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Warnung: Wie die EU ihr Klima-Budget verheizt

Flugzeug vor Start. Bild: Maria Tyutina / Pixabay

Energie und Klima – kompakt: Die EU hat ihr Klimaziel für 2020 wohl nur durch Kriseneffekte erreicht. Die Zielmarken für 2030 und 2040 werden ohne Gegensteuern verfehlt. Warum Experten Alarm schlagen.

Die EU hat sich bis zum Jahr 2030 das Ziel gesetzt, ihre Treibhausgasemissionen um 55 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 zu senken. Das Klimaziel war 2021 verschärft und in Gesetzesform gebracht worden. Nun müssen die Mitgliedsstaaten bis zum 30. Juni ihre angepassten vorläufigen Pläne einreichen, wie sie ihren Beitrag dazu leisten wollen.

Bis Mitte 2024 sollen diese Pläne fertiggestellt werden. Der Europäische Rechnungshof bezweifelt allerdings in einem am Montag veröffentlichten Bericht, dass das Ziel einer 55-prozentigen Emissionsreduktion mit den bisher eingeleiteten Maßnahmen erreicht werden kann.

Auch die Einhaltung des Klimaziels für 2020 sei nicht allein auf Klimaschutzmaßnahmen zurückzuführen, so der Rechnungshof. "Die EU-27 hätte ihr Energieeffizienzziel für 2020 ohne den geringeren Energieverbrauch infolge der Finanzkrise 2009 und der COVID-19-Pandemie höchstwahrscheinlich nicht erreicht", heißt es in einer Pressemitteilung [1] zum Bericht des Rechnungshofs.

Beklagt wird darin auch eine fehlende Transparenz, ob alle Mitgliedsstaaten ihre verbindlichen Emissionsreduktionsziele erreicht haben, oder stattdessen Verschmutzungsrechte von anderen Mitgliedsstaaten gekauft haben. "Wir brauchen mehr Transparenz über die Leistungen der EU und ihrer Mitgliedstaaten bei ihren Maßnahmen im Klima- und Energiebereich", sagte Joëlle Elvinger, die Prüfung leitendes Mitglied des Europäischen Rechnungshofs.

Wir sind außerdem der Meinung, dass alle von der EU verursachten Treibhausgasemissionen erfasst werden sollten, einschließlich derjenigen, die aus dem Handel und dem internationalen Luft- und Schiffsverkehr stammen. Dies ist wichtig, da sich die EU verpflichtet hat, beim Übergang zur Klimaneutralität weltweit eine Führungsrolle zu übernehmen.

Die Emissionen der Luft- und Schifffahrt sind nicht unerheblich: Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) waren beide Sektoren im Jahr 2021 für etwa zwei Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Würde die EU ihre Emissionen aus Luftfahrt, Schiffsverkehr und Handel in ihrer Bilanz berücksichtigen, dann wären diese um ein Zehntel höher, so die Einschätzung des Rechnungshofs.

Was das Erreichen des 2030er-Ziels angeht, so sei besorgniserregend, dass es bisher keine Anzeichen einer ausreichenden Finanzierung gebe, vor allem nicht vonseiten des privaten Sektors. Die EU hat sich verpflichtet, 30 Prozent ihres Haushalts in der Periode 2021 bis 2027 für Klimaschutzmaßnahmen auszugeben, das entspricht etwa 87 Milliarden Euro pro Jahr.

Dies sei allerdings weniger als zehn Prozent dessen, was für die Einhaltung des Klimaziels 2030 benötigt werde. Der restliche Teil soll durch die Mitgliedsstaaten und den privaten Sektor finanziert werden.

Drastische Emissionsreduktion bis 2040 empfohlen

Während der Europäische Rechnungshof noch bezweifelt, dass die EU ihre Ziele erreichen kann, empfiehlt der Europäische Wissenschaftliche Beirat zum Klimawandel (ESABCC) bereits, die Emissionen noch schneller zu senken, und zwar um 90 bis 95 Prozent bis zum Jahr 2040. "Die Empfehlungen des Beirats unterstreichen die Notwendigkeit mutiger und transformativer Maßnahmen, um die Klimaneutralität bis 2050 auf eine Weise zu erreichen, die sowohl fair als auch machbar ist", erklärt [2] der Vorsitzende des ESABCC und Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Ottmar Edenhofer.

Der Wissenschaftliche Beirat rechnete dabei auf der Basis eines Budgetansatzes. Demnach stehen der EU im Zeitraum von 2030 bis 2050 ein Budget von 11 bis 14 Gigatonnen CO2-Emissionen zu, um im Rahmen des in Paris vereinbarten 1,5-Grad-Limits zu bleiben. Um die Ziele zu erreichen, wurden verschiedene Szenarien durchgerechnet [3].

Kernelemente sind ein rascher Ausstieg aus der Kohleverstromung, die bis 2030 nur noch bei einem bis vier Prozent Anteil am Strommix liegen soll und ein Ausstieg aus der Verstromung von fossilem Erdgas bis 2040. Sonne und Wind sollen hingegen je nach Szenario 69 bis 90 Prozent des benötigten Stroms generieren.

Für die Bereiche, in denen keine Elektrifizierung m��glich ist, sei ein schneller Hochlauf der Wasserstoffproduktion vonnöten, Biokraftstoffe sollen bei schweren Fahrzeugen sowie im Flug- und Schiffsverkehr zum Einsatz kommen, wobei die Bedarfsangaben je nach Szenario stark schwanken.

Das Beratungsgremium rechnet auch damit, der Luft über technische Maßnahmen Kohlendioxid zu entziehen. Dafür infrage kämen der Einsatz von Bioenergie verknüpft mit der Abscheidung und Einlagerung von CO2 (BECCS) oder die direkte Entnahme von CO2 aus der Luft mit anschließender Einlagerung (DACCS).

Im Jahr 2040 entfielen auf BECCS 46 bis 207 Millionen Tonnen CO2 und auf DACCS 0 bis 7 Millionen Tonnen. Zu bedenken seien dabei Szenarien, wonach unter Europas Landfläche nicht mehr als 400 Millionen Tonnen CO2 eingelagert werden könnten.

Die Emissionen aus der Landwirtschaft sollen je nach Szenarien um 20 bis 62 Prozent gegenüber dem Jahr 2019 sinken. Dabei würden Viehbestände etwa um die Hälfte verringert und die Lachgasemissionen um 30 Prozent gesenkt, indem entsprechend weniger Stickstoffdünger eingesetzt wird.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9202468

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.eca.europa.eu/en/news/NEWS-SR-2023-18
[2] https://www.pik-potsdam.de/de/aktuelles/nachrichten/eu-klima-beirat-empfiehlt-ehrgeiziges-klimaziel-fuer-2040-und-dringende-veraenderungen-fuer-die-europaeische-union
[3] https://climate-advisory-board.europa.eu/news/eu-climate-advisory-board-recommends-ambitious-2040-climate-target-and-urgent-transitions-for-the-european-union