Wahlen in Polen: Nur das Ende der PiS-Regierung oder schon ein neuer Aufbruch?
Die liberale Opposition könnte in Polen die Regierung stellen. Heute wird sich klären, wie Präsident Duda sich verhält. Eine neue Koalition hätte vor allem einen gemeinsamen Punkt.
In Polen wird am heutigen Dienstagmittag das Endergebnis der Parlamentswahlen bekanntgegeben. Dabei zeichnet sich ein Ende der rechtsnationalen Regierung unter Führung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ab. Nachwahlbefragungen und Teilauszählungen deuten darauf hin, dass ein oppositionelles Dreiparteienbündnis die PiS überrunden könnte – auch wenn die bisherige Regierungspartei erneut stärkste Kraft geworden ist.
Dieser Beitrag basiert zum Teil auf einem Artikel von Witold Mrozek in der Berliner Zeitung.
Die polnische Politik und auch der Wahlkampf wurden zuletzt deutlich von dem Konflikt mit der Europäischen Union und auch mit Nachbarland Deutschland bestimmt. Staatspräsident Andrzej Duda sprach angesichts der höchsten Wahlbeteiligung seit 1989 von einem "überwältigenden Ergebnis". Beobachter werten die hohe Wahlbeteiligung auch als Zeichen dafür, dass die Bevölkerung einen Wechsel will. Duda wird am heutigen Mittag zum Ergebnis Stellung nehmen.
Die Frage steht dennoch im Raum, ob die Freude bei liberalen Polen und in Westeuropa über die Wahlniederlage der PiS nicht zu verfrüht ist. Die drei Parteien der Opposition müssen sich noch zusammenraufen und haben teils divergierende Interessen.
Einziger gemeinsamer Nenner ist die Gegnerschaft zur bisherigen Regierung. Ob das genügt, um in turbulenten Zeiten und inmitten des noch laufenden Ukraine-Krieges eine stabile und dauerhafte Regierung zu bilden, lässt sich dies derzeit überhaupt nicht sagen.
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Kurzfristig aber würde ein möglicher Machtwechsel in Warschau eine Wende in der polnischen Außenpolitik bedeuten. Die PiS liegt wegen einer Justizreform in einem dauerhaften Streit mit Brüssel, die Beziehungen zu Berlin sind auch wegen der Forderung nach Weltkriegsreparationen in Höhe von 1,3 Billionen Euro auf einem Tiefpunkt.
Die drei Oppositionsparteien, die unter Führung des ehemaligen Ministerpräsidenten Donald Tusk eine Koalition bilden könnten, stehen für einen proeuropäischen Kurs; Forderungen gegenüber Berlin würde sie wohl nicht weiter erheben.
Die Vorsitzende der polnischen Grünen, Urszula Zielinska, übt sich angesichts dieser Lage in Zweckoptimismus. "Wir sind uns in der Opposition in den wichtigsten Punkten einig. Wir werden den Rechtsstaat wiederherstellen", sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Zu erwartende Versuche der PiS, die Oppositionsparteien zu spalten, um mit allen Mitteln doch noch eine Mehrheit zu bekommen, würden scheitern, sagte sie voraus.
"Ich weiß, dass unsere Träume noch ehrgeiziger waren. Und dennoch sage ich Ihnen: Ich war viele Jahre lang Politiker, ich war Sportler. Und ich war noch nie in meinem Leben so glücklich über diesen zweiten Platz. Polen hat gewonnen, die Demokratie hat gewonnen!" Das sagte Donald Tusk am Sonntagabend in Warschau über das Wahlergebnis seiner oppositionellen Bürgerkoalition KO.
Im Stab von Tusks Partei herrschte am Sonntagabend große Freude über den zweiten Platz: Tusks Partei bekam 31 Prozent der Stimmen laut Nachwahlbefragung. Im Stab der bisherigen Regierungspartei PiS wirkte die Stimmung trotz des ersten Platzes und der 36,6 Prozentpunkte hingegen eher niedergeschlagen.
Eine Rekord-Wahlbeteiligung
Nach den abendlichen Exit-Polls und den morgendlichen späten Nachbefragungen sowie unabhängigen Umfragen von Aktivisten besteht gar kein Zweifel mehr: Die PiS-Partei wird im neuen polnischen Parlament nicht genügend Abgeordnete haben, um eine Regierung zu bilden. Die PiS wird höchstwahrscheinlich 198 von 460 Sitzen im polnischen Sejm einnehmen. Dieses Ergebnis ist um 37 Sitze schlechter als bei der letzten Wahl vor vier Jahren.
Noch schlechter als die PiS schnitt die faschistische Konfederacja ab, die als möglicher Koalitionspartner für die PiS vorgesehen war. Sie hatte auf ein hohes Ergebnis gehofft, das in Umfragen im Sommer bei bis zu 15 Prozent lag.
Am Ende wiederholte die Konfederacja jedoch ihr Ergebnis von 2019 und bekam lediglich 6,4 Prozent der Stimmen. Damit kommt sie auf zwölf bis 14 Abgeordnete, was nicht ausreicht, um gemeinsam mit der PiS einen neuen Premierminister zu wählen. Stattdessen sollte es den 248 Abgeordneten der Oppositionsparteien gelingen (also Tusks Liberale, die Linken und die gemäßigten Konservativen), eine neue europafreundliche Regierung zu bilden.
Die Wahlbeteiligung war so hoch wie nie zuvor. Sie lag nach ersten Berechnungen zwischen 71 und 72 Prozent. Das ist die größte Beteiligung bei Wahlen in Polen, die es jemals gab: Fast 21 Millionen sind zur Wahl gegangen. In einigen Wahllokalen bildeten sich lange Schlangen und die Wähler warteten bis tief in die Nacht. Die Öffnung der Wahllokale wurde sogar punktuell verlängert. In vielen Wahllokalen fehlte es an Stimmzetteln. Sie mussten nachbestellt werden.
Gleichzeitig erhielt die PiS zahlenmäßig weniger Stimmen als vor vier Jahren – etwa rund 7,6 Millionen in diesem Jahr. 2019 waren es noch etwa 8 Millionen, die für die PiS stimmten. Am Sonntag erhielt die demokratische Opposition mehr als elf Millionen Stimmen: immerhin eine Million mehr als der KO-Oppositionskandidat Rafal Trzaskowski in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl im Jahr 2020.
Die von Tusk geführte KO hätte nicht feiern können, wenn nicht auch die beiden anderen Oppositionsparteien erfolgreich gewesen wären. Eine große Anzahl von Stimmen – 13,5 Prozent – erhielt die Mitte-rechts-Gruppierung Trzecia Droga (Der Dritte Weg), die eine Einheit bildet aus der neuen liberal-katholischen Partei des ehemaligen Journalisten Szymon Holownia einerseits und andererseits aus der ältesten Partei Polens, der landwirtschaftlichen Polnischen Volkspartei (PSL).
Die Linke hat 8,6 Prozent bekommen. Zählt man dies zusammen, so zeigt sich, dass vier Zehntel der für die Opposition abgegebenen Stimmen keine Stimmen für Tusks KO waren. Die Polarisierung, die Spaltung zwischen den beiden großen Parteien KO und PiS, existiert also nicht mehr. Es gibt weitere wichtige Player im Parteiensystem.
Andrzej Duda könnte die nächsten Schritte verlangsamen
Dem polnischen Staatspräsidenten Andrzej Duda von der PiS-Partei, der noch bis 2025 im Amt sein wird, kommt nun eine wichtige Rolle zu. Zum einen werden die 248 Stimmen der Oppositionsregierung nicht ausreichen, um den Präsidenten zu überstimmen, sollte er ein Veto gegen ein Gesetz einlegen wollen.
Im Falle eines Vetos wird sich die neue Regierung von Tusk entweder mit einem Teil der PiS-Partei oder der Konfederacja arrangieren müssen. Doch das ist alles Zukunftsmusik.
Mit Blick auf die Gegenwart muss man feststellen, dass es laut polnischer Verfassung Sache des Präsidenten ist, eine Person mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Wird Andrzej Duda sofort Tusk mit der Rolle beauftragen oder Mateusz Morawiecki von der PiS, obwohl die PiS über keinen realistischen Koalitionspartner verfügt?
Eine Woche vor den Wahlen kündigte Duda an, dass er diese Aufgabe traditionell dem Vertreter der Partei mit dem besten Ergebnis, also der PiS, anvertrauen würde. In diesem Fall würde die PiS versuchen, eine Regierung zu bilden und einen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten aufzustellen, der aber wahrscheinlich vom neuen Parlament nicht akzeptiert werden wird. Dazu wären 231 Abgeordnete erforderlich – und so viele hat die PiS wohl nicht. Die Möglichkeit, eine Regierung zu bilden, steht dann rechtlich dem Rest des Parlaments, also der Opposition zu.
Bis Montagmorgen hatte Präsident Duda überhaupt wenig Konkretes zur Wahl gesagt. Vorerst flog er am Tag nach der Wahl in den Vatikan, um den 45. Jahrestag der Wahl von Johannes Paul II. zum Papst zu feiern. Mit Spannung wird daher seine heutige Stellungnahme erwartet.
Einer von Tusks Stellvertretern in der Parteiführung, der Abgeordnete Tomasz Siemoniak, forderte den Präsidenten auf, sofort einen Premierminister aus der bestehenden Opposition zu ernennen.
Er sagte: "Der Sieger dieser Wahl ist isoliert, er ist nicht koalitionsfähig, niemand möchte mit ihm zusammenarbeiten. Herr Präsident, haben Sie keine Angst mehr vor der PiS und Präsident Kaczynski." Ein Aufruf, Donald Tusk mit der Regierungsbildung zu beauftragen.
Die Verhandlungen zwischen dem Präsidenten und den Parteien der Opposition wurden von Wladyslaw Kosiniak-Kamysz übernommen, dem Vorsitzenden der gemäßigt konservativen Polnischen Volkspartei (PSL) und dem ehemaligen Koalitionspartner von Tusk (heute ist die PSL Teil des Bündnisses Der Dritte Weg).
Eine konkrete Gemeinsamkeit immerhin gibt es: Kosiniak-Kamysz stammt aus der gleichen Stadt, Krakau, wie Andrzej Duda und hat sogar das gleiche Gymnasium besucht.
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