Warum die Schweiz kein Neun-Euro-Ticket benötigt
Der Alpenstaat investiert pro Einwohner jedes Jahr umgerechnet 440 Euro in seine Bahn, Deutschland nur 88 Euro. Und noch ein weiterer Aspekt zeigt, was unsere südlichen Nachbarn bei der Verkehrswende besser machen
Unsere südlichen Nachbarn hängen uns im öffentlichen Verkehr glatt ab. Das ist der eigentliche Grund, weshalb hierzulande die Verkehrswende seit 40 Jahren stillsteht. Kann das "Neun-Euro-Ticket" in diesem Sommer helfen, diesen Abstand ein wenig aufzuholen?
"Wir brauchen kein ‚Neun-Euro-Ticket’", sagt der Direktor des Schweizer Bundesamtes für Verkehr, Peter Füglistaler, und der für den öffentlichen Verkehr in der Schweiz zuständig ist.
Dennoch sieht Füglistaler das "Neun Euro-Ticket" bei seinen Nachbarn positiv, sagte er der Süddeutschen Zeitung. Es sei ein starkes politisches Signal der deutschen Regierung, ein mutiger Preis, aber leider befristet.
Bahnfahren gehört in der Schweiz zu den schönen Erlebnissen. Ich hatte bei den Eidgenossen an einem Tag einmal fünf Termine. Alle Züge dorthin waren pünktlich. Nur am Abend musste ich in Basel auf den deutschen ICE über eine halbe Stunde warten.
In Deutschland hatten die Fernzüge im Mai 2022 zu 59 Prozent mehr als fünf Minuten Verspätung. Das ist in der Schweiz unvorstellbar.
Was läuft schief im Land der kaputten Weichen, der technische Fehler und der ewigen Baustellen?
Die Schweiz hat bei 8,5 Millionen Einwohnern 2,25 Millionen Kunden mit einem sogenannten Halbtax-Abonnement für 185 Franken. Das entspräche in Deutschland der Bahncard 50. Davon aber hat Deutschland lediglich eine halbe Million – bei zehnmal mehr Einwohnern gegenüber der Schweiz.
Was sind die Aufgaben der Deutschen Bahn?
Die Schweiz hat ein Schienennetz von 5.300 Kilometern, die Deutsche Bahn von 33.400 Kilometern. Das ist nicht miteinander zu vergleichen. Doch dafür hat die Schweiz weit ungünstigere geografische Strecken zu überwinden. Doch die Schweizer Bahn ist nicht nur weit pünktlicher als die Deutsche, sie ist auch sauberer, schöner und angenehmer. "Nur billig reicht nicht", sagt Peter Füglistaler.
Mit dem "Neun-Euro-Ticket" mögen viele Deutsche zusätzliche Sommerreisen unternehmen, die sie sonst nicht unternommen hätten. Doch in Zeiten des Klimawandels ist es nicht die primäre Aufgabe der Bahn, möglichst viele Leute in die Züge zu bringen. Es geht darum, möglichst viel Leute vom PKW in die Züge zu bringen und möglichst viele Güter auf die Schiene.
Der große Unterschied zwischen der Deutschen und der Schweizer Bahn ist, dass Deutschland ein Auto-Land ist und der Umstieg nicht von heute auf morgen funktionieren kann. Es wird noch viele Experimente wie das "Neun-Euro-Ticket" brauchen.
Zur Schweiz gehört die Bahn schon lange wie der Schweizer Käse, die Schokolade und wie "Heidi". Auch Deutschland kann in den nächsten zehn Jahren ein Bahn-Land werden. Wir müssen freilich weit mehr Geld als bisher in den öffentlichen Verkehr stecken.
Der "Neun-Euro-Sommer", von dem das Nachrichtenmagazin Der Spiegel schrieb, war erst der bescheidene Anfang der Verkehrswende. Die über lebenswichtige Energiewende kann es nur mit einer Verkehrswende geben. Und diese ist die entscheidende Herausforderung der jetzigen Ampel-Koalition.
Die Bundesregierung will die Bürgerinnen und Bürger finanziell entlasten, weil Energie- und Lebenshaltungskosten dramatisch gestiegen sind und wohl weiter steigen. Selbst wenn uns das "Neun-Euro-Ticket" einige Probleme bereitet, können wir auch daraus für die Zukunft etwas lernen, was immer hilfreich ist.
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