Warum der Staatsschutz eine "Transfrau" vor Linken, Rechten und Islamisten schützen musste
Adrett, selbstkritisch und vor allem wieder männlich: Bijan Tavassoli. Bild: privat
Bijan Tavassoli wollte mit einem parodistischen Umgang mit Gender-Kultur eine Debatte anstoßen. Es folgten massive Anfeindungen. Welche Bilanz zieht er aus der Aktion? (Teil 1)
Es war eine skurrile Szene auf dem Landesparteitag der Hamburger Linken im Herbst 2022: Eine vermummte Person verlas die Bewerbungsrede einer Person, die einen männlichen Namen trug, sich aber als Frau ausgab und für einen weiblichen Listenplatz kandidierte.
Hinter der Aktion stand der Hamburger Linken-Politiker und Jurist Bijan Tavassoli. Was aus einer Laune heraus entstand, entwickelte sich zu einer satirischen Rolle, die vermeintliche Transperson entwickelte sich zur "muslimischen Trans-Frau".
Inzwischen hat Tavassoli die satirische Aktion für beendet erklärt. Hinter ihm liegen Monate heftiger Diskussionen, Anfeindungen und sogar Morddrohungen. Die Aktion hat Linke wie Rechte aus der Reserve gelockt. Ob das alles gut war, was es gebracht hat und was er gelernt hat - darüber spricht er erstmals ausführlich im zweiteiligen Interview mit Telepolis - ebenso wie über seine Erfahrungen mit politischen Freunden und Gegnern.
Herr Tavassoli, wie wird man zu einer islamischen Transfrau?
Bijan Tavassoli: Ich halte diese Frage für unstatthaft. Wir können heute alles werden, heute Frau, morgen Mann, übermorgen Trans. Ich kann heute an den christlichen Gott glauben und morgen an Allah oder einen anderen. Wir sind doch in unseren entwickelten westlichen Ländern völlig frei geworden. Ist das nicht wunderbar?
Bis auf die Kleinigkeit, dass wir nicht über unseren Lohn, unsere Wohnung, die Pünktlichkeit der Bahn oder den Impfstoff unserer Wahl entscheiden dürfen. Aber was sind das für Petitessen im Vergleich dazu, schon mit zwölf Jahren von einer Geschlechtsumwandlung träumen zu dürfen?
Im Rahmen Ihrer Aktionen fällt eine starke Gegnerschaft zum politischen Islam ins Auge. Woher stammt diese Haltung?
Bijan Tavassoli: Ernsthafte Frage, ja?
Ja, durchaus: Das hat in Reaktionen auf Ihre Aktion doch eine wichtige Rolle gespielt!
Bijan Tavassoli: Ein Teil meiner Familie musste unter schrecklichem Terror das iranische Heimatland verlassen. Und hierzulande propagieren einige woke Ideologen leichtfertige Geschlechtsumwandlungen und begrüßen paradoxerweise zugleich oft den Islamismus.
Gleichzeitig wird im Iran in der Regel einem von zwei Männern, die zusammen im Bett erwischt werden, das Geschlechtsteil entfernt. In sunnitischen Staaten ist die Scharia oft noch martialischer. Meine Aktionen zielten auf die Naivität mancher Gender-Übertreiber und allzu großer Toleranz gegenüber religiösem Fanatismus.
Es ist eben alles viel komplizierter. Zumal viele islamische Regierungen geostrategisch eine antikolonialistische Position einnehmen – ungeachtet ihrer schlimmen Innenpolitik.
Ihre satirische Rolle nahm in einem für dieses Genre ungewöhnlichen Ambiente ihren Anfang: Beginn war Ihre Bewerbung für einen Listenplatz als "Genossin Bijan Tavassoli" auf dem achten Landesparteitag der Linkspartei in Hamburg vor einem Jahr.
Bijan Tavassoli: Das war alles recht chaotisch gelaufen und am Ende wurde eine Rede verlesen, die ich gar nicht wollte. Blöd gelaufen. Dennoch bot sich damals folgendes Bild: Ein abwesender Kandidat, ich also, ließ eine Rede, die er nicht geschrieben hat, von einem durch Corona-Maske und Kapuze unerkennbaren Unerkannten verlesen und distanziert sich noch während dieser von ihrem Inhalt. So hat die Rede auf die Anwesenden gewirkt.
Die Parteitagsdelegierten nehmen an dieser totalen Entkernung des Repräsentanten in der Demokratie auf seinen bloßen Namen – eine fast beliebige Buchstabenfolge – jedoch nur insoweit Anstoß, als sie sein behauptetes Geschlecht, was in ihrem Denken eigentlich auf die Behauptung selbst als bloßen Sprechakt reduziert ist, lauthals infrage stellen.
Klingt kompliziert ...
Bijan Tavassoli: ... und geht noch komplizierter: Die Abwesenheit des Körpers des Kandidierenden schließt aus, dass die damals Protestierenden die von ihnen politisch abgelehnte, aber trotzdem praktizierte Abgleichung der Behauptung mit dem, was sie für sekundäre Geschlechtsmerkmale halten überhaupt vornehmen konnten.
So stellten sie, indem sie die Aussage der Rede in Frage stellen, die Idee der Veränderlichkeit von Geschlecht selbst in Frage. Ihr kollektives Ich-Ideal wurde sozusagen mit ihren eigenen Vorurteilen konfrontiert – und ist an sich selbst gescheitert.
Linken-Parteitag zwischen Toleranz und Beschimpfung
Ihre Kandidatur auf einem Frauen-Listenplatz für den Vorsitz auf dem Hamburger Landesparteitag sorgte sogar bundesweit für Turbulenzen. Haben Sie das genossen?
Es war schon rührend zu erleben, wie meine sonst so oft auf extensive Toleranz und Transgender-Pluralität fixierten Genossinnen und Genossen in Hamburg ihren Landesparteitag meinetwegen für zwei Stunden mit aggressivsten Beschimpfungen unterbrochen haben. Die einen wollten mich körperlich angreifen. Die anderen fürchteten um ihren politisch korrekten Gender-Ruf.
Allein diesen Widerspruch zu zelebrieren, war die Aktion wert. Identitätspolitiken aller Art zersetzen eine wirkliche soziale Opposition. Wir sollten uns stattdessen auf vier Punkte konzentrieren: Meinungsfreiheit, Stärkung des Sozialstaats, Rettung des Mittelstands und Abrüstung.
Wie zuvor erwähnt: Das alles Ganze fand auf der 1. Tagung des 8. Parteitags der Linken in Hamburg statt. Wie entsteht aus so einem trockenen Event eine satirische Rolle?
Bijan Tavassoli: Ich will mich jetzt wirklich nicht mit Eulenspiegel, Harlekin oder Simplicissimus messen. Aber in manchen Satiren steckt auch ein gewisses Maß an einfühlendem Vergnügen am Gegenstand. Ein Hofnarr, der einen König karikiert, muss ihn auch irgendwie mögen. Sonst wäre die Satire vielleicht nicht so leidenschaftlich und glaubwürdig.
Ob der Vers im Gedicht, die leere Leinwand oder der Marmorstein des Bildhauers: Kreativität besteht immer darin, in begrenzter Form neue Ausdrucksmöglichkeiten zu schaffen.
Parteitage haben oft etwas Rituelles, Inhalte werden durch Akzente und Nuancen gesetzt. Selbst Kenner tun sich manchmal schwer mit der Einordnung. Und für junge Menschen oder solche, die sich neu für Parteipolitik interessieren, ist es ein Buch mit sieben Siegeln. Dabei gibt es kaum Unterschiede zwischen Parteitagen der KPdSU, der Linken oder gar der FDP. Und die Frage, ob diese Form der Politik, die vor zwei Jahrhunderten erfunden wurde, noch zeitgemäß ist, wird viel zu selten gestellt.
Wieso Satire als Politikform?
Bijan Tavassoli: Nun, ich gehe mit dem Begriff Satire zurückhaltend um. Satire ist ein Privileg der Subalternen gegenüber den Herrschenden. Herrschen tun in Deutschland weder Transmenschen, noch Muslimas und erst recht nicht die Linkspartei. Deswegen würde ich es nicht als Satire, sondern eher als investigative Drag-Performance bezeichnen.
Also neu gefragt: Wieso eine Drag-Performance als Politikform?
Bijan Tavassoli: Ich hielt das für notwendig, weil die heutige Linke keine glaubwürdigen Lösungskonzepte mehr anzubieten hat. Links und rechts laufen ihr die Wähler und inzwischen auch die Mitglieder weg.
Eine plurale Linke lebt vom Diskurs und davon, in kritischen Fragen auch nach innen Chancen zu sehen, Antworten auf die Herausforderungen der Zeit zu finden. Das ist vorbei, stattdessen übt sich die Parteiführung in der mantrahaften Wiederholung von Glaubenssätzen.
Es hat sich eine gewisse Führerbunkermentalität eingeschlichen. Aber wenn man schon nicht in der Lage ist, mit innerparteilicher Kritik kreativ umzugehen, wie will man dann von den einfachen Mitgliedern erwarten, dass sie am Infostand den Wählern Rede und Antwort stehen?
Warum am Ende der Staatsschutz einschreiten musste
Ihre Genossinnen und Genossen in Hamburg waren jedenfalls not amused. In geleakten Chatprotokollen war von Mordgedanken zu lesen.
Bijan Tavassoli: Darüber war ich wirklich entsetzt. Ich hatte schon in der Vergangenheit wegen meiner politischen Aktivitäten ernsthafte Morddrohungen von Nazis erhalten.
Aber dass nun meine eigenen Genossinnen und Genossen, für die ich seit über 15 Jahren, also mehr als mein halbes Leben, Plakate geklebt, Podiumsdiskussionen organisiert und Infostände betreut habe, mir nicht nur offen den Tod wünschen, sondern in einer geschlossenen Telegram-Chatgruppe mit fast 100 Mitgliedern ohne jedes Schamgefühl geradezu lustvoll gemeinsam Tötungsphantasien bis hin zu detaillierten Mordplänen diskutieren, hat mich fassungslos gemacht.
Zum Glück gab es auch in dieser Gruppe, in der Mandatsträger aus Landtagsfraktion und Landesvorstand vertreten waren, anständige Menschen, die zwar nicht den Mut hatten, diesen Plänen offen entgegenzutreten, sie aber durch anonyme Veröffentlichung wirksam vereitelt haben, und zum Glück ist die Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamtes für links- wie rechtsextremistische Gewalttaten sensibilisiert und nimmt geäußerte Tötungsabsichten sehr ernst.
Die Rolle hat sich ja auch zugespitzt: Von der Bewerbung als selbsterklärte Frau bis hin zur islamischen Transfrau. Das hat die Kritik sicher nicht geschmälert, oder?
Bijan Tavassoli: Ganz im Gegenteil! Mir wurde von Teilen der Linken geradezu Blasphemie vorgeworfen und dass ich mit der Verbindung dieser zwei Themen indirekt der extremen Rechten nützen würde. Das war nun keineswegs meine Absicht, weswegen ich diese Kritik auch sehr ernst genommen habe. Die Verbindung von Fragen geschlechtlicher mit religiöser Identität war allerdings nicht willkürlich von mir gewählt, sondern von Geburt an in meiner Person angelegt.
Wenn das Scharia-"Recht" mich als Kind eines im Iran von einem Moslem geborenen Vaters nun einmal ohne mich zu fragen als Moslem ansieht, dann fällt es schwer, meine Identität zu finden, ohne mich eben auch mit dieser Frage auseinanderzusetzen.
Ein berechtigter Vorwurf wäre sicher gewesen, ob ich das unbedingt in dieser Form in der Öffentlichkeit hätte machen müssen. Das sehe ich mittlerweile selbst kritischer. Auf jeden Fall aber ist es nicht schön, wenn man Morddrohungen von Rechten, Islamisten und Linken gleichzeitig bekommt.
Es blieb ja bis zum Ende immer etwas unklar, ob die Rolle satirisch oder ernst gemeint war. Inwieweit war das ein Vorteil, inwieweit Problem?
Bijan Tavassoli: Es gab Missverständnisse durch die fehlende Trennung zwischen realer Person und Kunstfigur, das stimmt. Ein Martin Sonneborn wandelt auf diesem schmalen Grat. Aber ich verstehe jetzt, warum es Künstlernamen gibt und warum man im Journalismus keine Witze machen darf.
Als ich am 1. April meine Absicht verkündete, die Arbeitsgemeinschaft der Transmuslimas in der AfD zu gründen, riefen mich Jugendfreunde an und wollten mir - bis ich sie auf das Datum hinwies - allen Ernstes ausreden, in die AfD einzutreten.
Was war Ihre Intention, wie hat sie sich geändert?
Nach Corona war die Welt auf absurde Art furchtbar ernst geworden. Ich wollte mich bewegen, um meine Fesseln zu spüren, mich in dieser neuen Welt orientieren. Dabei hatte ich nicht die politische Intention eines Zehn-Punkte-Planes. Es waren eher Fragen eines lesenden Arbeiters, Fragen in meinem Kopf, auf die ich keine Antwort fand. Die Antworten habe ich dann in der Wirklichkeit gefunden.
Was haben sie also erreicht?
Bijan Tavassoli: Ich habe der Linkspartei schweren Schaden zugefügt, das meinen jedenfalls einige Funktionäre, die ein Parteiausschlussverfahren gegen mich beantragt haben. Die Bundesschiedskommission sah das anders.
Nein, tatsächlich habe ich viel darüber gelernt, was Geschlechterrollen heute noch für eine realitätsprägende Kraft haben. Vormalige Gewissheiten haben sich für mich und für Menschen, die meine Performance kritisch begleitet haben, in Luft aufgelöst. Auf viele Fragen habe ich keine Antworten, neue Fragen sind dazugekommen.
Zumindest habe ich aber auf allen Seiten des politischen Spektrums eine lebhafte Diskussion angestoßen und so etwas kann doch vitalisierend auf eine demokratische Gesellschaft wirken.
Zweiten Teil dieses Interviews: "Islamische Transfrau" als Satire: "Nehme die Titulierung Troll als Ehrentitel gerne an"