Warum der Hamas-Anschlag eine Zäsur für Israel und Palästina bedeutet

Israelflagge an der Klagemauer in Jerusalem. Bild: David Radomysler / Pexels

Der Anschlag war ein Schock. Viele Israelis sehen zum Krieg keine Alternative. Doch die Eruption kann auch ein Fenster für Friedensgespräche öffnen.

Im Mittelpunkt des Anfang September 2023 verfassten Beitrags "Quo Vadis Israel? Historie – aktuelle Konflikte – Weichenstellungen für die Zukunft", veröffentlicht in WeltTrends 198, stand die damalige innenpolitische Situation Israels. Diese jedoch hat sich durch den Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober derart verändert, dass einige der neuen Herausforderungen und Tendenzen in einem Nachtrag benannt werden sollen.

Das Vordringen bewaffneter Hamas-Kämpfer aus Gaza auf israelisches Territorium, die Eroberung israelischer Grenzposten und die Ermordung von mindestens 1200 Israelis, unter ihnen zahlreiche Frauen, Kinder und ältere Menschen, in Ortschaften und Kibbuzim in Grenznähe sowie die Verschleppung von 240 Geiseln nach Gaza haben nicht nur international Abscheu und Protest hervorgerufen, sondern auch die innenpolitische Situation des Landes gravierend verändert.

Entsetzen, Trauer und Wut angesichts des Massakers verbinden die Bürgerinnen und Bürger auf neue Weise. Das Land befindet sich im Kriegszustand. Die noch zuvor gespaltene Gesellschaft rückt zusammen.

Nicht die Justizreform der Regierung treibt die Menschen nunmehr um, sondern die dramatische Zuspitzung des israelisch-palästinensischen Verhältnisses. Gravierende regionale und internationale Weiterungen sind nicht auszuschließen. Der 7. Oktober 2023 dürfte als Zäsur in die Geschichte Israels und des Nahostkonflikts eingehen.

Über Hintergründe und Auswirkungen des islamistischen Überfalls wurde bereits vielfältig referiert und geschrieben. An dieser Stelle sei daher vor allem auf unmittelbare innenpolitische Folgen verwiesen. Der Hamas-Angriff traf Israel unvorbereitet.

Seine Wirkungen versetzten dem Nimbus der Unbesiegbarkeit der israelischen Armee bzw. der Aufklärungsfähigkeit der Geheimdienste einen gravierenden Schlag. Die aus dem Holocaust gezogene Lehre, Israel sei ein sicherer Hafen für Juden aus aller Welt, wurde infrage gestellt.

In einer am 20. Oktober 2023 veröffentlichten Meinungsumfrage verlangten 80 Prozent der Befragten daher, Ministerpräsident Netanjahu müsse die Verantwortung für die Ereignisse vom 7. Oktober und der Folgezeit übernehmen. Es ist zu erwarten, dass sich nach Kriegsende Untersuchungskommissionen mit den Fehleinschätzungen von Politik, Armee und Geheimdiensten beschäftigen werden.

Zunächst jedoch stehen Teile der bisherigen Opposition zur aktuellen Regierung. So trat Benjamin Gantz, Verteidigungsminister im Kabinett Bennett-Lapid von 2021 bis 2022, am 11. Oktober 2023 einem ausschließlich für das Kriegsmanagement zuständigen Notstandskabinett bei. Oppositionsführer Jair Lapid lehnte seinen Eintritt in die Regierung ab, da seiner Bedingung, zuvor die rechtsextremistischen Minister Smotrich und Ben-Gvir ihrer Posten zu entheben, nicht stattgegeben wurde.

Die Mehrheit der israelischen Bürgerinnen und Bürger sieht nach den Mordtaten an der südlichen Grenze keine Alternative zu einem Krieg gegen die Hamas. Die islamistische Partei und ihre Milizen sollten zerschlagen bzw. zumindest handlungsunfähig gemacht werden.

Zwei Wochen nach dem Massaker sprachen sich 65 Prozent der Befragten für eine israelische Bodenoffensive in Gaza aus; lediglich 21 Prozent lehnten ein solches Vorgehen ab.