Warum Marxisten die Digitalisierung nicht verstehen

Thomas Barth
KI-generierte Illustration zeigt einen Debattiertisch mit Marx und ratlosen Theoritikern

KI-generierte Illustration

Keine Chance gegen Plattformkapitalismus? Analyse ohne Biss: Wichtige technologische Debatten werden ignoriert. Eine kritische Auseinandersetzung.

Der Marxismus wurde oft tot gesagt, zeigt sich aber langlebiger als erwartet. Der renommierte Suhrkamp-Wissenschaftsverlag brachte kürzlich einen Sammelband überwiegend marxistischer Theoretiker:innen zum "Digitalen Kapitalismus" heraus.

Die Debatte, die Analyse braucht

Deren Beiträge sind fast alle politisch links, feministisch, ökologisch, marxistisch und sie dokumentieren vor allem eins: Eine offenbar langjährige hartnäckige Weigerung vieler Marxist:innen, sich mit politischen Debatten und theoretischen Diskursen rund um Informationsgesellschaft, Internet, Web2.0 und zuletzt "Digitalisierung" auseinanderzusetzen.

Der Sammelband Carstensen/Schaupp/Sevignani (Hg.): "Theorien des digitalen Kapitalismus" gibt laut Suhrkamp einen Einblick in theoretische Analysen, Zeitdiagnosen und Debatten des digitalen Kapitalismus und bespricht "entlang der Felder Arbeit, Ökonomie, Politik, Kultur und Subjekt" Formen und Auswirkungen der kapitalistischen Digitalisierung.

Etliche der 33 Autor:innen bekleiden Lehrstühle, haben in den letzten Jahren Bücher zum digitalen oder Plattform-Kapitalismus vorgelegt und wirken doch seltsam ratlos: Eine integrative Theorie des digitalen Kapitalismus scheine zwar "unmöglich", gleichwohl wolle man "Verbindungen der disparaten Ansätze" ausleuchten (so das Backcover).

Wofür Partei ergriffen wird

Leider erweisen sich die Ansätze nach langer, mühsamer Lektüre als nicht so disparat wie erwartet, eher als eintönig. Unnötig schwer gemacht wird dem Leser jedoch das Ausleuchten der überraschend schwachen Verbindungen innerhalb enger Zitierzirkel aus dem Milieu der Alt-68er-Next-Generation.

Partei ergriffen wird für die Seite der Arbeit, gegen das Kapital, das Patriarchat, den Neoliberalismus und seine humanitären und ökologischen Verfehlungen. Letzteres im Beitrag eines Thomas Barth (mit dem Rezensenten weder identisch noch verwandt noch bekannt).

So weit, so gut, auch wenn keiner der Texte Biss genug hat, etwa eine digitale Privatisierung der Macht durch die Klasse der Superreichen zu attackieren (Krysmanski, siehe Literaturverzeichnis am Ende des Artikels).

Gemeinsam ist vielen Texten aber ihre weitgehende Ignoranz gegenüber kritischen Technikdiskursen zur Digitalisierung, sogar gegenüber marxistischen Theoretikern wie Mark Poster, der bereits 1990 eine Erweiterung von Marx' Begriff der Produktionsverhältnisse zu den digitalen "Informationsverhältnissen" vorgelegt hatte.

Nicht Marx, aber Marxisten ignorieren Technologie

Vor über 20 Jahren zeigte sich der US-Neomarxist Mark Poster (1941-2012) erstaunt über das Ausmaß, in dem viele Marxisten dazu neigten, neue Technologien "fast vollständig zu ignorieren". Diese nahmen an, dass der Kapitalismus den entstehenden Cyberspace, das Internet vollständig übernehmen würde.

Poster fand das sehr überraschend, weil Marx doch stets darauf geachtet habe, die Art und Weise zu untersuchen, wie soziale Innovationen sowohl für bestehende Institutionen als auch in Richtung ihrer Infragestellung wirkten (Poster 2003).

Marx selber wäre sogar so weit gegangen, disruptiv-brutale Ereignisse wie die Zerstörung der indischen Baumwollindustrie durch britische Kolonialisten insofern zu begrüßen, als sie die historische Entwicklung zum Sozialismus fördern könnten.

Das Internet: Nur eine weitere Teufelei

Das Misstrauen marxistischer Kritiker gegenüber dem Internet erschien Mark Poster daher übertrieben, besonders angesichts der Chancen progressiver Netzkultur in der Open-Source und Hacker-Szene.

Sein Optimismus speiste sich aus dem, was damals als "Kalifornische Ideologie" wegen Ignoranz gegenüber der sozialen Frage kritisiert und heute auch als Transhumanismus bezeichnet wird.

Es war die Zeit einer ersten Verbreitung von Unternehmens-Websites, gefolgt von Börsen-Hype und Dotcom-Crash 2001, als im Kampf um die Netzkultur noch vieles offen war. Für Marxisten war es damals jedoch schon offensichtlich, so Mark Poster, dass das Internet nur eine weitere Teufelei war, um die Reichen noch reicher und die Armen noch ärmer zu machen.

Die Sieger und eine spezielle Ignoranz

Heute, nach der Durchsetzung des Plattform- oder Überwachungskapitalismus, müssen wir leider feststellen, dass die Pessimisten nicht völlig falsch lagen. Zwar hat sich die widerständige Netzkultur weiterhin gehalten, doch Dotcom-Konzerne stehen in der Öffentlichkeit und an den Börsen als Sieger da.

Marxistische Kritik an der Plattform-Industrie leidet heute unter deren Ignoranz zwar nicht mehr gegenüber der Technologie selbst, aber gegenüber den sie betreffenden Diskursen. Technik- und Netzkritik, wie sie auf Telepolis seit drei Jahrzehnten gepflegt wird, scheint in vielen Suhrkamp-Beiträgen unbekannt zu sein.

Eine progressive Perspektive wird markiert durch Berichte über Arbeitskämpfe gegen Digitalkonzerne, deren unethische Geschäftspolitik, feministische Beiträge zum Thema Care und Digitales sowie ökologische Kritik, bei Thomas Barth (dem Beiträger, nicht dem Rezensenten), auf dessen Text "Nachhaltigkeit im digitalen Kapitalismus" jedoch niemand weiter eingeht.

Oft wird auch versucht, Kulturkritik am digitalen Kapitalismus zu üben, politisch die Sache der (digital) Arbeitenden gegen die Seite des (Dotcom-) Kapitals zu vertreten oder marxistische Begriffe auf die Thematik der Digitalisierung anzuwenden.

Digitalisierung: Schwer von (Marx'schem) Begriff

Die Einleitung klärt zunächst die Begriffe Digitalisierung und Informatisierung, wobei letztere die Vergegenständlichung geistiger, regulierend-orientierender Tätigkeiten meint. In Zeichen oder Information erlange dabei nur ein Teil menschlicher Fähigkeiten, Erfahrungen und Wissens "eine eigenständige Gestalt".

Andere Kommunikationspartner:innen müssten die vergegenständlichten Informationen dann wieder in ihr Wissen und ihre Erfahrungen einbetten. Diese kooperative "Arbeit an den Zeichen" (Fn1) bediene sich auch unterschiedlicher Informationstechniken. Informatisierung meine in einem zweiten Sinn die "Materialisierung des Informationsgebrauchs" (Fn2) in Informationssystemen.

Es ginge hier um den organisierten und vergegenständlichten Umgang mit Informationen. Digitalisierung sei demgegenüber die Formalisierung, Reduktion und Integration von Information, die in virtuellen Modellen gipfle, welche Tätigkeiten, Arbeit und der Herstellung von Technik vorausgehe.1

Gleich die erste Fußnote der Einleitung verweist auf einen posthum erschienenen Band mit Schriften von Arne Raeithel (1943-96) "Selbstorganisation, Kooperation, Zeichenprozess" (1998), die zweite auf den Beitrag von Andreas Boes und Tobias Kämpf, "Informatisierung und Informationsraum: Eine Theorie der digitalen Transformation"2, so als hätten diese Raeithels für das Thema des Sammelbandes einschlägige Arbeiten weiterentwickelt.

Leider nehmen Boes und Kaempf keinen Bezug auf Raeithel und auch sonst keiner der Beiträge –die drei weiteren Texte der Herausgeber:innen inbegriffen.

Boes und Kämpf blicken in ihrem Beitrag auf die Informatisierung als zentrales Element der Produktivkräfte, aus "historischer Perspektive" sogar als "Teil der conditio humana" sowie auf Information als soziale Kategorie.

Soziale Kommunikation als Form gesellschaftlicher Arbeit

Arne Raeithel hatte in den 1980er- und 1990er-Jahren die Ehre, diese drei "konzeptionellen Säulen" nicht nur als grundlegend vorauszuahnen, sondern zumindest teilweise auch bereits tiefer und detaillierter auszuarbeiten als Boes und Kämpf in ihrem Text erkennen lassen.

Sie monieren gleichwohl am Stand der Forschung, dass wegen der Marx’schen Fokussierung auf industrielle Handarbeit die "Sphäre der Kopfarbeit" vernachlässigt wurde. Ihr "Konzept der Informatisierung" will "an dieser analytischen Leerstelle" ansetzen, doch die vermeintliche Leerstelle hätte sich durch Lektüre von Raeithel mehr als schließen lassen.

Ihr historischer Rückblick auf Zeichensysteme bis Buchdruck bleibt deutlich hinter Raeithels Geschichte der "symbolischen Herstellung sozialer Kohärenz" zurück, der Vor- und Frühgeschichte bis Ethnologie aufbietet (Raeithel 1998).

Arne Raeithel analysierte soziale Kommunikation als Form gesellschaftlicher Arbeit, basierend auf einem vergegenständlichten Begriff von Sprechhandlungen bzw. generell von Information als Trägerin einer symbolisch geteilten Welt (1989).

Dabei schloss Raeithel, der selbst programmieren konnte, ausdrücklich "rechnergestützte" Arbeit im digitalen Bereich ein und formulierte einen Arbeitsbegriff, der kognitive Tätigkeit an symbolischen Gegenständen ins Visier nahm (1992).

Veränderungen von Können, Begriffen und Werkzeugen

Der so gezeichnete Arbeitsprozess zielt auf Veränderungen von Können, Begriffen und Werkzeugen, und ging damit weit über die theoretische Analyse von Boes und Kaempf hinaus. Raeithel bewegte sich schon in Bereichen, die der vorliegende Suhrkamp-Sammelband eher defizitär im Kapitel "Kultur und Subjekte" behandelt.

Der von Boes und Kämpf als Gipfel ihrer Analyse präsentierte, von "Bild, Ton, Zeichen usw." erfüllte "Informationsraum" überzeugt nicht wirklich: Er sei sozialer Handlungsraum, durchdringe die Gesellschaft, "eröffne das Potenzial für einen egalitären Modus der gesellschaftlichen Produktion von Wissen".

Dies sind heute Gemeinplätze oder schon lange fragwürdig gewordenen Hoffnungen der "Kalifornischen Ideologie" des Silicon Valley.

Die Raummetapher für das Internet stammt aus den 1980er-Jahren, der Cyberspace, den die Matrix-Filme auf die Leinwand brachten, und ist seit einer guten Dekade als Ordnungsmodell des Internets in den Medienwissenschaften kanonisiert (Bleicher 2010).

Es ist nicht alles Marx, was glänzt

Manchmal ist es nur das Werbe-Spektakel einer PR-Abteilung, das Digitalisierung strahlen lässt. Ulrich Dolata und Jan-Felix Schrape entwerfen in ihrem Beitrag "Politische Ökonomie und Regulierung digitaler Plattformen" ein überraschend unkritisches, teils fast affirmatives Bild der Plattformkonzerne.

Aus Sicht der Organisations- und Innovationssoziologie verteidigen sie zunächst die US-Technologiekonzerne Amazon, Apple, Alphabet/Google und Meta/Facebook gegen die Vorhaltung, dort würde in einem "asset-light-Geschäftsmodell" weitgehendes Outsourcing betrieben. Unklar bleibt dabei, warum sie Microsoft ausnehmen.

Ihre analytische Teilung von "Plattformunternehmen als organisatorischer Kern" und der "Plattform als sozialer Handlungsraum" scheint die Unabhängigkeit besagter "Handlungsräume" von den Konzernen zu betonen.

Das spielt deren Management in die Hände, das die Freiheit ihrer Nutzer gegenüber eigener manipulativer Eingriffe herausstellt. Dolata und Schrape erwähnen zwar das Machtgefälle zwischen Nutzer:innen und Konzernen, haben aber wenig Einwände gegen konzernseitige "lückenlose Beobachtung" des Nutzerverhaltens, dessen Daten "zunächst als Rohmaterial anfallen".

Sie kritisieren den Ansatz von Shoshana Zuboff, weil deren "Überwachungskapitalismus" bei der Entstehung dieser Daten fälschlich von "unbezahlter digitaler Arbeit" der Nutzer ausgehe, obwohl es doch "viel trivialer" um die "bereitwillige Offenlegung ... alltäglichen Verhaltens" ginge. Was den Nutzer:innen, die ihre "Datenspuren oft achtlos und im Vorbeigehen liefern", entzogen wird, seien wertlose Rohstoffe.

Das moralische Recht der Konzerne?

Diese werden erst von den Konzernen durch "Aufbereitungs- und Veredelungsleistungen" zur Ware erhoben. Die Konzerne erwerben damit offenbar nicht nur das ökonomische, sondern auch noch das moralische Recht, private Kommunikation als "handelbare Datensätze und personalisierte Werbemöglichkeiten" zu Geld zu machen.

Die Fixierung auf Marx'sche Wertlehre verstellt hier womöglich den Blick auf die Manipulation der Nutzer:innen, deren Daten nicht "achtlos im Vorbeigehen", sondern in vorsätzlich süchtig machenden Strukturen produziert werden.

Beim Thema Regulierung sehen Dolata und Schrape die Plattformen unter "intensiver Beobachtung" einer "politischen Öffentlichkeit". Zivilgesellschaft und Journalisten hätten "Desinformationsdynamiken" und "Verletzungen der Privatsphäre" aufgedeckt – nebenbei bemerkt: auch in genau jenen Konzernaktivitäten, die Dolata und Schrape als "Veredelungsleistungen" anpriesen.

Doch die Plattformkonzerne hätten auf die Kritik "durchaus reagiert – etwa mit Transparenzinitiativen sowie Versuchen einer institutionalisierten Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure in ihre eigenen Regulierungsstrukturen".

Beispiele nennen die Autoren nicht, daher kommt die Frage nicht auf, ob es sich dabei nur um die üblichen PR-Spektakel gehandelt haben könnte.

Plattform-Demokratie-Spektakel

Im Fall von Facebook bewertete Felix Stalder 2016 konzernseitiges Reagieren kritisch: Facebook habe sich zwar 2009 selbst auferlegt, Änderungen der Geschäftsordnung einer Abstimmung vorzulegen, sobald 7000 Kommentare dazu abgegeben würden; doch das Quorum von 30 Prozent der User:innen wäre bis zur Abschaffung der Regel 2012 nie erreicht worden.

Kein Wunder: Facebook hätte bei seinem angeblichen Demokratiemodell "die Wahlurne versteckt" und vielmehr "mit jeder Neuerung das Machtgefälle zwischen Nutzern und Betreibern" verschärft.

Ein Lichtblick: Stalder selbst liefert auch einen Beitrag zum hier besprochenen Suhrkamp-Band, der seine "Kultur der Digitalität" von 2016 selbstkritisch hinterfragt. Stalders 2016 noch große Begeisterung für die digitale Allmende ("Commons") der Open-Source-Bewegung hat nachgelassen.

Der Neoliberalismus instrumentalisiere zunehmend Commons als Trostpflaster für soziale Raubzüge, etwa wenn mittels Crowdsourcing bezahlte Arbeit durch schlechtbezahlte Arbeit ersetzt würde.

Der Geist der freien Software

Der Geist der freien Software mit Gnu-Public-Licence (GPL) würde von der Software-Industrie heute unterlaufen, indem ihre Dienstleistung über die Cloud angeboten würde –ohne den Quellcode der spezifisch angepassten GPL-Programme offenlegen zu müssen: Eine neue Form kapitalistischer Einhegung einer Allmende.

Kombination mit firmeneigenem Code sei eine weitere Einhegung, etwa bei Googles dadurch nicht wirklich offenem Android-System. Kulturelles Commoning diene auf Plattformen der Kommerzialisierung von Nutzerdaten-Extraktion. Schlimmer noch:

Aber die Einhegung findet nicht nur als Form des Datenextraktivismus statt, sondern auch durch vielfache Möglichkeiten des "nudging", das die aus Nutzer:innensicht nichtkommerzielle Tätigkeiten in für Plattformbetreiber kommerziell interessante Richtungen lenkt, mit allen problematischen Konsequenzen.

Felix Stalder, 2023

Stalder führt die Arbeit von Mark Poster weiter, wenn er feststellt, Kulturproduktion im Internet werde so hinter dem Rücken der User doch wieder für eine Kulturindustrie vereinnahmt. Da wir von der Frankfurter Schule gelernt haben, meinte Mark Poster 2003, wie verheerend sich die Kulturindustrie auf die Arbeiterklasse und andere demokratisierende Bewegungen auswirkt, sei es unsere Pflicht, die Möglichkeiten ihrer Technologie zu verstehen.

Wir sollten lernen, wie sie bei der Konstruktion kultureller Formen eingesetzt werden können, die einer demokratischen Lebenswelt angemessener sind.

Ähnlich argumentiert heute Geert Lovink, der es in den liberalen Niederlanden vom Aktivisten und Netzkritiker zum Professor für Kunst und Netzwerkkulturen brachte. Lovink sieht uns "In der Plattformfalle" und plädiert für eine "Rückeroberung des Internets" dabei warnt er spöttisch:

Man sollte sich nicht in pedantischen Übungen verlieren, um akademische Territorien mit ihren Kanons und Methoden zu definieren und zu verteidigen ... Wir sollten die momentane Leichtigkeit annehmen und uns über die Verwirrung unter jenen amüsieren, die versuchen, "Digitalisierung" zu kartieren.

Geert Lovink, 2022

Fazit

Leider kann der Sammelband trotz vieler herausragender Beiträge seine Versprechen nicht einlösen, vor allem nicht jenes, die "Verbindungen der disparaten Ansätze" auszuleuchten.

Schon die Gliederung in die Kapitel "Arbeit", "Ökonomie", "Politik und Öffentlichkeit" sowie "Kultur und Subjekte" überzeugte wohl nicht jeden. Abweichend davon benennen die Herausgeber:innen sie in den Titeln der Unterkapitel ihrer Einleitung "Produktivkraftentwicklung und Arbeit", "Wertschöpfung und Ökonomie", "Politische Regulation und Öffentlichkeit" sowie "Kulturelle Regulation und Subjekte".

Zu Beginn der Einleitung findet sich zudem eine noch mehr abweichende "Strukturierung des Feldes anhand der kapitalismustheoretischen Basiskategorien Produktivkraftentwicklung, Arbeit, Wertschöpfung, politische Regulation sowie Kultur und Subjekte".

Mit klobigen Begriffen beschäftigt – wo bleibt der Mut?

Mit klobigen Begriffen beschäftigt, übergehen die Herausgeber:innen wichtige politische Kämpfe und Propagandaschlachten der Netzkultur; allein Edward Snowden wird kurz genannt, er habe etwas "bezüglich der weitreichenden Überwachung des Netzes etc." enthüllt. Was genau?

Darauf geht keiner der Beiträge weiter ein, wie auch keiner den Mut hat, Julian Assange oder Wikileaks auch nur zu erwähnen. Unberührt bleibt somit auch die Rolle von Medien und Medienkonzernen beim digitalen Umbau von Demokratie zum Controlling der Gesellschaft (Barth 2006).

Die Zuordnung der Beiträge zu den Kapiteln ist nicht immer einsichtig, etwa wenn die Texte von Marisol Sandoval zu digitalen Genossenschaften und Felix Stalder zu Commons nicht unter Ökonomie, sondern bei "Öffentlichkeit" und "Subjekt" landen.

Insbesondere macht aber das Fehlen editorischer Orientierungshilfen den Sammelband äußerst unübersichtlich. Am Ende des Buches findet sich lediglich eine Liste mit Textnachweisen für sieben Beiträge, die keine Originalbeiträge sind.

Es fehlen biografische Angaben zu den Autor:innen, Literaturlisten zu den Beiträgen, ein Schlagwort- oder wenigstens ein Namensregister. Es fehlt mithin alles, was der Leser gebraucht hätte, um wirklich Verbindungen der "disparaten Ansätze" ausleuchten zu können – oder ihre Redundanz.

Einen Überblick über die verwendete Literatur klaubt man nur mühselig aus den weit über tausend Fußnoten. Bezugnahmen der Beiträge oder Autor:innen aufeinander sind seltene Ausnahmen, bleiben fast immer beim bloßen Namedropping – selbst bei der in den Leitmedien herumgereichten und daher schwer ignorierbaren Shoshana Zuboff.

Die renommierte Havard-Professorin gehört mit ihrer Kritik des "Überwachungskapitalismus" zu den am häufigsten zitierten Autor:innen im Sammelband, leider fast immer nur als inhaltsleerer Verweis auf das Problem der Überwachung (das damit oft als abgehandelt betrachtet wird).

Eine tiefergehende Diskussionskultur, Diskurse und Debatten sucht man weitgehend vergeblich.

Literatur

Barth, Thomas: Die "Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace" und der Panoptismus der globalen Netze, in: Medienwissenschaft, Nr.4, 1999, S.402-407.

Barth, Thomas: Controlling statt Demokratie?, in: ders. Hg., Bertelsmann: Ein globales Medienimperium macht Politik, Anders, Hamburg 2006, S.101-111.

Bleicher, Joan Kristin: Internet, UVK (UTB), Konstanz 2010. (zit. S.46 ff.)

Boes, Andreas / Tobias Kämpf: Informatisierung und Informationsraum: Eine Theorie der digitalen Transformation, in: Carstensen/Schaupp/Sevignani (Hg.): Theorien des digitalen Kapitalismus: Arbeit, Ökonomie, Politik, Subjekt, Suhrkamp, Frankfurt/M. 2023, S.141-161.

Dolata, Ulrich / Jan-Felix Schrape: Politische Ökonomie und Regulierung digitaler Plattformen, in: Carstensen/Schaupp/Sevignani (Hg.): Theorien des digitalen Kapitalismus: Arbeit, Ökonomie, Politik, Subjekt, Suhrkamp, Frankfurt/M. 2023, S.344-363.


Krysmanski, Hans J.: Die Privatisierung der Macht, in: Elmar Altvater: Privatisierung und Korruption, Anders, Hamburg 2009, S. 25-37.

Lovink, Geert: In der Plattformfalle –Plädoyer zur Rückeroberung des Internets, Transcript, Bielefeld 2022.

Poster, Mark: The Mode of Information: Poststructuralism and Social Context, Polity Press, Cambridge 1990.

Poster, Mark: The Second Media Age, Polity Press, Cambridge 1995.

Poster, Mark: What’s Left: Materialist Responses to the Internet, electronic book review, 13.9.2003

Raeithel, Arne: Kommunikation als gegenständliche Tätigkeit, in: Knobloch, C. (Hg.): Kommunikation und Kognition, Nodus, Münster 1989, S.29-70.

Raeithel, Arne: Ein kulturhistorischer Blick auf rechnergestützte Arbeit, in: Wolfgang Coy et al. (Hg.): Sichtweisen der Informatik, Vieweg, Wiesbaden 1992, S.125-139.

Raeithel, Arne: Selbstorganisation, Kooperation, Zeichenprozess: Arbeiten zu einer kulturwissenschaftlichen, anwendungsbezogenen Psychologie, Westdt.Vlg., Wiesbaden 1998.

Stalder, Felix: Kultur der Digitalität, Suhrkamp, Berlin 2016.

Stalder, Felix: Commoning als unvollständige Dekommodifizierung, in: Carstensen /Schaupp /Sevignani (Hg.): Theorien des digitalen Kapitalismus: Arbeit, Ökonomie, Politik, Subjekt, Suhrkamp, Frankfurt/M. 2023, S.495-512.

Zuboff, Shoshana: Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus, Campus, Frankfurt/M. 2018.

Fußnoten

[1] Carstensen, Tanja/ Simon Schaupp/ Sebastian Sevignani (Hg.): Theorien des digitalen Kapitalismus: Arbeit, Ökonomie, Politik, Subjekt, Suhrkamp, Frankfurt/M. 2023, S.10

[2] Ebd. S.141-161