Warnung aus Indien: Das System "Wirtschaftswachstum um jeden Preis" eskaliert
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Beispiel Justiz: Bis 2030 scheiden 40 Prozent aller Juristen aus dem Dienst aus. In den neuen Bundesländern verliert das Justizwesen bis dahin sogar 62 Prozent aller Richter und Staatsanwälte, warnt der Deutsche Richterbund (DRB).
Beispiel Bildung: Laut der Kultusministerkonferenz (KMK) 2023/24 werden bis zum Jahr 2035 68.000 Lehrer fehlen – aktuell fehlen etwa 14.500.
Beispiel Gesundheitswesen: Gemäß dem Deutschen Pflegerat werden 2034 ungefähr 500.000 Pflegekräfte fehlen.
Dazu kommt ein Investitionsstau bei Schulen und Infrastruktur sowie das Rentenproblem: Das Verhältnis zwischen Rentnern und Arbeitnehmern verschiebt sich bald von 1:2 zu 1:1,5.
Die nächsten Jahre wird es vor allem dank CDU, CSU, AFD und Wagenknecht mit den alten Dogmen weitergehen: Mehr arbeiten, mehr Wachstum – der deutsche Diesel darf nicht sterben – und weniger Ausländer. Erst wenn die Wählerschaft dieser Parteien verstanden hat, dass das Problem das neoliberale Wachstumssystem selbst ist, wird der Weg zur Nachhaltigkeit auch bei uns eingeschlagen werden.
Gut informierte junge Generation
In Indien wird dies wahrscheinlich früher passieren: Schon die heute nachwachsende Generation besteht zum großen Teil aus gut informierten jungen Menschen, denen klar ist, dass es so nicht weitergehen kann. Mit jeder Generation werden es mehr – die Hälfte der indischen Bevölkerung ist unter 25 Jahre alt. In Deutschland hatten die über 50-Jährigen bei der letzten Bundestagswahl viermal so viel Wahlmacht wie die 18- bis 30-Jährigen.
Es lässt sich nicht leugnen: Auch die gut informierte junge indische Generation arbeitet für Facebook, Coca-Cola und Co – weil Geld der einzige Weg aus der Armut ist. Doch dank des Internets wissen sie sehr genau um den Dreck, der an diesen Konzernen klebt.
Sie wissen auch, dass ein großer Teil des westlichen Reichtums auf der Ausbeutung der Dritten Welt beruht. Aber vor allem sehen sie, was der Wachstumswahn aus ihrem Land gemacht hat: Überhitzte oder überflutete, verdreckte Städte, mit schwarzen Flüssen, Dauerlärm und verpesteter Luft.
Deutsch-indische Zusammenarbeit
Aktuell machen Interviews des ehemaligen deutschen Botschafters in Delhi, Walter Lindner, in verschiedenen Zeitungen die Runde.
Lindner wurde während der ersten Corona-Welle in Indien im März 2020 auch einem breiteren Publikum in Deutschland bekannt, weil er und sein Team als Erste dafür sorgten, dass die in Indien gestrandeten Deutschen ausgeflogen wurden.
Lindner musste jedoch auch viel Kritik einstecken, weil er Verständnis für die Entscheidung der indischen Regierung äußerte, dass sie Russland nach dem Angriff auf die Ukraine nicht fallen ließ. Diese Entscheidung erklärte der indische Außenminister Subrahmanyam Jaishanka in einem Interview mit der österreichischen Zeitung Der Standard.
Auf die Frage, warum Indien trotz des Krieges Waffen von Russland kauft, antwortete Jaishanka:
Ja, aber warum machen wir das? In diesen [letzten] 60 Jahren zogen es die westlichen Länder, auch Europa, vor, Waffen an eine Militärdiktatur in Pakistan zu verkaufen. Das einzige Land, das zu dieser Zeit bereit war, uns zu helfen, war die Sowjetunion. Wenn wir also ein militärisches Arrangement mit Russland haben, ist das eine direkte Folge der westlichen Präferenz für Militärregime in unserem Teil der Welt.
Was heute betrifft: Wenn man eine solche militärische Beziehung aufbaut, kann man sie nicht von heute auf morgen beenden und sagen: Ich bin jetzt sauer. Letzten Endes besteht die Verpflichtung jeder Regierung darin, sich um die Sicherheit ihres Landes zu kümmern.
Wir werden unsere Sicherheit nicht opfern. Wenn also in Europa die Erwartung besteht, dass wir das tun, weil Europa ein Problem hat, dann ist das meiner Meinung nach keine vernünftige Erwartung.
Dass Lindner in seinen aktuellen Interviews versucht, die Themen Menschenrechte und Umwelt zu umschiffen, ist in seiner Position verständlich. Erstens ist er ein ehemaliger Diplomat. Zweitens ist ihm offensichtlich bewusst, wie wenig die meisten Deutschen über Indien wissen. So versucht er wohl erst einmal Verständnis zu wecken.
Zudem ist ihm die Notwendigkeit bekannt, dass das 1,4-Milliarden-Einwohner-Land Indien und westliche Länder wie Deutschland zusammenarbeiten müssen – anders lassen sich die zukünftigen Probleme wie etwa der menschengemachte Anteil am Klimawandel nicht in den Griff bekommen.
Im Laufe der nächsten Jahre werden weder in Indien noch in Deutschland politische Mehrheiten vorhanden sein, die ein praktisches Umdenken in Verbindung mit wirkungsvollem Handeln möglich machen.
Doch es wird nicht mehr lange dauern, bis die sozialen und ökologischen Realitäten der Mehrheit der Wähler klarmachen wird, dass es völlig neues Handeln und länderübergreifende Zusammenarbeit geben muss.
Zeichen eines veränderten Bewusstseins der jungen Generation
Das sich wandelnde gesellschaftliche Bewusstsein der jungen Generation auch in Deutschland ist in vielen Bereichen spürbar. Sogar im Sport und hier insbesondere beim Fußball. Wurden Hardcore-Fans früher als "hirnlose Fußball-Idioten" bezeichnet, haben die einst belächelten Fanprojekte der Vereine über die Jahre Entscheidendes bewirkt: Hooligans wurden marginalisiert und der Begriff Ultras von friedlichen, aber engagierten Fangruppen zurückerobert.
Gesellschaftspolitisch heute gut informiert, haben sich Ultra-Gruppen landesweit vernetzt: Keine politische oder soziale Gruppe in Deutschland hat dem Kapital in den letzten Jahren solch einen Schlag versetzt, wie die Ultras mit ihren erfolgreichen Protesten gegen die Sponsoren des Deutschen Fußballbunds (DFB).
Die einst eher unpolitischen Fußballfangruppen solidarisierten sich jüngst sogar mit den "Mädchen und Jungen" der Letzten Generation.
Die Ultras hatten etwas verstanden, was die meisten Arbeitnehmer in diesem Land nicht verstehen, wenn mal wieder kollektiv auf streikende Lokführer, Lehrer oder Erzieher eingeschlagen wird: Heute ist es die Letzte Generation, die als kriminelle Organisation gebrandmarkt wird, morgen sind wir es.
Klar: Was die Organisatoren von "Deutsche Wohnen & Co enteignen" auf die Beine gestellt haben, war gesellschaftlich wichtiger und bewundernswert. 59 Prozent der Berliner stimmten beim Volksentscheid mit einem Ja.
Doch selbst die Partei die Linke entschied sich dafür, diesen Entscheid in einer Untersuchungskommission verschwinden zu lassen, damit sie noch mal Teil einer Regierungskoalition im Land Berlin sein konnte.
Ob in Indien oder Deutschland: Es sieht schlimm aus, und es wird noch schlimmer werden – aber es ist nicht hoffnungslos. Wenn heutzutage ein Fußball-Präsident einen Sponsorendeal mit einem Waffenhersteller als "demokratiefördernde Maßnahme" preist, bekommt er ganz schnell aus fast allen Bereichen der Gesellschaft Fakten um die Ohren gehauen und wird daran erinnert, was Rheinmetall mit dem Krieg im Jemen oder mit ermordeten Kurden zu tun hat.
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Und selbst deutsche Versicherungskonzerne warnen schon jetzt, dass die Schäden des Klimawandels bald nicht mehr zu bezahlen sind.
Das Zeitalter der Nachhaltigkeit hat schon begonnen, nun muss es "nur" noch eine Mehrheit der Wähler verstehen: Die Natur wird – wie gerade in Indien – immer vehementer daran erinnern.