Wann geht Sylt unter?
Wie wirken sich Klimaveränderungen auf den Meeresspiegel aus?
Wird eine globale Erwärmung zum Abschmelzen der Polarkappen und einer Überschwemmung der Küstenregionen führen? Die Vermutung liegt nahe, doch nun wurden mehrere unterschiedliche Modellrechnungen durchgeführt.
Zwei Beiträge in Science versuchen zu dieser Frage eine Antwort: T.M.L. Wigley mit "The climate change commitment" und Gerald Meehl und Mitarbeiter mit "How much more global warming and sea level rise?". Beide Gruppen arbeiten am National Center für Atmospheric Research in Boulder (USA).
T.M.L. Wigley berechnet in seiner Studie bis zum Jahr 2400 eine Temperatursteigerung um 2 bis 6°C und damit einen Anstieg des Meeresspiegels um 10-25 cm pro Jahrhundert, was 40-100 cm bis zum Jahr 2400 bedeuten. Seine Berechnungen stützen sich auf das MAGICC-Modell, ein Diffusionsklimamodell, wie es gerne benutzt wird. Dabei ist die Meereserwärmung von der durchschnittlichen Lufttemperatur abhängig.
Gerald Meehl und seine Mitarbeiter verfolgen nur die Zeit bis zum Jahr 2100. Unter der Annahme, dass die Treibhausgase nicht mehr nennenswert ansteigen, kommen sie auf eine Zunahme des Meeresspiegels um 320 Prozent innerhalb der nächsten 100 Jahre. Das sind 13-30 cm mehr als heute. Zu diesem Zweck berechnen sie den Verlauf der Erwärmung unseres Planeten nach fünf unterschiedlichen Modellen unter Bezug auf das "Parallel Climate Model" (PCM) und eine neuere Form des "Climate System Model" (CCSM3).
Klimaforschung immer noch im Fluss
Tatsächlich war das Jahr 2003 der wärmste Sommer in Europa seit Beginn der Aufzeichnungen Ende des vergangenen Jahrhunderts. Der heutige Temperaturmittelwert liegt mehr als 0,6°C über dem von 1900. Dabei hat sich der Anstieg seit den 70er Jahren stark beschleunigt und verläuft heute dreimal schneller als im Mittel der letzten 100 Jahre. Parallel hierzu wurde ein Anstieg des Meeresspiegels um 10-20 cm gefunden. Die zwischenstaatliche Kommission für Klimaveränderungen (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) vermutet bis 2100 eine weiteren Zunahme der Temperatur um 1,4 bis 5,8°C und einen Anstieg des Meeresspiegels um 9 bis 90 cm je nach den Gegenmaßnahmen, die getroffen werden.
Gleichwohl gehen die bisherigen Schätzungen davon aus, dass die Erwärmung in den nächsten 30 Jahren praktisch unvermeidlich sein wird. Das liegt an der anhaltenden Erwärmung der Atmosphäre, für die Wasserdampf (ca. 60 Prozent) und Kohlenstoffdioxid (ca. 20 Prozent) sowie zahlreiche weitere Gase wie Ozon, Methan oder Aerosole verantwortlich sind.
Das Kyoto-Protokoll kann nur ein Anfang sein
Das Kyoto-Protokoll fordert, den Kohlenstoffdioxidausstoß durch die Industrie einzuschränken. Kohlenstoffdioxid erreichte im Jahre 2003 etwa 376 ppm (part per million, Teilchen pro Million Teilchen), während noch im Jahr 1954 etwa 315 ppm gemessen wurden. Wenn sich auch der Anstieg in Deutschland verringert hat, bleiben China, Indien, Lateinamerika, Australien, Kanada, USA und Spanien die größten "Dreckschleudern". Die Internationale Energieagentur (IEA) rechnet in ihrem World Energy Outlook 2002 sogar mit einer Zunahme der globalen Kohlenstoffdioxidemissionen um weitere 36 Prozent bis 2010 und um 70 Prozent bis zum Jahre 2030. Zwei Drittel dieses Zuwachses werden in den Entwicklungsländern erwartet.
Dessen ungeachtet wird nach den Vorhersagen der Meeresspiegel weiter ansteigen, weil diese Entwicklung unabhängig von den Bemühungen, den Kohlenstoffdioxidfreisetzung zu verringern, erfolgt.
Was ist mit dem Wasser in den Meeren?
Die Frage nach der Meereserwärmung bleibt unbeantwortet. Inzwischen warnen zwar zahlreiche Arktisforscher vor dem Abschmelzen des grönländischen Festlandeises. Danach stieg die Durchschnittstemperatur der Arktis seit 1950 fast doppelt so schnell wie die Weltmitteltemperatur an (Arctic Climate Impact Assessment).
Andererseits zeigen die Modelle von T.M.L. Wigley und Gerald Mehl und Mitarbeitern nur, dass der Meeresspiegel irgendwie mit der Oberflächentemperatur verbunden ist. Auch wenn man das Aufheizen des Meeres nachvollziehen kann, bleibt der Vorgang für das Abkühlen im Ungewissen. Eines zeigt nämlich die Erfahrung: Das Wasser spricht schneller auf den Abkühlprozess an, als es beim Aufwärmen simuliert wird. Wenn man bedenkt, dass solche Abkühlvorgänge ständig ablaufen, werden alle bisherigen Modellvorstellungen "ungenau".
Ferner spielen zahlreiche Faktoren eine Rolle, die bisher noch nicht ausreichend beachtet wurden. Dazu zählen Winde, die über den Globus hinwegfegen, Wirbelstürme und ebenso umschriebene lokale Prozesse. Aus solchen Gründen bleibt letztendlich ungeklärt, wieviel Wärme vom Ozean tatsächlich aufgenommen wird.
Das ist auch die Kritik von Richard P. Allen an der Arbeit von Meehl und Mitarbeitern: "Die modellabhängige Wärmeaufnahme von den Meeren muss in die Überlegungen einbezogen werden, und zwar zusammen mit den atmosphärischen Wechselwirkungen, damit wir das Klima verstehen können."
Solange die Modelle nicht an die Wirklichkeit heranreichen, werden wir deshalb keine Antwort darauf erhalten, ob Sylt demnächst geräumt werden muß. Noch sind die Berechnungen dafür zu vage.