WHO-Pandemievertrag: Die Zukunft der globalen Gesundheitspolitik und das Misstrauen
Kompetenzerweiterung der WHO: Ein kritisches Gespräch mit Andrej Hunko (BSW) über zukünftige Pandemiepolitik, Teil 1.
Es ist ein neues Ereignis von internationaler Tragweite: Auf der 77. Weltgesundheitsversammlung (WHA) in Genf, die vom 27. Mai bis zum 1. Juni stattfindet, werden aller Voraussicht nach schwerwiegende Entscheidungen gefällt.
Sie betreffen die Reform des internationalen Gesundheitssystems und die Stärkung der Kompetenzen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), speziell im Hinblick auf den Umgang mit künftig erwarteten Pandemien. Damit nähert sich ein langwieriger Prozess seinem Ende, dessen Ursprung in der Corona-Krise zu finden ist.
Gesundheitssicherheit: "Lücken schließen"
So klagte der Generaldirektor der WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, im April 2022 [1] über einen "Flickenteppich" unterschiedlicher staatlicher Antworten auf die Corona-Krise, der "ernstzunehmende Lücken in der globalen Architektur der Gesundheitssicherheit (global health security architecture) offenbart" habe.
Eine Reaktion schien unabwendbar. Und zu diesem Zeitpunkt war sie auch bereits auf den Weg gebracht. Denn die WHA hatte schon im Dezember 2021 die "historische Entscheidung" getroffen, besagte Lücken endgültig zu schließen.
Und zwar in Gestalt eines völkerrechtlichen Vertrags, in dem sich die unterzeichnenden Staaten dazu verpflichteten, die von der WHO festgelegten Gesundheitsregeln zu befolgen. Dazu konnte nur ein Vertrag mit völkerrechtlicher Bindungskraft imstande sein, wie man damals ausdrücklich betonte.
Pandemievertrag und Internationale Gesundheitsvorschriften
Damit schlug die Geburtsstunde des "WHO-Übereinkommens, Abkommens oder anderweitig internationalen Instruments zur Pandemieprävention, -vorsorge und -bekämpfung". Auch bekannt unter dem Namen "Pandemievertrag".
Jenen Geist einer globalen, verbindlichen "Sicherheitsarchitektur" im Gesundheitswesen atmen auch die Vorschläge zur Reform der WHO-internen Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV), über die die Weltgesundheitsversammlung (WHA) Ende Mai ebenfalls abstimmen wird. Diese bilden laut WHO
"einen übergreifenden Rechtsrahmen, der die Rechte und Pflichten der Länder bei der Bewältigung von Ereignissen und Notfällen im Bereich der öffentlichen Gesundheit festlegt, welche das Potenzial haben, Grenzen zu überschreiten." WHO [2]
Der Pandemievertrag liegt bisher nur als Erstentwurf ("zero draft" [3]) vor. Im Mai soll der WHA die Endfassung präsentiert werden.
Dann werden die Länder die erste und einzige Gelegenheit haben, über den Vertrag abzustimmen – zusammen mit den Änderungen der IGV. Für ersteren bedarf es [4] einer Zwei-Drittel-Mehrheit, für letztere nur einer einfachen Mehrheit der an der WHA teilnehmenden Gesundheitsminister der Länder.
An beiden Reformvorschlägen gibt es massive Kritik (eine ausgiebige wissenschaftliche Analyse dazu finden Sie hier [5], auf Englisch).
Im Fokus der Kritik: Der Einfluss privater Akteure
Diese Kritik kommt aber nicht von der Mehrheit der Parteien im Bundestag, sondern von einer Minderheit, zu der neben Vertretern der AfD auch Andrej Hunko (BSW) zählt.
Telepolis hat mit Hunko über die schwerwiegenden Entscheidungen in Genf gesprochen.
Dieser Bericht hat damals überaus scharfe Kritik an Interessenskonflikten in der WHO ausgeübt.
Der "Fehlalarm" von 2009
Die Pandemie kam also einer riesigen Marketingstrategie der Impfstoffhersteller gleich.
Nur eine Minderheit hat sich damals (zumeist mit dem Präparat Pandemrix, d. A.) impfen lassen, die Leute haben sich auch recht schnell, individuell sozusagen, Entwarnung gegeben. Und sie hatten recht damit.
Möglich, daraus eine so große Sache zu machen, war es nur, weil die WHO damals ihre Kriterien zur Ausrufung einer Pandemie geändert hatte. Man hat sich damals vom Kriterium der Krankheitsschwere verabschiedet und sich nur auf den Ausbreitungsgrad konzentriert. Und dazu kam eben, dass die WHO durchsetzt war mit Interessenskonflikten.
Im Nachgang konnte das British Medical Journal (BMJ) der UN-Organisation solche aber dennoch nachweisen [12], speziell die Geldflüsse von Impfstoffherstellern an den niederländischen Virologen Albert Osterhaus rückten dabei in den Fokus [13].
Das wurde damals auch ganz offen diskutiert, auch in den deutschen Medien. Das war eine völlig legitime Kritik am Einfluss von Großkonzernen. Ein ganz anderes Diskursklima als später in der Corona-Pandemie. Die Aggression ab März 2020 gegen Kritiker gab es damals nicht.
"Mein Austritt aus der Linken hat viel damit zu tun, wie in der Corona-Zeit agiert wurde"
Ein gesundheitspolitischer Sprecher der Linksfraktion hat mir damals nahegelegt, dass ich mit der Kritik nicht übertreiben soll, man muss doch gegen die Impfstoffmüdigkeit vorgehen, hat er gesagt. Aber das war es dann.
Niemand hatte die Schweinegrippen-Panik im Nachhinein verteidigt. Und dann hatte ich immer mehr den Eindruck, dass durch die deutlichen Stellungnahmen, etwa des Europarates, ein ähnlich verantwortungsloser Umgang mit Pandemien erst mal vom Tisch ist. Deshalb war das Thema WHO auch erst mal für mich nicht vordringlich. Bis jetzt.
Was mich von Anfang an aber stutzig gemacht hat, war der vollständige Verzicht auf Herstellung von Evidenz. Ich hatte im April 2020 schon die Erhebung besserer Daten und eine Kohortenstudie gefordert [16].
Das wurde ignoriert. Umso willkürlicher waren dann die Grundrechtseinschränkungen, die man vorgenommen hat. Und es gab ja auch Einschätzungen der Letalität.
Die Größenordnung von 0,34 Prozent aus der Heinsberg-Studie hat sich im Übrigen auch mit meinen Kontakten zum Gesundheitsministerium in Island gedeckt. Dort ist man ja einen ähnlichen Kurs gefahren wie Schweden.
Dann gab es noch die Studien von John P. A. Ioannidis. Bei der jährlichen Influenza liegt die Letalität weit unter 0,1 Prozent, die bei Sars-CoV-2 natürlich deutlich höher. Ich hatte das damals auf dem Niveau der Hongkong-Grippe 1968/69 eingestuft, aber deutlich niedriger als etwa die Spanische Grippe nach dem 1. Weltkrieg.
Der Begriff "Inzidenz" etwa war vormals eher an symptomatische Krankheitsfälle gebunden. Die Inzidenz, an der man die Maßnahmen festgemacht hat, waren aber positive Testergebnisse. "Asymptomatisch infiziert" nannte man das. Und gleiches gilt für die Letalität, wo die Todesursache auch nicht mit dem positiven Testergebnis zusammenfallen musste. Das hat auch später niemand mehr bestritten.
So konnten etwa auch Opfer von Verkehrsunfällen in die Statistik aufgenommen werden. Das habe ich auch immer kritisch angemerkt.
Aber das heißt trotzdem nicht, dass es keine Pandemie gab. Sie wurde nur viel dramatischer dargestellt, als sie war.
Nach einer Rede [17] auf einer Kundgebung im Mai 2020 brach dann schon die Hölle über mir los. Ich hätte mit Nazis demonstriert, hieß es. Obwohl auf den Kundgebungen, auf denen ich war, kein einziger dabei gewesen war. Das wurde auch innerhalb der Partei munter geframed und entsprechend blind attackiert.
Was dann in den nächsten zwei Jahren an gesellschaftlichen Entwicklungen passiert ist, finde ich noch heute unfassbar. Ich erinnere mich etwa an den 29. August 2020. Da gab es in Berlin die große Demo, wo Robert F. Kennedy junior gesprochen hat. Später gab es auch den sogenannten Sturm auf den Reichstag, das war allerdings eine andere Kundgebung.
Wir hatten zu der Zeit unsere erste, wieder physische, Parteivorstandssitzung. In Ostberlin. Und die Atmosphäre war gespenstisch. Man hat überhaupt nicht über die Demo gesprochen. Niemand hat versucht, den Charakter einer Demo mit 100.000 Teilnehmern zu analysieren. Aber jeder bekam für ein Foto ein Schild "mit Nazis demonstriert man nicht" in die Hand.
Ich habe das aber natürlich nicht mitgemacht. Genauso wie die anderen Leute, die jetzt nicht mehr bei der Linken sind. Ich hab während der Sitzung sogar SMS von der Demo bekommen à la "ich bin auf der Demo, sag’s aber bitte nicht weiter".
Das ist doch verrückt in einer Demokratie, habe ich gedacht. All das hat meine Entfremdung mit der Partei beschleunigt. Und im Europarat war es ähnlich.
Auf diese Resolution haben viele Kritiker hingewiesen, als die Impfpflicht eingeführt werden sollte. Und das wurde dann auch für die Regierung zum Ärgernis.
Was aber viel wichtiger ist: Dieser Punkt in der Resolution wurde im Januar 2022 aufgehoben und durch eine neue Resolution ersetzt, die eine allgemeine Impfpflicht ermöglicht hat (siehe hier [19], Punkt 9.4.3, Anm. d. A.).
Diese Änderung ist in einer Nacht-und-Nebel-Aktion im Ausschuss eingebracht worden. Das wurde irgendwem irgendwie plötzlich nahegelegt und dann kurzfristig angekündigt. Ich habe mich da auch sofort dagegen gewehrt im Ausschuss und später der Versammlung, war aber in der Minderheit. Und wenn so was einmal durch den Ausschuss ist, ist das schwer in der Versammlung zu stoppen.
"Wir brauchen dringend eine Aufarbeitung der Corona-Krise."
Zum Beispiel die 2G-Regelung, mit der rund 20 Millionen Menschen ohne wissenschaftliche Grundlage aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen wurden. Obwohl es nie eine Evidenz für eine sterile Immunität gab.
Das muss aufgearbeitet werden, am besten international, unter Berücksichtigung der Rolle der WHO. Aber das findet nicht statt.
Deshalb bin ich dafür, dass man die beiden Vertragswerke in der WHO erst mal zurückstellt. Weil es jetzt natürlich ein erhebliches Misstrauen in der Bevölkerung, und das hat reale Grundlagen.
Ich bekomme jeden Tag Mails zu den Gesundheitsreformen der WHO. Erst gestern hat mir jemand mit Verweis auf den Pandemievertrag geschrieben "Deutschland muss sofort aus WHO und UN austreten."
Die Meinung teile ich überhaupt nicht, aber das entsteht natürlich aus diesem Misstrauen. Deshalb braucht es Transparenz und Aufarbeitung Gerade bei diesem Prozess herrscht die aber nicht vor.
Da kam für mich wieder die Frage "Willst du jetzt wieder der Einzige sein, der aus der Reihe tanzt?" und dann habe ich mich eben auch enthalten. Der Antrag hatte aber auch einen kuriosen Dreh: Die Antragsteller (der Ampel-Fraktionen, Anm. d. V.) haben ja eine Kritik aufgegriffen, die ich seit 2010 äußere: dass nur noch um die 20 Prozent des WHO-Budgets reguläre öffentliche Beiträge sind.
Den Großteil übernehmen private Stiftungen wie die Bill & Melinda Gates Foundation oder die Impfallianz GAVI, und zusätzlich rein zweckgebundene Spenden der Staaten. Auch im Europarat gibt es Bestrebungen, private Gelder einfließen zu lassen.
SPD und Grüne reagieren also auf die von vielen vorgebrachte Kritik mit einer Stärkung der Mitgliedsbeiträge. Ich habe aber immer gesagt: Solange der gesundheitsfremde Einfluss so stark ist, werde ich nicht zustimmen.
Die Voraussetzung für eine Kompetenzerweiterung der WHO ist erstens die Befreiung von gesundheitsfremden, privaten Interessen und zweitens eine Aufarbeitung der Corona-Zeit.
Andrej Konstantin Hunko hat ukrainische Vorfahren und ist in Aachen aufgewachsen. Seit 2009 ist der 60-jährige Bundestagsabgeordneter – bis 2023 für die Fraktion der Linken, wo er 2020/2021 auch stellvertretender Fraktionsvorsitzender war. Ende 2023 wechselt Hunko in das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht.
Außerdem ist der gebürtige Münchner seit 2010 Mitglied des Sozial- und Gesundheitsausschusses der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Dort hat er bereits 2010 an einem Bericht mitgewirkt, in welchem die WHO für ihre Rolle in der sogenannten Schweinegrippe-Pandemie scharf kritisiert wurde. Seit 2023 ist Hunko Vorsitzender der Fraktion der dortigen Vereinigten Europäischen Linken (UEL).
Seit mittlerweile zwei Wochen vertritt Hunko das BSW auch im Gesundheitsausschuss des deutschen Bundestags. Die Reform des internationalen Gesundheitssystems bezeichnet er als "eines der zentralen Themen der aktuellen Gesundheitspolitik".
Weiter geht es in Teil 2: "Im Augenblick scheint es weniger um Gesundheit zu gehen, sondern um Kontrolle"
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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.who.int/director-general/speeches/detail/who-director-general-s-opening-remarks-at-the-public-hearing-regarding-a-new-international-instrument-on-pandemic-preparedness-and-response---12-april-2022
[2] https://www.who.int/health-topics/international-health-regulations%20/l%20tab=tab_1
[3] https://apps.who.int/gb/inb/pdf_files/inb4/A_INB4_3-en.pdf
[4] https://www.swp-berlin.org/publikation/lawmaking-at-the-who-amendments-to-the-international-health-regulations-and-a-new-pandemic-treaty-after-covid-19
[5] https://www.researchgate.net/publication/360757268_Do_we_need_to_protect_the_entire_world_population_from_health_threats_through_one_global_biomedical_surveillance_and_response_system_-A_human_rights-based_comment_on_the_proposed_WHO_treaty_on_pandemi
[6] https://www.hintergrund.de/kurzmeldung/bundestag-debattiert-ueber-who-pandemievertrag/
[7] https://apps.who.int/gb/wgihr/pdf_files/wgihr2/A_WGIHR2_7-en.pdf
[8] http://web.archive.org/web/20230523135803/https://www.bundestag.de/parlament/plenum/abstimmung/abstimmung?id=851
[9] https://pace.coe.int/en/files/12720
[10] http://web.archive.org/web/20220117182727/http:/www.senat.fr/rap/r09-685-2/r09-685-2_mono.html#toc32
[11] https://www.welt.de/gesundheit/article8385860/Die-vergessene-Hysterie-um-die-Schweinegrippe.html
[12] http://web.archive.org/web/20120809081513/http://www.bmj.com/content/340/bmj.c2912
[13] https://www.lobbycontrol.de/nebeneinkuenfte/schweinegrippe-dr-flu-beschaftigt-niederlandischen-untersuchungsausschuss-3013/
[14] https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Andrej_Hunko_im_Bundestag_(2020).jpg
[15] https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.en
[16] https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/opposition-fordert-bessere-daten-und-studien-zu-corona-li.81087
[17] https://www.andrej-hunko.de/en/start-3/aktuell/4954-redemanuskript-gedanken-sind-frei?highlight=WyJyZWRlbWFudXNrcmlwdCJd
[18] https://de.m.wikipedia.org/wiki/Resolution_2361_zu_Covid-19-Impfungen:_ethische,_legale_und_praktische_Betrachtungen
[19] https://pace.coe.int/pdf/c3976d0e7ff6bac0ef57e6173f3ebe5fd9e704a8d2bed418af33b95d4e6cec05/res.%202424.pdf
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