Warum die "Zeitbombe" Nahostkonflikt entschärft werden kann – und muss
Seite 2: Setzt Israel gerade Frieden und seine nahöstliche Integration aufs Spiel?
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Erstmalig seit seiner Gründung kann sich Israel durch Friedensvereinbarungen bzw. diplomatische Beziehungen arabischer Nachbarn anerkannt sehen: Ägypten, Jordanien, Libanon, Syrien, Oman, Bahrain, Katar, Vereinigte Arabische Emirate, Marokko, Sudan, sowie Dschibuti, Mauretanien. Saudi-Arabien steht auf der Schwelle, verbindet jedoch seine Bereitschaft mit einer Bedingung: "Die Sache Palästinas ist die tragende Säule jeder Normalisierung mit Israel."
Hintergründe jener saudischen Bedingung erhellt Prinz Turki AlFaisal Al Saud, von 1977 bis 2000 Chef des Geheimdienstes (Prince Turki AiFaisal Al Saud, The Afghanistan File, Arabian Publishing, 2021, S. 193):
Die Frage des palästinensisch-israelischen Konflikts ist die Wurzel der Probleme der arabischen und muslimischen Welt. Sie ist ihr großer destabilisierender Faktor. Sie verbittert und radikalisiert, und erfüllt Araber und Muslime mit dem allgemeinen Gefühl, vom Westen separiert, von diesem zurückgestoßen und nicht wertgeschätzt zu werden. Auch legitimiert sich daher Extremismus. … Ich sage nicht, dass der palästinensisch-israelische Konflikt das einzige Problem der arabisch-muslimischen Welt ist. … Jedoch bin ich davon überzeugt, dass, wenn dieser Konflikt nicht in einer Weise gelöst wird, welche das palästinensische Volk als gerecht empfindet, erreichen wir auch in den anderen Problemen keine Fortschritte.
Was spricht gegenwärtig dafür, den "gordischen Knoten" im Nahostkonflikt auf friedliche Weise zu entflechten?
Erstens, die drei kategorischen "Neins" der Arabischen Liga von 1967, "kein Frieden mit Israel, keine Anerkennung Israels und keine Verhandlungen mit Israel", sind vom Tisch.
Zweitens, Friedensvereinbarungen und diplomatische Beziehungen zwischen obigen Staaten und Israel sprechen für zweierlei:
- Die nahöstlich-arabischen Nachbarstaaten wollen keinen Flächenbrand in ihrer Region.
- Israel ist nicht von "Feinden umringt". Dieses seit 1948 permanent vorgetragene Argument für externe Sicherheitsgarantien, in erster Linie vom Westen und von der transatlantischen Allianz, ist überholt.
Drittens, jene saudische Feststellung, "die Sache Palästina ist die tragende Säule jeder Normalisierung mit Israel", macht die Okkupation palästinensischen Lebensraums gegenwärtig zum Kern des Nahostkonflikts und seiner Regelung.
Das heißt für praktisches Friedenschaffen und den konkreten diplomatischen Arbeits- und Verhandlungsprozess, anzuerkennen, dass Israel auf jene historische Utopie "Groß-Israel" vom Mittelmeer bis zum Jordan (Eretz Israel HaSchlema) auf Kosten des palästinensischen Volkes verzichten muss. Die Friedenshand seiner arabischen Nachbarn sollten Israel und seine Alliierten als historische Friedenschance für den Nahen und Mittleren Osten und Europa verstehen, ergreifen und nicht verpassen.
Wie Uno-Generalsekretär António Guterres es ausdrückt:
Der Krieg in Gaza tobt und es besteht die Gefahr, dass er sich auf die gesamte Region ausweitet. Die Spannungen drohen zu eskalieren ... Selbst in diesem Moment großer und unmittelbarer Gefahr dürfen wir die einzig realistische Grundlage für echten Frieden und Stabilität nicht aus den Augen verlieren: die Zwei-Staaten-Lösung. Die Israelis müssen ihre legitimen Bedürfnisse nach Sicherheit verwirklicht sehen, und die Palästinenser ihre legitimen Bestrebungen nach einem unabhängigen Staat.
Der Artikel erscheint in Kooperation mit Welttrends. Er wird abgedruckt in der kommenden Magazinausgabe.
Arne Seifert, Botschafter a.D., geb. 1937, langjährige Tätigkeit im Außenministerium der DDR, 1990 OSZE-Mission in Tadschikistan, Zentralasienberater am Zentrum für OSZE-Forschung, IFS Hamburg, Studien beim WeltTrends-Institut für Internationale Politik zur "Friedlichen Koexistenz" und "NATO-Osterweiterung"