WM 2022 in Katar: größer, teurer, blutiger

Seite 4: "Sportwashing": Bloß keinen Sponsor vergraulen

Sylvia Schenk ist seit 2017 Mitglied der Beratungsgruppe für Menschenrechte der Fifa. In dieser dürfen auch Vertreter von Coca Cola und Adidas mitmachen. "Der Coca Cola -Konzern hat eine lange und unrühmliche Tradition von Menschenrechtsverletzungen und gewerkschaftsfeindlichen Aggressionen, die tausende Beschäftigte auf der ganzen Welt an Leib und Leben gefährdet", schrieb der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) im Oktober 2020 in einer Einladung zu einer Veranstaltung in Frankfurt. Für die Fifa ist allerdings bedeutender, dass Coca Cola ein wichtiger Sponsor ist.

Die Funktion der Beratungsgruppe besteht scheinbar vornehmlich darin, auch Turnieren, die in Ländern stattfinden, in denen die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, Legitimation zu verleihen. Sie stellt sich damit in den Dienst der Politik des "Sportwashing".

Die Fifa behauptet, sportliche Großveranstaltungen würden zur Demokratisierung von Aurichterländern wie Katar beitragen. Ähnlich argumentiert auch das Internationale Olympische Komitee (IOC). Abgesehen davon, dass dies der Fifa und dem IOC immer erst dann einfällt, wenn die Austragungsorte in die Kritik geraten: Geklappt hat dies noch nie - nicht in Peking 2008 und auch nicht in Russland 2018. Sowohl die Olympischen Spiele wie die Fußballweltmeisterschaft waren ein propagandistischer Triumph für die jeweiligen Regime und stabilisierten die herrschenden Verhältnisse.

Für Fifa und IOC sind die Menschenrechte zeitlich teilbar. Aber die Sichtweise des kritischen Fans sollte über den unmittelbaren Kontext eines WM-Turniers hinausgehen. Auch zeitlich sind Menschenrechte unteilbar. Eine Diktatur, die lediglich für vier Wochen ein freundliches Gesicht zeigt, bleibt eine Diktatur.

Eng begrenztes Bekenntnis zu Menschenrechten

Schenk und die Fifa konzentrieren die Debatte über Katar 2022 bewusst auf den Bau der Stadien. Im "Bekenntnis der Fifa zu den Menschenrechten" vom Mai 2017 heißt es: "Die Fifa ist bestrebt, negative Auswirkungen auf die Menschenrechte, die über ihre Geschäftsbeziehungen einen direkten Bezug zu ihren Tätigkeiten, Produkten oder Dienstleistungen haben, zu vermeiden oder einzudämmen."

Dies bedeutet: Nur dort, wo die Fifa durch die WM-Vergabe unmittelbarer Auslöser für Menschenrechtsverletzungen ist, sieht sie sich - wenn überhaupt - gefordert. Alles andere interessiert sie nicht. So kann man mit jeder Diktatur ins Geschäft kommen, solange diese zu kleineren Kompromissen im Vorfeld und während der Veranstaltung bereit ist. Das gelang 1936 sogar den Nazis.

Die Fifa und Schenk behaupten, dass sich die Arbeitsverhältnisse beim Bau der Stadien erheblich verbessert hätten. Die Berichte dazu unterscheiden sich: Amnesty International meldete vor einigen Tagen, Katar habe zwar in den letzten Jahren eine Reihe positiver Reformen durchgeführt, zum Teil als Reaktion auf die verstärkte Kontrolle nach der Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft. "Aber zu oft werden diese nicht richtig umgesetzt. Tausende von Arbeitsmigranten werden weiterhin ausgebeutet und missbraucht.

Die Vorschläge, die von Katars beratendem Shura-Rat debattiert würden, würden "einen Großteil des Fortschritts, den die Reformen gebracht haben, wieder zunichte machen, unter anderem durch die erneute Einschränkung der Rechte, den Arbeitsplatz zu wechseln und das Land zu verlassen".

Benjamin Best kommt in seinen Recherchen zu dem Ergebnis, "dass es auf den WM-Baustellen auch nochmal Unterschiede gibt. Es gibt Arbeiter, die über Subunternehmen angestellt sind und die weiter in unmenschlichen Verhältnissen leben. Mein Eindruck ist, dass sich die sogenannten Verbesserungen nur auf einen kleinen Teil der Arbeiter beziehen."

Dietrich Schulze-Marmeling ist Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte und zur Gegenwart des Fußballs. Er gehört zu den Initiatoren der Kampagne BoycottQatar2022.

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