Wahlkampfrhetorik verschärft sich
Im US-Wahlkampf setzen sich die US-Demokraten bislang erfolgreich gegen die Republikaner zur Wehr und gehen gelegentlich sogar zu Angriffen über
Nach Jahren des Lavierens und des Fraternisierens mit den Republikanern äußern führende Demokraten offen Kritik an der Bush-Regierung und wagen sich dabei sogar erfolgreich auf ein Gebiet vor, das als rechte Domäne galt: die Außen- und Sicherheitspolitik. Falls es ihnen gelingt, das Thema in den kommenden sechs Wochen bis zu den Wahlen am 7. November in den Massenmedien zu dominieren, werden sie den Kongress und möglicherweise auch den Senat zurückerobern. Die Folge wäre ein Präsident, der als "lame duck" keine nennenswerten politischen Initiativen mehr durchsetzen könnte.
Die Demokraten lassen auch nach der Freigabe einiger Passagen der National Intelligence Estimate vom Dienstag, ein für die Antiterror-Krieger der Bush-Regierung verheerender Bericht über die wachsende Terrorgefahr wegen des Irakkriegs, nicht locker. Senator Edward Kennedy aus Massachusetts forderte am Mittwoch die Veröffentlichung des ganzen Dokuments mit den Worten, die Amerikaner hätten "die ganze Story verdient, nicht nur die Teile, die die Bush-Regierung für sie auswählt".
Führende Beamte von 16 US-Geheimdiensten hatten in der Studie, die im April fertig gestellt worden war, den Irak als "cause celebre" für Dschihadisten bezeichnet. Die "globale Dschihadistenbewegung“ würde sich nach dem Tod wichtiger Anführer mehr und mehr dezentralisieren, gleichzeitig aber auch ausbreiten, Sympathisanten und aktive Mitglieder dazu gewinnen, sich dem "Antiterrorkrieg" anpassen und damit für amerikanische Interessen weltweit sowie innerhalb der USA zu einer größeren Gefahr werden.
Wahrscheinlich beinhaltet das Dokument für die Bush-Regierung politisch noch peinlichere Absätze, weswegen sie sich weigerte, der vollständigen Veröffentlichung mit dem Verweis auf die nationale Sicherheit zuzustimmen. Gleichzeitig wurde bekannt, dass ein Geheimdienstbericht nur über den Irak in Arbeit ist. Dies hatte der Chef der National Intelligence, John Negroponte, Kongressabgeordneten vor einem Monat mitgeteilt - was die Fraktionsleiterin der Demokraten zum Anlass für politische Spekulationen nahm. Sie mutmaßte, der Irak-Bericht werde von der Regierung bis zu den Wahlen bewusst als "Entwurf" behandelt und damit nicht zur Veröffentlichung freigegeben.
Die Debatte über Terrorismus hatte Ex-Präsident Clinton am Sonntag in einem weit verbreiteten Interview mit dem rechten Sender "Fox News" eröffnet, als er auf die Frage, weshalb er in seiner Amtszeit nicht mehr gegen Al-Qaida unternommen habe, den Sender gegen seine sonst coole Art sichtlich verärgert, rot im Gesicht, die Faust klopfend und den Finger auf den Interviewer Chris Wallace zeigend, beschuldigte, einen konservativen "hit job" orchestriert zu haben, ihm die Schuld an "911" und am scheiternden "Antiterror""-Krieg zuzuschieben und damit vom Scheitern der Bush-Regierung und der Republikaner ablenken zu wollen. Er, Clinton, habe als Präsident auf dem damaligen Kenntnisstand alles unternommen, um Usama bin Laden zu stoppen, und sei dafür von den Republikanern lächerlich gemacht worden. Die Bush-Regierung habe dagegen alle Warnungen vor "911" ignoriert und danach beispielsweise den kenntnisreichsten Antiterror-Experten Richard Clarke, der seit Jahren vor Al-Qaida gewarnt hatte, zum Rücktritt veranlasst.
Die Reaktion der Bush-Regierung ließ nicht lange auf sich warten. Bei einem Treffen zwischen Außenministerin Rice - damals Bushs Sicherheitsberaterin - und Redakteuren des rechten Boulevardblatts New York Post bezeichnete sie Clintons Sätze als "grundlegend falsch" - worauf Clintons Ehefrau, Senatorin Hillary Clinton, am Dienstag eine weitere Breitseite gegen die Republikaner abfeuerte: "Ich bin sicher, mein Mann und sein National-Security-Team hätten eine Warnung wie 'Bin Laden entschlossen, innerhalb der USA anzugreifen' ernster genommen als der gegenwärtige Präsident und sein Sicherheitsteam dies Berichten zufolge taten." Ein Memo von Richard Clarke über die „Eliminierung der Dschihaddisten-Netzwerke von Al-Qaida“ aus dem Jahr 2001 an die Bush-Regierung scheint Rice zu widerlegen, die auch behauptet hatte, dass es unter Clinton keinen umfassenden Plan zur Bekämpfung von al-Qaida und Bin Laden gegeben habe.
Die Demokratin Clinton, die eine Präsidentschaftskandidatur im Jahr 2008 nicht ausschließt, verschärfte damit ihre Wahlkampfrhetorik erneut. Hatte sie in der Vergangenheit vor einem Truppenrückzug aus dem Irak gewarnt, so greift sie seit einigen Wochen die Politik der Republikaner an, ohne ihre Haltung für oder den „Antiterror"-Krieg zu konkretisieren. Dass diese Haltung trotz der Tatsache, dass die Demokraten im Wahlkampf rhetorisch zulegen und immerhin die heiligen Kühe der Republikaner verbal angreifen, symptomatisch für den Zustand der Parlamentsopposition ist, unterlegten die parteiinternen Vorwahlen am 12. September. Zwar wurde der erzkonservative Demokraten-Senator aus Connecticut, Joe Lieberman, von dem Kriegsgegner Ned Lamont aus dem Rennen geworfen. Doch ein Blick auf die Mehrzahl der demokratischen Kandidaten zeigt, dass vage und opportunistische Haltungen überwiegen. No Clear Antiwar Signal schrieb dazu richtig einer der Blogger der linksliberalen Zeitschrift "The Nation".