Wärme, Ionen, Hormone: Die Zukunft männlicher Verhütung
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Die Pille für den Mann ist längst überfällig. Kommt nun die zweite sexuelle Revolution, oder ist das gruselig? Von feministischen Alternativen und der Pharmalobby. Eine Annäherung.
Sie gilt als Evergreen der Forschungsdebatte. Oft versprochen, noch öfter verschoben. Doch Totgesagte leben bekanntlich länger: Die Pille für den Mann ist ein Phantom. Nachdem die Antibabypille für die weibliche Hälfte des Universums im Juni 1961 das Licht der Welt erblickt hatte, wartet ihr männlicher Zwilling auf seine Geburt.
Und das seit Jahrzehnten: Das "Mediengespenst" (WDR) geistert als Wiedergänger durch die Lande. Schon Mitte der Achtzigerjahre wurde verkündet, ein "akzeptables hormonelles Verhütungsmittel für den Mann" sei gefunden. Kaum eine Dekade später trumpft ein Fernsehbericht mit der Meldung auf, die "Pille für den Mann sei theoretisch fertig". Außer Spesen nichts gewesen? In der Praxis blieb es bei Rohrkrepierern - bis heute weltweit.
Doch jetzt scheint wieder Bewegung in die Sache zu kommen: Junge Frauen lehnen die Einnahme des Hormonpräparats Pille häufiger ab. 2024 nahmen sie noch 25 Prozent der Frauen. In der gesellschaftlichen Debatte werden Rollenstereotype und Stigmata neu verhandelt. Politischer Druck erzeugt Resonanz in Forschung und Wissenschaft.
Neuer Schwung für die Forschung
US-Forscher tüfteln aktuell an einem Wirkstoff in Pillenform, der Spermien bewegungsunfähig machen soll. Erste Tests an Mäusen verliefen erfolgreich. Überdies gibt es weitere Forschungen: Fehlt einem Mann die Kinase STK 33, die in den Hoden produziert wird, spricht die Wissenschaft von Unfruchtbarkeit. Laut Pharmazeutischer Zeitung versuchen Forscher, genau das künstlich zu erzeugen. Auch hier sind erste Versuche vielversprechend.
Puerto Rico ist halb so groß wie Rheinland-Pfalz. Als nicht inkorporiertes Territorium der USA verfügt die Insel über keinerlei Autonomie von Washington. So war es nur folgerichtig, dass ein zweifelhaftes und von den klerikalen Strukturen im US-Mutterland angefeindetes Präparat zunächst hier getestet wurde: Ohne Aufklärung über die gesundheitlichen Risiken wurden in den Jahren vor 1960 Tausende Puerto-Ricanerinnen als menschliche Versuchskaninchen missbraucht: An ihnen wurde die Pille getestet.
Die Idee der chemischen Verhütung ist jedoch viel älter und stammt aus Österreich: Zusammen mit der Krankenschwester Margaret Sanger und der US-Biologin Katharine McCormick fand der Physiologe Ludwig Haberlandt heraus, dass eine erneute Schwangerschaft nicht möglich ist, wenn dem weiblichen Organismus eine Schwangerschaft vorgetäuscht werden kann.
Verhütung ist auch eine Machtfrage
Aus der Idee wurde unter Mitwirkung dutzender Forscher ein Welterfolg und materieller Reichtum: Milliarden von Frauen konnten sich erstmals wirksam vor einer ungewollten Schwangerschaft schützen. Die Hormone Progesteron und Östrogen unterdrücken den Eisprung und machen die Einnahme trotzdem verträglich. Allein im Jahr 2018 wurde mit der Pille weltweit ein Umsatz von 13,11 Milliarden US-Dollar erzielt.
Bei Männern wird dagegen entweder direkt an den Spermien oder an deren Produktion angesetzt. Als irreversible Methode kann sich der Mann die Samenleiter durchtrennen lassen, doch die Vasektomie gilt weniger als Verhütungsmethode denn als letzte Möglichkeit nach einer erfüllten Familienplanung.
US-Forscher haben deshalb "YCT529" isoliert. Das ist ein hormonfreier Inhibitor des Vitamin-A-Säure-Rezeptors "alpha" (RAR-alpha) und kann in Tablettenform eingenommen werden. Er blockiert die Zufuhr von Vitamin A in die Hoden, was wiederum die Spermienbildung hemmt.
Pille für den Mann wird klinisch getestet
Die neu entwickelte Pille zeigte im Tierversuch bei Mäusen extrem hohe Wirksamkeit von 99 Prozent. Nach dem Ende der Einnahmen war die Zeugungsfähigkeit wenigen Wochen wiederhergestellt. Dass medizinische Nebenwirkungen ausblieben, spricht ebenfalls eine positive Sprache. Nun werden erste Tests an Menschen durchgeführt.
Doch es gibt Probleme: Wegen Verhornungsstörungen bei Vitamin-A-Mangel im Darm oder in den Augen rechnen Experten nicht mit einer schnellen Zulassung. Denn die heutigen Zulassungsbedingungen für Medikamente wurden seit den 1960er Jahren deutlich verschärft. Wie die Tagesschau feststellt, würde die Antibabypille in ihrer ursprünglichen Form heute gar nicht mehr zugelassen.
Doch auch zur Alternative gibt es mittlerweile Alternativen: Neben der Pille diskutiert die Wissenschaft derzeit die Ionenpumpe, eine Hormonspritze sowie eine neuartige Wärmebehandlung.