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Warum die palästinensische Einigung zu einem neuen Krieg führen könnte

Hamas in Bethlehem Foto: Soman / CC BY-SA 2.5

Die Hamas will mit der verfeindeten Fatah eine Einheitsregierung bilden. Was nach nach einem Schritt hin zum Frieden klingt, könnte im Krieg enden

Als die Vertreter von Hamas und Fatah vergangene Woche vor die Presse traten, hatte das, was sie zu sagen hatte, das Zeug, den Nahost-Konflikt zu beenden: Nach jahrelangen und immer wieder unterbrochenen Verhandlungen haben sich beide Parteien auf die Bildung einer Einheitsregierung geeinigt. Mehr noch: Hamas und der Palästinensische Islamische Dschihad gaben bekannt, der "Palästinensischen Befreiungsorganisation" PLO beitreten zu wollen.

"Wir haben eine Vereinbarung getroffen, wonach wir innerhalb von 48 Stunden mit den Gesprächen zur Bildung einer Regierung beginnen werden", sagte Fatah-Unterhändler Azzam al-Ahmad am vergangenen Dienstag bei der Pressekonferenz in Moskau. Vorausgegangen waren drei Tage geheimer Verhandlungen, deren Ergebnis in vielerlei Hinsicht Historisches bedeuten könnte.

Trennung zwischen Gaza-Streifen und Westjordanland überwinden

Zum einen für die Demokratie in Palästina: Denn Grundlage der Regierungsbildung soll die Wahl zu einem neuen palästinensischen Parlament sein. Das hatte es zuletzt vor über zehn Jahren gegeben. Im Jahr 2006 gewann überraschend die Hamas die Mehrheit der Parlamentssitze. Schon einmal bildeten damals Fatah und Hamas eine Einheitsregierung, bis sie sich nur Monate später im blutigen Bruderkrieg entzweiten. Bis heute ist die Palästinensische Autonomobiebehörde deshalb de facto zweigeteilt: in das von der Fatah dominierte Westjordanland und den von der Hamas dominierten Gaza-Streifen.

Das soll sich nun ändern. "Idee der Regierung wäre, die Trennung zwischen Gaza und dem Westjordanland zu überwinden und innerhalb von sechs Monaten nationale Wahlen vorzubereiten", erklärte [1] der ehemalige palästinensische Informationsminister Mustafa Barghouti gegenüber der Jerusalem Post.

Hamas und Palästinensischer Dschihad: Beitritt zur PLO

Noch historischer wäre allerdings der Beitritt von Hamas und Palästinensischem Islamischen Dschihad zur PLO. Spätestens seitdem die 1964 gegründete Palästinensische Befreiungsorganisation Anfang der 1990er Verhandlungen mit Israel aufgenommen hatte, hatten sich Hamas und Islamischer Dschihad stets als Alternative zur Fatah-dominierten Organisation inszeniert, der sie einen Verrat an der palästinensischen Sache vorwarfen. Sollten beide Organisationen tatsächlich der PLO beitreten, dürfte mit dem Zerwürfnis wohl Schluss sein.

Und nicht nur das: Mit dem Beitritt erkennen Hamas und Palästinensischer Dschihad nicht nur die PLO als verantwortlich für Verhandlungen mit Israel an, sie akzeptieren auch die bisherigen Beschlüsse. Und dazu gehören seit 1993 die Anerkennung Israels und das Bekenntnis zur Zweistaatenlösung.

Mit Verweis auf dieses fehlende Bekenntnis hatte Israel stets Verhandlungen mit der Hamas und die Zustimmung zu einem Frieden auf Basis der Grenzen von 1967 verweigert. Doch auch wenn die Hamas nun die wichtigste israelische Vorbedingung für Verhandlungen erfüllen sollte, dürfte die Wahrscheinlichkeit eines Friedens im Nahen Osten nicht wahrscheinlicher werden.

Denn während der PLO einst das Bekenntnis zur Zweistaatenlösung - und damit aus palästinensischer Sicht die Aufgabe von rund drei Viertel des historischen Palästinas - mühsam abgerungen werden musste, ist es heute die israelische Regierung, die sich zunehmend weigert, über einen Frieden auf Basis zweier unabhängiger Staaten auch nur zu verhandeln. Das zeigt sich implizit durch den anhaltenden Bau israelischer Siedlungen, die ein zusammenhängendes palästinensischen Staatsgebiet längst unmöglich machen.

Das Ende der Zweistaatenlösung?

Die Absage an eine Zweistaatenlösung wird zunehmend aber auch zur offiziellen Haltung der israelischen Regierung. Zuletzt erklärte [2] Israels Premierminister Benjamin Netanjahu beispielsweise vergangene Woche, dass er nicht bereit sei, "den Palästinensern einen Staat mit vollen Befugnissen zu geben".

Genau jenes hatten unter anderem Vertreter von Russland, USA und EU vor zwei Wochen bei ihrer Nahost-Friedenskonferenz in Paris noch einmal bekräftigt. In der Abschlusserklärung hieß es: "… eine Verhandlungslösung mit zwei Staaten, Israel und Palästina, die Seite an Seite in Frieden und Sicherheit leben, ist der einzige Weg zu einem anhaltenden Frieden".

Israel war der Konferenz dann auch konsequenterweise fern geblieben. Netanjahu bezeichnete den Versuch von 70 Staaten, die eingeschlafenen Gespräche zwischen Israel und PLO wiederzubeleben, schlicht als "nutzlos" [3].

Dass die Einigung auf palästinensischer Seite über ihre symbolische Wirkung hinaus tatsächlich Fortschritte auf dem Weg zu einem palästinensischen Staat bringen kann, ist deshalb quasi ausgeschlossen. Schlimmer noch: Die Versöhnung zwischen Fatah und Hamas und der gestiegene Verhandlungsdruck gegenüber Israel könnte im schlimmsten Fall in einen neuen Krieg im Nahen Osten münden.

Palästinensische Verhandlungsbereitschaft und Kriegsgefahr

Das zeigt ein Blick auf die bisherige palästinensische Initiativen. Denn es ist nicht das erste Mal, dass Fatah und Hamas seit ihrem Zerwürfnis im Jahr 2007 versöhnliche Töne anstimmen: sowohl gegenüber einander als auch gegenüber Israel. Schon im Jahr 2008 und 2012 verkündeten beide Parteien die Bildung einer Einheitsregierung und bekundeten ihre gemeinsame Bereitschaft zu Verhandlungen über eine Zweistaatenlösung. Doch statt zu Verhandlungen kam es in beiden Fällen zu Gewalteskalation zwischen Palästinensern und Israelis.

Dass palästinensische Verhandlungsbereitschaft vor allem die Kriegsgefahr im Nahen Osten erhöht, zeigte sich zuletzt beim Gazakrieg im Jahr 2014. Am 1. Juni des Jahres stellten Hamas und Fatah ihre Pläne für eine neue Einheitsregierung vor. Wie heute sollte diese nicht nur den "palästinensischen Bruderkrieg" beilegen, sondern auch eine bis dato nie dagewesene Perspektive zur Beendigung des Nähostkonflikts bieten.

Die von Fatah und Hamas legitimierte, aber ausschließlich mit parteiunabhängigen Technokraten besetzte Regierung gab damals bekannt, Israel anzuerkennen, der Gewalt abschwören und alle bisherigen zwischen Israel und der PLO gemachten Abkommen (inklusive dem Bekenntnis zur Zweistaatenlösung) anzuerkennen. Es waren genau jene Punkte, die die EU und USA als Vorbedingung für Gespräche mit der Hamas gestellt hatten.

Die Reaktion der israelische Regierung ähnelte hingegen jener von heute: Sie brach die Friedensgespräche mit der PLO ab. Die Begründung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu damals [4]: Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde Mahmud Abbas "hätte den Frieden mit Israel wählen können, stattdessen wählte er Frieden mit einer mörderischen Terrororganisation".

Konnte er in den Jahren zuvor, stets darauf verweisen, dass PLO-Chef Mahmud Abbas aufgrund des Zerwürfnisses mit der Hamas sowieso nicht für alle Palästinenser sprechen könne, lehnte er nun Friedensgespräche mit Verweis auf das Zustandekommen der Einheitsregierung ab.

Kurz darauf war auch diese Geschichte beendet. Rund einen Monat nach der palästinensischen Verhandlungsinitiative startete die israelische Regierung damals mit "Operation Protective Edge" die folgenreichste Militäroperation seit dem Sechs-Tage-Krieg. Einige Wochen später lagen nicht nur große Teile des Gazastreifens, sondern auch die Palästinensische Einheitsregierung in Trümmern.


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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.jpost.com/Middle-East/Palestinian-factions-reaffirm-agreement-to-form-national-unity-government-478801
[2] http://www.timesofisrael.com/netanyahu-says-palestinians-can-have-a-state-minus/
[3] http://edition.cnn.com/2017/01/15/middleeast/paris-peace-conference-israeli-palestinian-conflict/
[4] http://www.washingtonpost.com/opinions/the-white-house-is-right-to-work-with-the-palestinian-unity-government/2014/06/05/1e6eb3f4-eb4a-11e3-9f5c-9075d5508f0a_story.html