschuldigungen nicht aus der Luft gegriffen sind, musste 2010 ein anderer Konkurrent von Gurung erfahren: In der Nähe des Chowrasta wurde Madan Tamang von Anhängern Gurungs zu Tode gehackt.
Bimal Gurung konnte entkommen
Einen Tag nach den gestrigen Kämpfen in und um Löngkkashor Busty ist nur klar, dass Bimal Gurung entkommen ist. Doch die westbengalische Polizei hat weitere Kräfte zu seiner Ergreifung an den Chhota Rangit gesendet. Hinzu kommt, dass sich die Mehrzahl der Morcha-Bewegung von ihm abgewendet hat. Über die Anzahl seiner getöteten Anhänger herrscht von Seiten der bengalischen Regierung Schweigen - inoffiziell sollen es mindestens fünf sein.
Dass von Regierungsseite schon wieder Verbindungen von Gurung zu maoistischen Gruppen festgestellt werden, ist ebenfalls alles andere als vertrauenswürdig: Da die Morcha-Bewegung auf regionalen Patriotismus und Populismus setzt, scheint es unwahrscheinlich, dass sie mit maoistischen Rebellengruppen zusammenarbeitet, die Indiens Regierung schwerer zu schaffen machen als etwa islamistische Gruppen. Auch die frisch gestreuten Anschuldigungen indischer Geheimdienste, dass China hinter dem Aufruhr steckt, gehört wohl zur üblichen Propaganda dieser Dienste.
Auch wenn Mamata die Kontrolle über die Situation zurückgewonnen hat, sollte sie sich nicht zu sicher sein und den Menschen hier weiter entgegenkommen: Ein völlig autonomes Hill Council wäre das mindeste. Am 16. Oktober hat die Zentralregierung in Delhi die Morcha-Führer zu sich geladen. Doch auch die sollten mittlerweile verstanden haben, dass Streiks gegen den Willen der Mehrheit der Menschen, zu dessen Besten sie angeblich einen eigenen Staat namens Gorkhaland fordern, kontraproduktiv sind.