WM in Katar: Vergabe auf Grundlage von Straftatbeständen?
"Investitionen" über mehrere Milliarden - Welche besondere Rolle Frankreich und eine Tafelrunde bei dieser WM spielte.
"Es gibt kein Bier auf Hawaii", behauptet ein volkstümliches Lied. Gibt es natürlich doch. Im Golfstaat Katar gibt es hingegen kein Bier, jedenfalls nicht an und in den Fußballstadien, wo am heutigen Sonntag der Anpfiff zur WM erfolgt. Das partielle Alkoholverbot – ausgeschenkt werden darf nur in den Fan-Zonen zu bestimmten Uhrzeiten und horrenden Preisen – ist dabei wirklich nur das geringste Problem.
Von A wie Arbeitsmigration, überwiegend aus Südasien, bis zu Z wie Zwangsarbeit oder jedenfalls sklavereiähnlichen Arbeitsbedingungen, die zum Tod von geschätzt 6.500 Arbeitskräften beim Bau der WM-Infrastruktur führten, reichen die vielerorts auf der Welt diskutierten Probleme. Mit Umweg über K wie Klimakatastrophe und künstliche Kühlung von Stadien mitsamt dafür erforderlichem Energieverbrauch.
Ein Land, das eine besondere Rolle bei dieser WM spielt, ist dabei Frankreich. Und dies nicht nur, weil das Land derzeit Titelverteidiger ist, weil die "Bleus" – die französische Nationalmannschaft – die vorige WM 2018 in Russland gewannen. Auch nicht nur, weil einer der Spitzenspieler, Karim Benzama, wegen einer Verletzung überraschend am Vorabend des Beginns ausfiel und aufgrund einer Trainerentscheidung vom Sonntagmorgen nicht ersetzt wird.
Denn während sich ein Teil der Welt fragt, wie man unter gegebenen Bedingungen – denen einer autoritären Monarchie, der Lage der Menschenrechte in dem Golfstaat – die Austragung des Sportereignisses an Katar vergeben konnte, liegt auch die Antwort auf diese Frage zum Gutteil in Frankreich.
Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft PNF
Und nicht nur dies. Die Hintergründe der Abläufe, die bei der Abstimmung im internationalen Fußballverband FIFA im Dezember 2010 zum Zuschlag für Katar – und gegen die Konkurrenzkandidatur der USA – führten, warten derzeit in Paris auf ihre strafrechtliche Bewertung.
Seit 2019 läuft ein Ermittlungsverfahren der auf Finanzdelikte spezialisierten Staatsanwaltschaft PNF (parquet national financier) dazu.
Ein bemerkenswertes Treffen im Elysée-Palast
Am 23. November 2010, also neun Tage vor der entscheidenden Abstimmung am darauffolgenden 02. Dezember, fand im Elysée-Palast ein Essen statt. Es versammelte laut einem Hintergrundbericht, den die Pariser Abendzeitung Le Monde diese Woche dazu publizierte, unter anderem Staatspräsident Nicolas Sarkozy, seinen damaligen Präsidialamtschef und späteren Innenminister Claude Guéant und seine Sportberaterin Sophie Dion, den damaligen Kronprinzen und jetzigen Emir von Katar – Tamim Al-Thani – und den seinerzeitigen Premierminister Hamad Ben Jassem Al Thani.
An der Tafel zugegen war auch Michel Platini, der vormalige französische Nationalspieler, damals Präsident des europäischen Fußballverbands UEFA und Vorstandsmitglied der FIFA. Platini war zuvor gegen die Bewerbung Katars, die er im Zusammenhang mit der Austragung der WM für unsinnig hielt.
Protokoll "wahrscheinlich bis November 2063" unter Verschluss
Von der Unterredung wurde ein Protokoll angefertigt. Dieses steht jedoch laut dem oben zitierten Bericht "mindestens bis November 2038, wahrscheinlich bis November 2063" im Nationalarchiv unter Verschluss.
Mehrere der Beteiligten wurden 2019 im Zuge des Untersuchungsverfahrens in Polizeigewahrsam vernommen. Die zuständige Staatsanwaltschaft vermutet einen "pacte de corruption": eine Verabredung zu ungesetzlicher Vorteilnahme.
Was in der Folge der Tafelrunde passierte
In der Folgezeit votierte Platini bei der FIFA-Sitzung für die Vergabe an Katar. Der Golfstaat erteilte französischen Unternehmen Aufträge über zig Milliarden Euro oder Dollar und investierte selbst weitere Milliarden in Frankreich, u.a. 2011 für den Kauf des Fußballvereins PSG.
Michel Platinis Sohn Laurent erhielt im selben Jahr 2011 – Zufälle gibt’s – einen lukrativen Beraterposten bei der Pilatus Sport MGMT, die dem katarischen Investmentsfonds QSI gehört.
Nicolas Sarkozy hielt ab 2012, dem Jahr seiner Abwahl aus dem Elysée-Palast, Vorträge für 100.000 bis 200.000 Dollar die Stunde in Katar. Eine Welt voll von Zufällen.
Unter anderem Dänemark hat beschlossen, kein politisches Personal zur WM nach Katar zu entsenden. Für Frankreich reiste Innenminister Gérald Darmanin – ein früherer Parteifreund Sarkozys, jetzt Minister Macrons - bereits vor Ort.
Zieht das Land mindestens ins Halbfinale ein, will auch sein Vorgesetzter, der jetzige Staatschef Emmanuel Macron, anreisen.