Wahlkampf mit Defiziten
Wie der "Wahnsinn" der Schuldenbremse die Kampagnen und Koalitionsverhandlungen dominiert. Ein Appell fĂŒr Investitionen in die Zukunft
PrĂ€gend fĂŒr den Wahlkampf von Union und FDP zur Bundestagswahl 2021 war eine Rote-Socken-Kampagne und volkswirtschaftliche Ignoranz. Die naive Gleichsetzung von Staats- und Privathaushalt zieht jedem ökonomisch Informiertem die Socken aus, egal welche Farbe diese haben.
Beim Publikum scheint die Verteufelung von Staatsschulden zu verfangen. Aber alles neue Geld wird nun einmal aus Schulden gemacht, und dieser Vorgang nennt sich Geldschöpfung. Gibt die Bank jemanden einen Kredit, entsteht Geld, das mit der Tilgung des Kredits wieder verschwindet. Haushalte sparen ĂŒberwiegend, und seit einiger Zeit sind zusĂ€tzlich auch die Unternehmen zu Nettosparern geworden.
Der Staat möchte nicht mehr Geld ausgeben, als er einnimmt. Gerade klappt letzteres zwar nicht, was nun verstÀrkt auch der Pandemie geschuldet ist. Wie soll unter diesen UmstÀnden die Versorgung mit neuem Geld funktionieren? Das braucht es, um die Wirtschaft aufrechtzuerhalten?
Die EuropĂ€ische Zentralbank (EZB) wird fĂŒr ihre Geldschöpfung mittels AnleihekĂ€ufen, die die Sparpolitik erst notwendig macht, von Konservativen, die die Sparpolitik propagieren, kritisiert, ganz so, als sĂ€Ăen dort nur Idioten, die Deutschland Böses wollten, aber keine Ăkonomen.
Dabei ist die Schuldenbremse, die Union und FDP unisono anstreben, durch einen Kuhhandel innerhalb der GroĂen Koalition ins Grundgesetz geraten â und steht dort bis heute unangefochten.
Bereits bei der EinfĂŒhrung 2009 wurde sie von Ăkonomen als schĂ€dlich, gar als "Wahnsinn" verrissen und ist heute zumindest umstritten.
Die AnleihekĂ€ufe der EZB indes verantwortet Professorin Isabel Schnabel, vormals Mitglied des SachverstĂ€ndigenrats. Und Professor em. Carl Christian von WeizsĂ€cker, der noch vor zehn Jahren Mitglied der Grundsatzkommission der FDP war, weist darauf hin, dass ein Zins, der VollbeschĂ€ftigung garantiere, unter der Bedingung der Schuldenbremse zwangslĂ€ufig stets negativ sein mĂŒsse.
Auch er befĂŒrwortet höhere Schulden als die Schuldenbremse erlaubt. StĂ€ndige Staatsschulden, die privaten GeschĂ€ftsbanken zur Geldanlage dienen, sind eine Notwendigkeit, Privathaushalte brauchen Schulden nicht notwendigerweise.
Im Kreislauf aus bereits vorhandenem Geld klafft zudem ein Loch, das Mittel verschlingt, die der produktiven Wirtschaft fehlen: der Nettoabfluss an die FinanzmÀrkte.
Wenn Unternehmen keine gewinnbringende Anlage im eigenen GeschĂ€ft mehr sehen, kaufen sie Aktien, oftmals ihre eigenen, um den Kurswert des Unternehmens zu steigern. Die wachsende Ungleichheit tut ein Ăbriges, da Reiche mehr sparen.
Der Fehler der "Generationenrente"
Zu allem kommt das Sparen der Babyboomer hinzu. Union, GrĂŒne und FDP projektieren nun eine zusĂ€tzliche Aktienrente. Der ehemalige Black-Rock-Lobbyist Friedrich Merz wirbt darĂŒber hinaus dafĂŒr, einen Kapitalstock in der demografisch belasteten Zeit, fĂŒr die den Boomern die Altersrente gekĂŒrzt wurde, fĂŒr eine "Generationenrente" aufzubauen, die den heute Neugeborenen ab 2090 ausgezahlt werden soll.
Der Fehler dabei ist, dass Staaten im Inland keine finanzielle RĂŒcklage bilden können. Versuchen sie es, entziehen sie ihrer Wirtschaft zunĂ€chst das Geld zum Wachsen, und jeder Bedarf muss spĂ€ter, wenn die Geldanlagen kapitalisiert werden, aus laufendem und dann niedrigerem Volkseinkommen bezahlt werden. Nur der AuĂenbeitrag ist davon abzuziehen, falls Aktien an auslĂ€ndische KĂ€ufer verkauft werden [1].
Und weil alle Ersparnisse der Babyboomer ungefÀhr zur gleichen Zeit benötigt werden, ist doch wohl anzunehmen, dass diese Aktienanlagen durch massenhaften Verkauf entwertet werden können.
Lediglich fĂŒr LĂ€nder mit Bodenrenten aus Erdöl- und Erdgasvorkommen wie Norwegen und Saudi-Arabien ist ein Aktienfonds mit Anlage im Ausland sinnvoll, weil dies Windfall-Profite sind, die dem Staat ohnehin aus dem Ausland zuflieĂen und eben nicht der produktiven eigenen Wirtschaft entzogen werden.
Nun ist die FDP ist die meistgewĂ€hlte Partei unter ErstwĂ€hlern, danach folgen erst die GrĂŒnen. Der Wahlerfolg ist wohl auch einer Kampagne der FDP auf Tiktok und Facebook mit einem im Rezzo-Style auftretenden, cringen Christian Lindner geschuldet [2].
Leider verfĂ€ngt bei Jungen das Patentrezept Aktienrente trotz der Debakel von Riester- und RĂŒrup-Rente. Einen Nutzen erzielen neben Black Rock vorwiegend die Reichen und Spekulanten durch mittelfristig gepushte Kurse.
Die EZB mahnt die finanzpolitische UnterstĂŒtzung ihrer Geldpolitik an, die andernfalls Finanzindustrie und Börsenkurse zuungunsten der Realwirtschaft weiter anheizt und Einkommen von unten nach oben umverteilt [3].
Vor allem fĂŒr Deutschland bedeutet dies, dass sie höhere Staatsausgaben aus Sorge vor der LiquiditĂ€tsfalle will, jenem Zustand, in dem die Geldpolitik einer Zentralbank wirkungslos verpufft, weil ein zusĂ€tzliches Geldangebot nicht mehr zu höheren Kreditaufnahmen fĂŒhrt [4].
Falls in einer Volkswirtschaft die Sektoren Haushalte, Unternehmen und Staat per Saldo sparen, wer verwendet das gesparte Vermögen, das nicht in der Finanzindustrie festhĂ€ngt? Es ist das Ausland, denn AuĂenhandelsĂŒberschĂŒsse sind Nettokapitalexporte.
Wenn irgendetwas ein Volk daran hindert, den vollen Gegenwert dessen, das es produziert, zu konsumieren oder auch im Inland zu investieren, ist etwas faul. Jahr fĂŒr Jahr schiebt die deutsche Volkswirtschaft ihren ExportĂŒberschuss wie die Bugwelle eines Schiffes vor sich her.
AktienmÀrkte sind keine Geldgeber
Es ist eine stete Verschuldung des Auslands gegenĂŒber Deutschland, ohne dass diese Schulden jemals eingetrieben werden. Dieser Leistungsabfluss in Form von deutschen Kapitalanlagen und Fabriken im Ausland betrĂ€gt jĂ€hrlich rund das FĂŒnffache des jeweiligen Verteidigungshaushalts.
Dennoch wollen Konservative im Namen der globalen WettbewerbsfĂ€higkeit unverdrossen Unternehmen des Exportweltmeisters begĂŒnstigen, nur keinesfalls dessen Binnennachfrage durch höhere Löhne, Staats- und Sozialausgaben.
Unsere Volkswirtschaft wird den Kapitalbedarf befriedigen mĂŒssen, den die Klimakatastrophe verursacht. Manche meinen, AktienmĂ€rkte finanzierten die Wirtschaft. Das stimmt jedoch nur fĂŒr die seltene Neuemission von Aktien und Anleihen, die im Vergleich zum riesigen Volumen des SekundĂ€rhandels zu vernachlĂ€ssigen ist.
In aller Regel kauft man Wertpapiere von einem anderen Vorbesitzer als dem Emittenten. Die Kosten fĂŒr den wirtschaftlichen Umbau zu einer klimaneutralen Lebensweise sind wohl weit höher als die Kosten der Deutschen Einheit.
Wie dieser Bedarf ohne weitere Staatsschulden gedeckt werden soll, ist rÀtselhaft. Schon Theo Waigel und Helmut Kohl versprachen damals, dass die Kosten der Einheit allein durch Wirtschaftswachstum gedeckt seien.
Das Ergebnis dieser Ignoranz oder gar bewussten Unwahrheit, die Merz heute wiederholt, ist bekannt. Und weil aufgrund steigender Staatsschulden der USA dort die Zinsen steigen werden [5], wird in der Folge Kapital dorthin abflieĂen, Ă€hnlich wie zu Zeiten Ronald Reagans.
Es steht uns nur noch ein schmales CO2-Budget zur VerfĂŒgung, das zusĂ€tzlich die gigantischen Emissionen, die der Umbau der Industrien verursacht, beinhalten muss [6].
Dies ist das drĂ€ngende Problem der jungen Generation, und nicht Geld, das sich zur Not in Krisen auch so schöpfen lĂ€sst, wie es die EZB gerade durch StaatsanleihekĂ€ufe ĂŒber Banken tut, also durch eine mittelbare monetĂ€re Staatsfinanzierung [7].
Das Wahlergebnis ist nicht nur unbefriedigend, weil nun gleich zwei Politiker Kanzler werden wollen, sondern auch, weil die angebotenen ökonomischen Konzepte versagen.
Der Wahlkampf hat die öffentliche Stimmung fĂŒr eine WeiterfĂŒhrung neoliberaler Wirtschaftspolitik erhitzt, der sich sowohl Ampel- wie Jamaikakoalition verschreiben dĂŒrften.
Ob Olaf Scholz damit in der eigenen Partei RĂŒckhalt finden wird, oder wie einst Helmut Schmidt oder auch Gerhard Schröder den Gaul zu Tode reitet, bleibt abzuwarten â jedenfalls wenn Armin Laschet, oder aber nun Markus Söder, nicht doch noch Kanzler werden sollte, was angesichts der Positionen von grĂŒner ParteifĂŒhrung und FDP gar nicht mal im Bereich des Unmöglichen liegt.
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Links in diesem Artikel:
[1] https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/generationenvertrag-34055
[2] https://www.br.de/nachrichten/netzwelt/fdp-erfolg-bei-erstwaehlern-die-tiktok-partei,SkD28Sg
[3] https://www.boersen-zeitung.de/konjunktur-politik/ezb-tritt-fuer-fiskalreformen-ein-2432cbda-1adc-11ec-842f-73562a0ee452
[4] https://www.diw.de/de/diw_01.c.822178.de/finanzpolitik_der_kuenftigen_bundesregierung_koennte_grosses_problem_fuer_ezb_werden.html
[5] https://www.n-tv.de/wirtschaft/Merz-unterliegt-einem-Trugschluss-article22796960.html
[6] https://www.scinexx.de/news/geowissen/welches-co2-budget-bleibt-deutschland-noch
[7] https://www.ecb.europa.eu/explainers/tell-me-more/html/app.de.html
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