Warum Tudjman den Krieg nicht verlieren konnte
- und wie die USA ihm dabei half.
Tudjman hat, wie vorausgesehen, die Wahlen in Kroatien gewonnen. Zwar haben, nach der OSZE - "frei, aber nicht fair" -, auch die USA die Wahl kritisiert, doch der in New York lebende Kroate Ivo Skoric ist der Meinung, daß die USA am Wahlsieg nicht unschuldig war. Vom Aufbruch ist in Kroatien nicht mehr viel zu spüren. Die Menschen, die für Tudjman stimmten, wollen lieber in der Vergangenheit leben.
In den 50er Jahren, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, als die USA der Welt die demokratischen Werte und die Regel Eine-Person-eine-Stimme predigte, wurde vielen Amerikanern das Wahlrecht verweigert, weil ihre Haut die "falsche" Farbe hatte. Überdies gab es eine Art stalinistischer Säuberungsaktion, die vom Senator McCarthy angeführt wurde.
Heute ist der Eiserne Vorhang beseitigt, aber es gibt weiterhin dieselbe Ironie. Die amerikanische Außenpolitik, vornehmlich ein wirtschaftliches Unternehmen, ist, wie so oft in den USA, besser als das Produkt, das sie verkaufen soll. So stand Madeleine Albright vor einem niedergebrannten und zerstörten serbischen Haus in Kroatien, um, ganz korrekt, das Verhalten Kroatiens gegenüber seinen Minderheiten zu kritisieren. Aber zur selben Zeit lassen sich unzählige niedergebrannte, zerstörte, verlassene und heruntergekommene Häuser in den schwarzen und spanischen Minderheitswohngebieten in den USA finden, und niemand stellt sich vor sie hin.
Die amerikanischen Regierungsangehörigen würden sagen, daß das Anzünden dieses Hauses in Kroatien durch ethnischen Chauvinismus und politische Verfolgung motiviert war (ganz ähnlich wie das Niederbrennen der 40 und mehr Kirchen von schwarzen Gläubigen im Süden der USA im Laufe der letzten Jahre, wogegen Clinton einen festen Standpunkt vertreten hat), während das Anzünden, die Zerstörung und das endgültige Verlassen von Häusern in von Minderheiten bewohnten Gebieten der USA nur das Ergebnis von Mechanismen des freien Marktes sei. Ganz entsprechend unterscheidet die amerikanische Einwanderungsbehörde zwischen politischen und wirtschaftlichen Gründen: politische sind für einen Asylantrag zugelassen, wirtschaftliche nicht.
Aber wir essen die Verfassung nicht, wir lesen sie lediglich. Und wir müssen auch essen. Ebenso wie jemand das Opfer politischer Verfolgung sein kann, kann ein anderer zum Opfer der Marktmechanismen werden. Die Ökonomie kann als Mittel politischer Verfolgung dienen. Während der McCarthy-Periode wurden die Opfer oft nicht eingesperrt. Ihnen wurde der Arbeitsplatz genommen und sie konnten praktisch keinen neuen finden. Das wurde auch oft im späten Jugoslawien praktiziert.
Auf geschicktere Weise kann, wenn man nur die Mechanismen des freien Marktes arbeiten läßt, eine Form der politischen und rassistischen Verfolgung unbemerkt bleiben. Man stelle sich vor, daß die Serben die Krajina nicht verlassen hätten und daß die Kroaten sie dort nach Niederlegung der Waffen hätten bleiben lassen, anstatt sie zu töten und ihr Eigentum niederzubrennen. Man stelle sich vor, daß es Kroatien dann den Mechanismen des freien Marktes überlassen hätte, Schnellstraßen und Gleise für Hochgeschwindigkeitszüge zu bauen, so daß man über den serbischen Wohngebieten in der Krajina hinwegrasen könnte, wobei es nur einige schwer bewachte Ausfahrten wie beispielsweise einen Draza Mihajlovic Boulevard auf kyrillisch gäbe, um die große Toleranz Kroatiens herauszustreichen. Die serbischen Wohngebiete würde man langsam zerfallen und deren Bewohner einander im Kampf um den Abfall von Zagrebs Tischen töten lassen. Ich frage mich, ob Frau Albright dann in die Krajina gehen würde. Der Anblick würde ihr vermutlich zu vertraut sein, um sich daran zu stören.
Die scheinheilige Kluft, die es zwischen den Werten der amerikanischen Märkte im Ausland und den Werten gibt, die Amerika Zuhause verwirklichen kann, läßt sich nicht übersehen und richtet für die amerikanische Außenpolitik einen großen Schaden an, was besonders im Balkan der Fall ist. Politiker nehmen hier Amerikas Geschwätz über Menschenrechte einfach nicht ernst. Sie entgegnen schnell, daß in ihren Ländern weder die Todesstrafe ausgeführt noch stillschweigend geduldet wird. Und was ist mit den Massengräbern? Vielleicht wurden sie vom "Menschenfresser aus dem Tunnel" gegraben - ein Zitat aus dem ausgezeichneten serbischen Film "Schöne Dörfer brennen schön".
Auch wenn sie Amerikas riesige Militärmacht und noch mehr seine gigantische wirtschaftliche Macht fürchten, so lernen sie schnell, daß die amerikanische Militärmacht ein Papiertiger ist, der seinen Soldaten verbietet einzugreifen, weil er Angst hat, daß sie sterben könnten, und daß jeder kluge Diktator sehr gute Geschäfte mit der amerikanischen Wirtschaft machen kann. Als Endergebnis werden die Menschen jene wählen, die an der Macht sind und die man am besten für geeignet hält, mehr aus den Amerikaners herauszuholen: mehr McDonalds und mehr Coca-Colas zu einem geringeren Preis.
Solange Coca-Cola das Land weiterhin überschwemmt, werden sie im Amt bleiben. Das verleiht der USA unvermeidlich die Macht, diese Länder durch die Mittel wirtschaftlicher Hebel und Gewichte zu kontrollieren. Aber das kann ein kostspieliges Unternehmen werden. Die Menschen im Balkan sind seit der Herrschaft von Tito an ein gutes Leben gewöhnt, und sie werden schnell mehr von Amerika als nur McDonalds oder Coca-Cola verlangen. Und Amerika wird sie auf vorhersehbare Weise weiter auszahlen, wenn es das für profitabel hält - so wie es dies im Fall des ehemaligen Jugoslawien gemacht hat. Dann würde die Pipeline plötzlich zusammenbrechen und die New York Times eine weitere fantastische Geschichte von Jahrtausenden des Krieges und des ethnischen Hasses im von der Geschichte verdammten Balkangebiet bringen.
Es war also vorauszusehen, daß die Kroaten wieder Tudjman wählen würden. In einem Dreierrennen gewann er mehr Stimmen als die beiden anderen Kandidaten zusammen (Gotovac 18,1 %, Tomac 22,8 %, Tudjman 60,1 %), genau so, wie er dies selbst vorausgesagt hatte. Die Wahlbeteiligung war mit 57 % die niedrigste in der kurzen Geschichte der kroatischen Demokratie, nur eine Spur größer als die Wahlbeteiligung in den USA bei den letzten Präsidentschaftswahlen. Die Kroaten wurden den Wahlen ziemlich schnell müde, oder? Die kroatischen Kandidaten waren nicht so subtil verschieden wie die amerikanischen Präsidentschaftskandidaten, sondern sie kamen aus demselben ideologischen Lager: alle drei waren irgendwann hochrangige Mitglieder der kommunistischen Partei Jugoslawiens.
Sie repräsentieren drei verschiedene Epochen des jugoslawischen Kommunismus: Tudjman ist ein Kommunist der 50er und 60er Jahre, was man in den USA einen "reifen" Kandidaten nennen würde, Gotovac ist ein Kommunist der 70er Jahre, also ein "Boomer", und Tomac einer der 80er Jahre, ein jugoslawischer Angehöriger der "Generation X". Sie alle sind Veteranen der politischen "Entwicklung", die durch die Drehtüren des Systems viele Male vor der Gegenwart ein- und ausgingen. Das wird in Jugoslawien sogar noch besser praktiziert als in den USA und heißt "rotacija". Der erneute Wahlsieg Tudjmans weist darauf hin, daß die Vergangenheit in Kroatien noch fest die Gegenwart und die Zukunft beherrscht. Ich glaube, daß wegen all der Störungen des geordneten Lebens während des letzten Jahrzehnts viele der etablierten und gut situierten kroatischen Bürger lieber in der Vergangenheit leben würden. Sie stimmten wahrscheinlich für Tudjman, weil er für sie am meisten Tito gleicht. Eine Demokratie garantiert das Recht, sich zu entscheiden, aber sie garantiert nicht, daß diese Entscheidung die beste sein wird.
Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer