War on terror - Business as usual
Reflektionen zum 11.September
Die zweite Halbzeit der Regierung Bush II. ist bisher so unspektakulär verlaufen, wie man es gemäß der Kriegsrhetorik des Präsidenten seit dem 11.September nicht mehr zu hoffen gewagt hätte. Nimmt die US-Regierung ihr selbst gestecktes Ziel, den Terrorismus zu bekämpfen, überhaupt noch ernst? Was sich zuvor medial inszenierte und tatstark tönte, um ohne lange nachzudenken mit breiten Stiefeln über den Globus zu treten, ist merkwürdig verhalten geworden. Drohungen gibt es zwar in diverse Richtungen, aber Taten will man kaum mehr folgen lassen.
Sind Afghanistan, Irak und der Kreuzzug gegen den nomadisierenden Welt-Terrorismus "business as usual"? Sollte Bush schon am 11.September 2001 weniger auf die Geschichtsbücher, als nur auf die zweite Amtszeit geschielt haben? Seinem Vater hat er es jedenfalls gezeigt: Die Diktatur Saddam Husseins wurde gestürzt und die Wiederwahl gewonnen.
Was beim Angriff auf das World Trade Center als Wiederkehr der Geschichte, als Beginn eines manichäischen Kampfes gegen das Weltübel mit Pauken und Raketen angekündigt und exekutiert wurde, reiht sich nun in die üblichen Schrecknisse des Weltgeschehens ein. Trotz Präsident Bushs markiger Bekräftigung seines Antiterror-Kampfes vor einigen Wochen vor Mitgliedern der Idaho National Guard "We remain a nation at war" ("Wir sind im Krieg") gilt wohl in Washington längst die politische Rentenformel für Regierungsmitglieder "Simplify your life."
Alte Abstürze und neue Bilderfluten
Medien und ihre Öffentlichkeiten kennen keine Gnade, wenn es um Aufmerksamkeit geht. "Nine/Eleven" war gestern und ist weder politisch noch medial radioaktiv (Nine/Eleven). Auch wenn der Präsident anlässlich seiner "radio address" zum vierten Jahrestag des 11. Septembers ewige Erinnerungen an den Weltschicksalstag beschwört, befasst sich der größere Teil der Adresse mit dem Natur- und Politdesaster "Katrina".
Die Kriegsberichte aus den vorgeblich besiegten Ländern Afghanistan und Irak sind nicht mehr das Paprika auf dem medialen Abendbrot. Selbst der viel beschworene Vietnam-Effekt blieb aus. Die Weltöffentlichkeit betrachtet das irakische Trauerspiel inzwischen mit der Mischung aus Fatalismus und relativem Desinteresse, die für unsere angeödete Medienrezeption ohnehin der (un)verbindliche Standard ist.
New Orleans ist nun die neue imperiale Katastrophe, die sich auf der nach oben offenen Unglücks-Skala leicht mit "Nine/Eleven" messen kann. Das kapitale WTC baut man so oder so wieder auf, das Schicksal von New Orleans dagegen ist noch ungewiss. Die Überflutungs-Bilder sind nicht weniger eindringlich als die in die Endlosschleife getriebenen Anschlagsperspektiven des WTC. Die neuen Bilder sind politisch komplexer, weil es nicht Ikonen der reinen Zerstörung sind, sondern Bilder des verzögerten Untergangs und der mühseligsten Rettung und Bergung. Es sind Bilder, die von der amerikanischen Klassengesellschaft künden und daher als wohlfeiler Solidarisierungsstoff, wie es Nine/Eleven überreich spendierte, nicht mehr herhalten können. Es sind Bilder der Entzweiung, die das Ansehen des Präsidenten im Schlamm versinken lassen könnten.
Diese Naturkatastrophe führt unmittelbarer in die amerikanische Gesellschaft als jene von Menschenhand fabrizierte. Das Übel nistet in der Ungerechtigkeit der eigenen Gesellschaft. Schlechte Zeiten für Exorzisten, die das Herz der Finsternis überall, nur nicht in der eigenen Brust verorten (We're goin' after Satan).
Müde Vorausverteidigung
Die Präventivlogik des Amerikanischen Internationalismus führt der US-Präsident zwar in seinen offiziellen Verlautbarungen weiter, wenn er verspricht, Drohungen zu begegnen, bevor sie sich voll realisieren können. Im Iran-Konflikt beschränkt sich die US-Regierung jedoch auf wohltemperiertes Säbelrasseln, obwohl dort die Atomwaffen viel greifbarer sind als im Wüstensand von Babylon.
Gewiss, das heißt noch nichts: Bush hat davon gesprochen, militärische Schläge auch in diesem Fall nicht auszuschließen. Die amerikanische Missionsidee für den Globus bleibt eine kritische Größe des Weltschicksals. Jederzeit könnte das Bedrohungssyndrom der alten Vigilanten wieder ausbrechen. Bush glaubt auch weiter an seine alten Legitimationsressourcen:
We will not allow the terrorists to establish new places of refuge in failed states from which they can recruit and train and plan new attacks on our citizens.
Brauchen Terroristen solche Plätze überhaupt oder ist das auch nur eine der simplizistischen Fiktionen, die nach dem 11.September Hochkonjunktur hatten? Terrorismus bleibt eine nomadische, asymmetrische Kriegsform. Kriege als Exportartikel sind da ein zweifelhaftes Geschäft. Die Anschläge in der Londoner U-Bahn haben den von der Bush-Regierung mit zahllosen Mitteln mobilisierten Geist von "Nine/Eleven" nicht wieder beleben können. Das liegt nicht nur an alteuropäischen Reaktionsweisen auf Schicksalsschläge, sondern auch an den ernüchternden Ergebnissen der amerikanischen Terror-Bekämpfung.
Die Anschläge von al-Quaida sind zu einer Gewohnheitssache geworden, an die man sich zwar nicht gewöhnen kann, aber gleichwohl kein sicheres Exil angeben könnte, wo man sich verstecken könnte. Das Wissen, dass man Terroristen, nicht aber den Terrorismus bekämpfen kann, hat sich indes selbst bei der Bush-Regierung inzwischen eingestellt: "It is impossible to protect against every threat." Der Rest ist Rhetorik, ohne sich um eigene Widersprüche zu scheren, wenn der präsidiale Terrorjäger gleichzeitig behauptet, man werde jedes Terroristen-Schlupfloch beseitigen. Die Öffentlichkeit weiß es längst besser, wenn noch jeder Rucksack in der U-Bahn eine kleine Apokalypse beinhalten mag. Die ewige Jagd nach Gegnern, die im virtuell-realen Schattenreich leben, verheißt keineswegs Sicherheit, sondern beschert im besten Fall eine höchst bescheidene Prophylaxe.
Das Elend der aufgedrängten Demokratie
Auch die Logik der flächendeckenden Globalverdächtigungen behält sich der Präsident vor: "And if you harbor a terrorist, you're just as guilty as the terrorist." Obwohl Bush weiß, dass man Terroristen nicht verorten kann, wird er nicht müde, den Irak als eine der wichtigsten Fronten im Kampf gegen Terrorismus zu beschwören. Terroristen kämen gerade jetzt in den Irak aus "Sorge", dort könne die Freiheit siegen. Es bleibt dabei, dass die alte Lüge über die innigen Verbindungen Saddam Husseins zu al-Quaida weiter eingeflüstert wird, obwohl gerade noch der frühere US-Außenminister Colin Powell diese Bezichtigungen vor dem UN-Sicherheitsrat gegenüber dem Irak als "Schandfleck" seiner politischen Karriere kennzeichnete.
Neokonservatismus als Rechtfertigung der politischen Lüge hat sich in der Praxis nicht als originell oder gar klug erwiesen, wie es die gelehrigen Schüler von Leo Strauss in der Bush-Administration ihrem weisen Professor doch so gerne bewiesen hätten. Die Politik der Täuschung aus Gründen höherer Staatsräson kehrt sich gegen sich selbst: irakische Atomwaffen in der Wüste, die Befreiung von Abu Ghraib und der Rechtsstaat in Guantanamo Bay. Alles Fake! Wer wie Neokonservative immer unterstellt, dass der Gegner täuscht, täuscht schließlich nicht nur die Öffentlichkeit, sondern sich selbst.
Doch der Präsident hat sich sogar noch über die beste aller möglichen Welten getäuscht. Die Iraker haben sich nach seinem Verständnis für Demokratie und Freiheit entschieden. Gleichwohl muss Amerika dort in diesen Tagen mit 1.500 Soldaten nachrüsten, die zu den bereits 138.000 stationierten GIs - bzw. Wahlhelfern der Demokratie - hinzustoßen. Schon deshalb ist Bushs historischer Lieblingsvergleich mit dem Sieg über die Nazis so schief, weil die Region unbefriedet ist, der Streit zwischen den gesellschaftlichen und ethnischen Gruppen nicht ärger sein könnte.
Der Nachkriegs-Irak ist ein Schwelbrand, ein kaum larvierter Bürgerkrieg, eine militärisch und politisch hoch instabile Situation. Das politische wie militärische Chaos ist augenscheinlich inzwischen auch für die größten Optimisten der US-Regierung nicht mehr zu leugnen. Vermutlich wäre die Welt erheblich sicherer, wenn der Irak nicht angegriffen worden wäre. Der US-Präsident meint zwar weiterhin, man könnte Freiheit verordnen, den Demokratiehungrigen politische Programme wie Care-Pakete auf die Köpfe schmeißen, den Diktaturkranken probate Westrezepte verabreichen. Die fundamentalistische Welt, die nach dem 11.September kaum kleiner geworden ist, will jedoch keine Freiheit, keine Demokratie, die ohnehin Teufelszeug gegenüber göttlich ver- und geordneten Hierarchien ist. Auch die Dominostein-Theorie, derzufolge ein demokratisch bekehrter Staat die übrigen Staaten der Region in den Sog der Freiheit zieht, ist pures Wunschdenken einer allseits befriedeten Welt.
Kein Grund zu feiern
Das Problem amerikanischer Falken ist nicht das Böse, das man bekämpfen und besiegen kann, sondern das Übel in mannigfaltiger Gestalt, das sich im Inneren ausbreitet. Insofern hat der 11. September die Rückkehr des Verdrängten bestätigt, die eigenen Werte zu verraten und die Wirklichkeit in den virtuellen Szenarien des Oval Office zu demontieren. Der wildwütige Leviathan bleibt dabei ein Opfer seiner Mittelwahl, so schwer auch die Frage zu entscheiden ist, welche Mittel denn überhaupt im Antiterrorkampf geeignet und verhältnismäßig sind.
Die globale US-Befriedungspolitik mit heilsgeschichtlichen Motiven, die vom Terrorismus provoziert wurde, hat sich fern von den übererregten Tagen der September-Anschläge jedenfalls wieder auf Menschenmaß - zwischen Verwaltung der eigenen Ohnmacht und Prinzip Hoffnung - reduziert. Aber auch der Terrorismus wird auf Dauer ohnmächtig, weil sich niemand durch Terror bekehren lassen wird. Für dieses Wissen allerdings muss man keine Kriege führen.
Wer in den Fluten von New Orleans versagt, wird nicht durch die ewige Wiederkehr des 11. Septembers gerettet. Bushs Umfrageergebnisse sind so schlecht wie nie. Politik als gottähnliche Schicksalmacht, die in den Tagen und Wochen nach dem 11.September inszeniert wurde, funktioniert nur im Rausch so großer wie falscher Gefühle. Danach kommt immer die Ernüchterung.
George W. Bush ist in seine "posthistoire" eingetreten, das moralische Hyper-Spektakel "Nine/Eleven" wieder auf Normalgröße geschrumpft. Politik als die Gestaltung der großen Geschichte ist also wirklich nicht mehr als eine ephemere Inszenierung. Karl Kraus' Wort von "dieser Großen Zeit, die ich noch gekannt habe, wie sie noch so klein war" lässt sich in der zweiten Amtsperiode des US-Präsidenten bequem umkehren. Es gibt also nur eine Lehre von Nine/Eleven: Jene Politik, die sich als die große feiert, hat kürzeste Halbwertszeiten.