Wälder, Wale, Hamster: Was den Artenschwund befeuert – und wie er zu stoppen wäre
Holzeinschlag in Nationalparks, Gasförderung und Militärmanöver im Meeresschutzgebieten - häufig stehen Naturschutzziele nur auf dem Papier. In der Praxis gilt Business as usual
Intensive Tierhaltung, Gasfelder und Abholzungen bedrohen die Artenvielfalt in ganz Europa. Dies geht aus einem kürzlich veröffentlichten Report der Umweltorganisation Greenpeace hervor. Demnach werden in dreizehn EU-Ländern offizielle Naturschutzziele missachtet - auch in Deutschland.
So sei es zum Beipiel gängige Praxis, der Forstwirtschaft eine Sonderstellung einzuräumen, schreibt Rechtsanwältin Cornelia Ziehm in der Rechtlichen Analyse forstlicher Maßnahmen in Natura 2000-Gebieten, die im Auftrag von Greenpeace erstellt wurde.
Die konkrete Umsetzung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) erfolge in hohem Maße defizitär. FFH-Verträglichkeitsprüfungen erfolgen selbst dann nicht, wenn die Wälder offenkundig durch forstliche Maßnahmen beeinträchtigt werden, kritisiert die Autorin. Es fehlen verbindliche normative Vorgaben, immer wieder kommt es zu illegalen forstlichen Eingriffen. Dies sei mit dem geltenden Naturschutzrecht nicht vereinbar. All das bekräftigt einmal mehr das Vertragsverletzungsverfahren, dass kürzlich von der Europäischen Kommission gegen Deutschland eingeleitet wurde.
Obwohl mehr als zwei Drittel der Wälder in Deutschland einen formellen Schutzstatus haben, sind nur knapp drei Prozent der gesamten Waldfläche streng und rechtlich vor forstwirtschaftlichen Eingriffen wie Holzeinschlag geschützt. In den meisten Wäldern darf uneingeschränkt gefällt werden - auch in den Buchenwäldern, die zu geringem Teil im europäischen Schutzgebietsnetz der Natura 2000 Gebiete enthalten sind, lautet die Kritik von Greenpeace.
Natürlicherweise würden ein Viertel aller Buchenwälder weltweit in Deutschland wachsen. Heute bedecken Buchenwälder gerade mal noch sieben Prozent der ursprünglichen Fläche von 91 Millionen Hektar. Fast alle der in Deutschland vorkommenden natürlichen Buchenwaldtypen müssen als stark gefährdet eingestuft werden.
Werden die am stärksten gefährdeten Typen in den kommenden Jahren nicht angemessen geschützt, könnten sie für immer aussterben. Die aktuellen Maßnahmen zum Schutz der verbliebenen Buchenwälder hierzulande seien völlig unzureichend, kritisieren die Naturschützer.
Illegaler Holzeinschlag im Naturschutzgebiet
In den meisten deutschen Wäldern wird der kommerzielle Holzeinschlag nach wie vor vorangetrieben. Während das Verlassen von Wegen oder das Pflücken von Blumen in Naturschutzgebieten üblicherweise verboten ist, werden auch in Natura-2000-Waldgebieten Bäume für kommerzielle Zwecke abgeholzt. Dafür und für den Transport von Holz werden oft schwere Maschinen eingesetzt, die die Waldböden unnötig stark verdichten.
Ein Beispiel für unerlaubte forstliche Eingriffe ist der Thüringer Nationalpark Hainich. Das größte zusammenhängende Laubwaldgebiet Deutschlands umfasst insgesamt 13.000 Hektar. Im Süden liegt der 7.500 Hektar große Nationalpark. Biologen zählten im gesamten Gebiet 800 Gefäßpflanzen-, 1.600 Pilz- und 180 Vogelarten. Viele bedrohte Arten wie Wildkatzen und die Bechstein-Fledermaus, darüber hinaus sieben Spechtarten und stark gefährdete Totholzkäfer wurden hier beobachtet.
Der Nationalpark bietet zahlreichen Alt- und Totholzbewohnern Lebensraum, zum Beispiel den mehr als 450 holzbewohnenden Käfer- und zahlreichen Holzpilzarten. In den großen Offenlandflächen mit ihren Kleingewässern leben Braunkehlchen, Sperbergrasmücke, Neuntöter, Wendehals, Kammmolch, Laubfrosch, Gelbbauchunke sowie eine Vielzahl an Insektenarten.
"Im Rahmen der Waldbewirtschaftung in Natura 2000-Gebieten ist zuverlässig und nachprüfbar Vorsorge zu treffen, dass die geplanten forstlichen Maßnahmen nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen von Natura 2000-Schutzgütern führen", heißt es in einem Papier des Thüringer Landwirtschaftsministeriums von 2020.
Werden schwammige Verlautbarungen wie diese tatsächlich auch in die Praxis umgesetzt? Forstwirtschaftliche Maßnahmen würden die Erhaltungsziele der Gebiete nicht gefährden, beschwichtigen auf der andern Seite die Vertreter der Forstindustrie. Dies sei ein Freifahrtschein für den industriellen Holzeinschlag innerhalb eines geschützten Gebietes, kontert Greenpeace.
Der Schwerpunkt der Forstwirtschaft liegt immer noch auf der Holzproduktion, anstatt auf dem Schutz der Ökosysteme. Selbst in Wäldern, die sich im Besitz von Gemeinden und Ländern befinden, werden die Bürger selten in Entscheidungen darüber einbezogen, was in den Wäldern vor Ort geschieht.
Immer mehr Bürgerinitiativen setzen sich mittlerweile für den Schutz ihres Waldes und oder dessen nachhaltige Bewirtschaftung ein. Deutschland trägt eine globale Verantwortung für den Schutz dieser Wälder, die zunehmend unter dem Verlust der biologischen Vielfalt und der Klimakrise leiden. Sollen die Wälder uns durch die Klimakrise begleiten, müssen sie möglichst widerstandsfähig gegen Dürre, Stürme und andere Extremwettereignisse sein.
Geplante Gasförderung setzt kleinen Wal unter Druck
Schweinswale gelten als Indikator für den allgemeinen Zustand der Umwelt. Denn der Schweinswal frisst alte und schwache Tiere, so dass die Populationen seiner Beutetiere gesund bleiben. Zudem verhindert er, dass sich Arten, die dem Ökosystem schaden, zu stark verbreiten. Doch der kleine Wal gerät zunehmend unter Druck.
Im deutschen Teil der Nordsee schwimmen nur noch 20.000 Individuen, in der zentralen Ostsee gerade mal fünfhundert. Die Umweltbedingungen sind so schlecht, dass die einzige Walart, die in den Gewässern der Nord- und Ostsee heimisch ist, vom Aussterben bedroht ist.
Tausende von Tieren sterben allein jährlich als Beifang in den Netzen der Stellnetzfischerei. Hinzu kamen in den letzten Jahren militärische Übungen der Bundeswehr in sensiblen Schutzgebieten. 2019 war dies der Grund für den Tod Dutzender Schweinswale, weil im Schutzgebiet "Fehmarnbelt" Sprengungen während der Sommermonate durchgeführt wurden – genau zu der Zeit, in der die Wale ihre Jungen großziehen.
Gerade mal rund 0,01 Prozent der Gesamtfläche der Nord- und 0,25 Prozent der Ostsee sind strikt geschützt. Anstatt den Schutz zu erhöhen, sollen in der Nordsee nahe Borkum, an einem Hotspot für Schweinswale, neue Gasfelder erschlossen werden. Damit drohen den Meerestieren Lärm, Verschmutzungen und Unfälle, befürchten die Greenpeace-Experten.
Das von der niederländischen Firma ONE-Dyas geplante Gasprojekt bedroht nicht nur einzigartige Lebensräume wie das angrenzende Unesco-Weltnaturerbe Nationalpark Wattenmeer und dessen Artenvielfalt. Betroffen ist auch das Naturschutzgebiet Borkum, das mit 635 Quadratkilometern im Westen an die Niederlande grenzt und sich nach Südosten in den Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer fortsetzt.
Sandbänke und Riffe sind hier eng miteinander verzahnt. Kies-, Grobsand- und Schillgründe sind charakteristisch für das Gebiet und sorgen für einen hohen Artenreichtum und bieten Lebensraum für Schweinswale.
Die Gasförderung befeuert nicht nur den Klimawandel, sie wirkt sich auch negativ auf das Grundwasser aus, und die Erdbebengefahr steigt. Auch für Touristen würde die Region zunehmend unattraktiver, befürchten die Bewohner von Borkum. Dagegen spricht auch, dass das geförderte Gas für die aktuelle Krise ohnehin zu spät käme.
Denn das Gas stünde frühestens Ende 2024 zur Verfügung und würde gerade mal ein Prozent des deutschen Gasbedarfs decken. Gemeinsam mit Greenpeace protestierten Inselbewohner im Juli gegen das fossile Brennstoffprojekt.
Zudem reichten mehrere Umweltverbände wie die Deutsche Umwelthilfe, die Stadtverwaltungen der Inseln Borkum, Juist und Norderney Klage gegen das Gasprojekt ein. Zwar fehlt es in der Europäischen Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie nicht an Absichtserklärungen. Doch die Richtlinie, die seit 2008 in Kraft ist, ist eher ein zahnloser Tiger.
In den nächsten Jahrzehnten könnten mehr als eine Million Tier- und Pflanzenarten von der Erde verschwinden, rund 150 Arten pro Tag. Deutschland müsse mindestens 15 Prozent seiner Wälder und Meere strikt vor industrieller Nutzung schützen, fordert Greenpeace Meeres-Campaignerin Franziska Saalmann. In einer Petition ruft Greenpeace die Vereinten Nationen dazu auf, mehr Schutzgebiete einzurichten, um das Artensterben zu verhindern.
Für den Feldhamster wird es eng
Einst wühlten sich 26 Wildhamsterarten durch Teile Europas, Asiens und den Nahen Osten. Heute gibt es hierzulande schätzungsweise nur noch rund 10.000 bis 50.000 Feldhamster. Seit den 1950er-Jahren sank hier der Bestand um dramatische 99 Prozent. Um die Jahrtausendwende brach die Anzahl der Nachkommen der fortpflanzungsfreudigen Tiere noch einmal stark ein.
In Frankreich ist der Hamster noch im Elsass zu finden, in Österreich unter anderem im Großraum Wien. In Osteuropa hielt sich gerade mal ein Viertel der ursprünglichen Populationen. Seit 2020 wird die Art auf der Roten Liste des IUCN als extrem gefährdet eingestuft.
Neben Flächenverlust durch Überbauung und Versiegelung ist die intensive Landwirtschaft, in der er lange als Schädling bekämpft wurde, eine der Hauptursachen für das Verschwinden der Tiere. Als Graslandbewohner ernähren sich die Hamster vor allem von Feldfrüchten vom Ackerland. Doch die einseitige Ernährung in Monokulturen mit Mais oder Weizen zu einem Mangel an Proteinen und Vitamin-B3.
Zu wenig davon kann zu abnormalem Verhalten führen, wie eine Studie nahelegt - zum Beispiel durch Töten des Nachwuchses. Zudem hemmt ein Eiweißmangel in der Milch weizenfressender Mütter die Entwicklung der Jungen. Auch wegen der effizienten Erntemethoden finden die Tiere immer weniger Nahrung auf den Äckern. Somit sind sie leichtere Beute für Raubtiere.
Eine andere Ursache ist der Klimawandel: Im Winter graben die Nager ihre Bauten bis zu zwei Meter tief, wo sie sich warm und von der Schneedecke isoliert einkuscheln. Doch weil die Winter immer wärmer und feuchter werden, sind sie Kälte und Regen stärker ausgesetzt. Zunehmende Regenfälle könnten auch dazu geführt haben, dass die Hamster seit 1937 deutlich leichter geworden sind. Ein geringes Körpergewicht aber mindert die Fruchtbarkeit: Kamen vorher im Schnitt 20 Jungtiere pro Jahr auf die Welt, sank ihre Zahl seither auf nur fünf bis sechs Tiere. Bis zur Geschlechtsreife überlebt nur ein kleiner Teil des Nachwuchses.
Auch die Lichtverschmutzung steht im Verdacht, den Schlaf-Wachrhythmus der Tiere zu stören. So entscheidet nach dem Winterschlaf die Länge der Tage, wann die Hamster wieder aus ihren Höhlen hervorkommen. Künstliche Lichtquellen könnten diese Signale zunehmend verfälschen, weiß Stefanie Monecke, medizinische Psychologin an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Setzt sich der Trend aller Einflüsse fort, könnten die Feldhamster in den nächsten 30 Jahren ganz ausgestorben sein, schätzt die internationale Naturschutzorganisation IUCN.
Ökologische Sofortmaßnahmen könnten den Hamster noch retten
Unbewirtschaftete Randflächen und Hecken - mit einem Flächenanteil von mindestens sieben Prozent - bieten den Hamstern ganzjährige Lebensräume. Bei der Ansaat von Blühstreifen sollten die Samen der Blühmischungen "gehamstert" werden können. Ein Hamster muss etwa zwei Kilo Getreide bevorraten, will er wohlgenährt über den Winter kommen.
Zusätzlich muss auf einem zwölf Meter breiten Streifen auf das Ernten von Getreide verzichtet werden. Am sinnvollsten ist eine Kombination aus allem: Blüh- und Luzernenstreifen, Ernteverzicht oder die Mahd unterhalb der Ähren.
Es gibt gute Gründe, aktiv zu werden. Denn die pelzigen Nager dienen vielen Raubtieren als Beute, vom Rotfuchs bis hin zu großen Vögeln wie dem Uhu. Stirbt die Art aus, könnte das Ökosystem zusammenbrechen, befürchten Wissenschaftler. Das wiederum könnte menschliche Gemeinschaften gefährden, die auf Nahrung, Wasser und kostenlose Dienstleistungen der Natur angewiesen sind. Der Feldhamster hat somit eine Schlüsselfunktion - auch für das Überleben des Menschen.
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