Warnung aus den USA: Steht die Welt vor einem weiteren großen Krieg?

Küsschen von Alijew. Bild: president.az

Aserbaidschan hat Bergkarabach erobert. Nun. Erhebt Baku die nächste Gebietsforderung. Washington ist alarmiert, Berlin passiv.

Der Krieg in der Ukraine ist im Bewusstsein der Weltöffentlichkeit weitgehend von der Eskalation im Nahen Osten verdrängt worden – und schon droht ein weiterer Konflikt: US-Außenminister Antony Blinken hat kürzlich in einem Briefing einige US-Abgeordnete vor der Möglichkeit eines baldigen Einmarschs Aserbaidschans in Armenien gewarnt. Das berichtet das US-Onlinemagazin Politico unter Berufung auf Teilnehmer des Treffens.

Blinkens Äußerungen gegenüber den Abgeordneten zeigten, wie groß die Sorge in Washington über Aserbaidschans Angriffe auf die abtrünnige Region Bergkarabach im Westen des Landes sei. Offenbar sehen Sicherheitspolitiker in den USA eine erhebliche Gefahr der Ausweitung des Konflikts.

Ein Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien wäre nach dem Ukraine- und dem Israel-Krieg der dritte Großkonflikt, der wegen seiner unmittelbaren Auswirkungen auf die Energiemärkte auch eine geopolitische Dimension hätte.

Hintergrund der US-Sorgen: Der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew hat Armenien aufgefordert, einen "Korridor" entlang seiner Südgrenze freizugeben, der das aserbaidschanische Festland mit einer Exklave an der Grenze zur Türkei und zum Iran verbindet. Sollte Jerewan dieser Aufforderung nicht nachkommen, sei er bereit, das Problem "mit Gewalt" zu lösen, so Alijew.

Bereits Anfang des Monats hatte Blinken laut Politico in einem vertraulichen Gespräch Abgeordnete dazu gedrängt, als Reaktion auf den Einmarsch seines Landes in Bergkarabach im September Maßnahmen gegen Alijew zu ergreifen.

Das US-Außenministerium prüft nach eigenen Angaben derzeit Möglichkeiten, Aserbaidschan "zur Rechenschaft zu ziehen". Eine langjährige Ausnahmeregelung, die es den USA erlaubt, Baku militärisch zu unterstützen, solle nicht verlängert werden, heißt es in Washington.

Dazu trägt offenbar auch bei, dass das US-Außenministerium die konkrete Möglichkeit sieht, dass Aserbaidschan in den kommenden Wochen in Südarmenien einmarschieren könnte.

"Dennoch äußerte sich Blinken zuversichtlich über die laufenden diplomatischen Gespräche zwischen Armenien und Aserbaidschan", schreibt Politico. Das Auswärtige Amt lehnte es gegenüber dem Magazin ab, das Gespräch zu kommentieren, "betonte aber, dass es sich für die ‚Souveränität und territoriale Integrität Armeniens‘ und eine Lösung des Konflikts durch ‚direkte Gespräche‘ einsetze".

Alijew küsst Flaggen

Die Führung in Baku tut derzeit wenig, um die Sorge vor einem neuen Konflikt zu zerstreuen. So hisste Alijew nach der gewaltsamen Einnahme von Bergkarabach im Kaukasus an mehreren Orten die Flagge seines Landes. "Wir haben erreicht, was wir uns vorgenommen haben", sagte Alijew am Sonntag in einer Rede.

Mit der Rückeroberung Bergkarabachs sei ein jahrzehntelanger Traum des aserbaidschanischen Volkes in Erfüllung gegangen. Es war Alijews erster Besuch in Bergkarabach, seit die Region in den Neunzigerjahren von proarmenischen Separatisten eingenommen worden war.

"Von der aserbaidschanischen Regierung veröffentlichte Fotos zeigen den langjährigen Staatschef in Militärkleidung, wie er vor der aserbaidschanischen Flagge kniet und sie küsst, bevor sie an einem Fahnenmast gehisst wird", schreibt die Nachrichtenagentur AFP. Nach Angaben aus Baku besuchte Alijew auch einen Stausee, eine alte Festung und andere Städte, wo er sich ebenfalls kniend und Fahnen küssend fotografieren ließ.

Die aserbaidschanische Armee hatte am 19. September eine Großoffensive gegen Bergkarabach gestartet. Bereits einen Tag später kapitulierten die dortigen proarmenischen Separatisten.

Nach politischen Gesprächen wurde daraufhin die Auflösung der Republik Bergkarabach zum 1. Januar 2024 verkündet. Nach dem Anschluss an Aserbaidschan floh die Mehrheit der rund 120.000 Einwohner Bergkarabachs nach Armenien.

Die Republik war im Zuge der Auflösung der Sowjetunion und der nationalstaatlichen Neuordnung der Region entstanden. Seitdem haben Aserbaidschan und Armenien zwei Kriege um die Region geführt, zuletzt im Jahr 2020.

"Bergkarabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, war aber bisher überwiegend von ethnischen Armeniern bewohnt. Die armenische Regierung warf Baku nach der Militäroffensive "ethnische Säuberungen" vor. Aserbaidschan wies die Vorwürfe zurück", schreibt die Nachrichtenagentur AFP.

Die Bundesregierung, die in großem Umfang Erdgas aus Aserbaidschan importiert, kritisierte zwar die Annexion Bergkarabachs, verzichtete aber auf konkrete Strafmaßnahmen gegen Baku.

Steht der nächste Krieg bevor?

Berg-Karabach ist jedoch nicht der einzige Territorialstreit zwischen den beiden Kaukasusländern. Baku drängt auf eine Verbindung zur Autonomen Republik Nachitschewan, die durch Armeniens südliche Region Sjunik, auf Aserbaidschanisch Sangesur genannt, führen und eine Umgehung des Iran für den Straßenverkehr ermöglichen würde.

Alijew sagte: "Wir werden den Sangesur-Korridor verwirklichen, ob Armenien ihn will oder nicht". In Armenien werde dies als territorialer Anspruch "und als Forderung nach einem extraterritorialen Korridor wahrgenommen", kritisierte Armeniens Premierminister Nikol Paschinjan als Reaktion auf die zunehmenden Forderungen aus Ankara und Baku nach einer Einigung.

An der Grenze gibt es seit langem Spannungen: Im September 2022 startete Aserbaidschan einen Angriff über die Grenze, um strategisch wichtiges Gelände im Osten und Süden Armeniens zu erobern. Erst kürzlich, am 1. September dieses Jahres, wurden drei armenische Soldaten getötet, nachdem Aserbaidschan als Reaktion auf einen angeblichen Drohnenangriff "Vergeltungsmaßnahmen" ergriffen hatte.

In einem Interview bestritt Hikmet Hajiyev, Alijews ranghoher außenpolitischer Berater, dass Aserbaidschan Ansprüche auf armenisches Gebiet erhebt. Er sagte, das Risiko eines Konflikts sei gering, weil "die letzten zwei Wochen die ruhigsten Wochen in der Geschichte der armenisch-aserbaidschanischen Beziehungen waren – es gibt keine Soldaten mehr, die sich in den Schützengräben gegenüberstehen".

Aserbaidschan hat mit seiner selbst so bezeichneten Anti-Terror-Kampagne "in der Region wiederhergestellt, was rechtlich, historisch und moralisch uns gehört". Baku habe nicht die Absicht, in de jure armenische Gebiete vorzudringen, fügte er hinzu.

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