Wahlkampf im Stellungskrieg
Bei der zweiten TV-Debatte der US-Präsidentschaftskandidaten George Bush und John Kerry gab es keinen "knockout punch"
Im Gegensatz zum ersten Fernsehduell vom Donnerstag letzter Woche, das Bush mit verzogener Mine, Gestottere und ostentativem Desinteresse eindeutig verloren hatte (Kerry bleibt im Rennen), gab er sich am Freitagabend engagierter und leidenschaftlicher. Kerry, dem die Augenringe sprichwörtlich ins Gesicht geschrieben waren, erschien dem US-Präsidenten gegenüber kühl und weniger "präsidial" - auch wenn er Angriffslustigkeit unter Beweis zu stellen versuchte.
Das "setting" in St. Louis im Bundesstaat Missouri versprach mit seinem "town hall"-Format - vom Gallup-Institut ausgemachte unentschlossene Wähler, die nur dem Moderator und Journalisten Charles Gibson bekannte Fragen an die Kandidaten stellten - eine lebhaftere Atmosphäre. Doch von Spontaneität konnte keine Rede sein. Dafür sorgten die bewusst "weich" gehaltenen Fragen aus dem Publikum.
Es ging erneut um den Irakkrieg, aber auch um innenpolitische Themen wie Arbeitsplätze, Bildung, Krankenversicherung, Abtreibung, Steuern, Umwelt und Arzneimittel. Bush und Kerry antworteten großteils mit den wahlkampferprobten Satzbausteinen und bezogen sich dann kurz aufeinander. Da jede der 17 Publikumsfragen zu den komplexesten Themen von den Kandidaten innerhalb weniger Minuten abgehandelt wurde und weder Bush noch Kerry neue rhetorische Attacken auf den Gegner abließen - und keiner sich verhaspelte -, konnten die Blitzumfragen keinen eindeutigen Sieger ausmachen. Beispielhaft mag dafür das ABC-Network gelten, das Bush 41 und Kerry 44 Prozent bei 13 Prozent Unentschiedenen gab. Auf CNN war die Rede von einem Kopf-an-Kopf-Rennen. Die zweite Wahlkampfdebatte im Fernsehen (Nice guy versus ice guy), die die Kandidaten aufs Vizepräsidentenamt Dick Cheney und John Edwards am Dienstag ausgetragen und ebenfalls mit einer Pattsituation beendet hatten, fand deshalb in gewisser Weise ihre Fortsetzung. Bush machte seine Fehler - offensichtlich dank guter Vorbereitung - wieder wett, während Kerry die Stellung hielt.
Insgesamt liegt der Demokrat damit weiterhin mehreren Umfragen zufolge seit Beginn der TV-Debatten mit ein bis drei Prozentpunkten zurück. Von einem "knockout punch" waren Bush und Kerry am Freitagabend weit entfernt.
Dabei hatten der recht aggressive Schlagabtausch, den sich beide in den kommenden Tagen geliefert hatten, die Veröffentlichung des CIA-Berichts über die Nichtexistenz von Massenvernichtungswaffen im Irak und der am Freitag publizierte, für Bush wenig schmeichelhafte Arbeitsmarktbericht mehr Stoff zur Auseinandersetzung versprochen.
Insgesamt befindet sich der USA-Wahlkampf in einer Art Stellungskrieg, in dem die Anhänger der jeweiligen Seite unverändert "ihren" Kandidaten unterstützen. Den Demokraten sind dabei nur in geringem Ausmaß Einbrüche ins gegnerische Lager gelungen. Die Frage ist, ob sich Wechselwähler und politische Uninteressierte überhaupt zum Urnengang bewegen lassen werden. Insofern sind die Umfragen, die - jede für sich genommen - mit Vorsicht zu genießen sind, da sie die Wahlbeteiligung nicht voraussagen können, als politische Instrumente zu beurteilen (Bush führt in Umfragen mit einem soliden Vorsprung). Außerdem stellt sich die Frage, welche Fernsehzuschauer sich von den Debatten überhaupt beeinflussen lassen. Schon die Tatsache, dass die Kandidaten nicht länger als 90 Sekunden über komplizierte Sachverhalte sprechen können, zeigt, welche Aufmerksamkeitsspanne bei den Fernsehzuschauern zugemutet wird.
Und: Zur Meinungsbildung schalteten sich schon am Freitag weniger Zuschauer zum Duell hinzu. Aufgrund des Patts und der Möglichkeit, per Fernsehen mehr unentschiedene Wähler als bei Wahlkampfauftritten vor Ort erreichen zu können, verschärft sich auf beiden Seiten die Rhetorik und das Bedürfnis, zum Gegner Kontraste herzustellen. Doch "sound bites", kurze, einprägsame Satzbausteine, die bei den Zuschauern hängen bleiben, kamen bislang nicht vor. Vielleicht ist aber auch Bush zu platt und Kerry zu kühl, um überhaupt noch einen rhetorischen Durchbruch zu schaffen.
63 Millionen Fernsehzuschauer, die die erste Debatte mitverfolgt hatten, werden kommende Woche am 13. Oktober, wenn Bush und Kerry zum letzten Mal vor den Wahlen im Fernsehen diskutieren, mit Sicherheit nicht mehr beteiligen - es sei denn, es würde sich in den kommenden Tagen Spektakuläres ereignen.