Warum ein Öl-Embargo eine gefährliche Nullnummer ist
Ein Embargo ist weder gut durchdacht, noch friedenstiftend. Bild: Pixabay
Die EU will nach dem Kohle-Importstopp nun ein Öl-Embargo auf den Weg bringen, um Russland zu bestrafen. Das bringt keinen Frieden, schädigt die Volkswirtschaften und ist schlecht fürs Klima
Nach Einschätzung von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) könnte die EU schon in den nächsten Tagen ein Öl-Embargo gegen Russland verhängen. Es sei "in greifbare Nähe" gerückt, sagte der Grünen-Politiker im Heute Journal des ZDF [1]. In ein paar Tagen rechne er mit einem Durchbruch.
Einige EU-Mitgliedsstaaten – Ungarn an der Spitze – betrachten ein solches Embargo allerdings skeptisch [2]. Ungarn hat ein Veto gegen die Sperre angekündigt. Man sei zu sehr abhängig von den Lieferungen aus Russland. Neben Ungarn erhalten auch Tschechien und die Slowakei russisches Rohöl nur über eine Pipeline. Ein Umstellung ist daher schwieriger. Vor allem Ungarn fordert Entschädigungen für die notwendig werdenden Investitionen, um Raffinerien und Pipelines umzurüsten.
Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto bemisst den Geldbedarf dafür auf 15 bis 18 Milliarden Euro und verlangt von der EU-Kommission einen Vorschlag über die Finanzierung. Aus Brüssel heißt es, dass die Forderung "übertrieben" sei.
Um den Bedenken entgegenzukommen, so Habeck, könnte die EU Übergangsfristen für Länder einräumen, die besonders angewiesen sind auf russisches Öl. Derart könnten sie ihre Energieversorgung schrittweise von Russland abkoppeln.
Die EU-Kommission hat Ungarn und der Slowakei offenbar bereits angeboten, noch ein weiteres Jahr lang russisches Öl zu beziehen. Doch insbesondere die Slowakei möchte eine deutlich längere Übergangszeit eingeräumt bekommen.
Ölpreis könnte weiter steigen
Ein Öl-Embargo wäre der nächste Schritt, womit sich die EU von russischen Energielieferungen unabhängig macht. Ein Kohleembargo ist bereits beschlossen worden. Das wird aber erst in August in Kraft treten.
Russland ist der drittgrößte Ölförderer der Welt und der zweitgrößte Exporteur. Das Land liefert fünf Prozent des weltweiten Ölverbrauchs und zehn Prozent der raffinierten Ölprodukte – also Benzin und Diesel. Daher ist es nicht leicht, Russland als Öllieferant zu blocken.
Deutschland konnte bereits seine Importquote für Öl aus Russland seit Beginn des Kriegs in der Ukraine absenken [3]. Ein Drittel des Öls kam zuvor aus Russland. Nun sind es nur noch 12 Prozent. Deutschland bezieht nun mehr Öl aus Norwegen. Der Rest könnte durch Tempolimits und andere Maßnahmen eingespart werden. Doch diese Vorschläge sind von der Bundesregierung bisher nicht aufgenommen worden.
Im Zuge des Importstopps könnte der Ölpreis weiter steigen, der schon seit Ausbruch des Kriegs angezogen ist. Laut Habeck plant die EU daher gemeinsam mit den USA, eine Obergrenze für Ölpreise einzuführen.
Die Idee ist, dass nicht jeder Preis für Öl auf den Märkten gezahlt werden soll. Damit soll eine drohende globale Preisrally im Zuge des Embargos in Schach gehalten werden. Zudem würde es Russland nicht möglich sein, trotz geschrumpfter Ölverkäufe mehr Einnahmen zu generieren, wie in den letzten Wochen geschehen.
Embargo bringt keinen Frieden, vielmehr droht sozialer Unfrieden
Doch es gibt neben den Einwänden Ungarns und anderer EU-Staaten hinsichtlich der Kosten und der Energieversorgung weitere Kritikpunkte an den Öl-Embargo-Plänen der EU-Kommission.
So argumentiert die Denkfabrik Bruegel [4], dass ein Embargo im Vergleich mit Strafzöllen auf alle Energieimporte aus Russland weniger effektiv sei.
Es könnte sein, dass, wenn die Öleinkäufe aus Russland auf null heruntergefahren werden, die russischen Einnahmen trotzdem hoch bleiben, während die EU vielfach negativ davon betroffen wird, kurz- wie langfristig. Paradoxerweise könnte ein Embargo sogar ein Vorteil für Russland bedeuten, jedenfalls kurzfristig, und ein Nachteil für die EU und die Weltwirtschaft.
Daher wird zeitgleich auch über eine Preis-Obergrenze für Öl diskutiert, um den kompensatorischen Effekt auszuschalten.
Aber einer solchen Obergrenze müssten viele Staaten der Welt zustimmen, was nur schwer vorstellbar ist. Zudem könnten westliche Länder aufgrund der Vorlaufzeit bis zum Embargo versuchen, Öl, Benzin und Kerosin auf Vorrat zu kaufen und damit die Embargo-Wirkung schwächen. Natürlich wird Russland auch weiter an China, Indien und andere Abnehmer Öl verkaufen.
Die russische Ökonomie kann daher, so die Financial Times [5], ein EU-Öl-Embargo durchaus verkraften. Die Frage sei, ob die logistischen Herausforderungen eines Lieferumschwungs Richtung Asien gemeistert werden. Zum Beispiel sind die Transportwege komplizierter und kostenintensiver. Nach Indien geht es nur per Schiff durch den Suezkanal. Das Land möchte auch nur 70 Dollar pro Barrel Öl zahlen.
Die Frage ist zudem, ob die Strafmaßnahme gegen Russland überhaupt sinnvoll ist, um Frieden zu schaffen. Sicherlich sollte der Angriffskrieg so schnell wie möglich beendet werden. Aber ist dafür das Embargo wirklich das richtige und angemessene Mittel?
Der Importstopp wird den Krieg aller Wahrscheinlichkeit nach nicht verkürzen können, aber die russische Führung enger an China anbinden und die Fronten verhärten. Internationale Kooperation, in vielen Fragen wie der Klimakrise, Migration oder auch beim Abbau der Atomwaffenarsenale notwendig, wird kaum mehr möglich sein.
Außerdem stellt sich die Frage, ob ein Embargo, wenn es derart umgesetzt werden kann, dass es Russland ökonomisch tatsächlich unter Druck setzt, nicht vor allem die russische Bevölkerung am Ende treffen wird.
So sind die Einnahmen aus dem Ölverkauf für Russland bis zu viermal wichtiger als die aus dem Gasexport [6], wie Gunter Deuber, Leiter der Forschungsabteilung bei der Raiffeisen Bank International in Wien, im Deutschlandfunk sagte. Allein bei Gazprom arbeiten eine halbe Millionen Menschen. Die Erwerbslosigkeit stiege kolossal an, prognostiziert der Energieexperte Michail Krutichin.
Statt fossiler Ausstieg gefährlicher Umstieg
Schließlich ist das Embargo ein fossiles Ersetzungsprogramm. Es schafft sogar neue Abhängigkeiten und erfordert Investitionen in zusätzliche fossile Infrastrukturen wie Pipelines und Raffinerie-Sanierungen, die Lock-in-Effekt erzeugen und den Treibhausgasausstoß in der Zukunft hochhalten. Angesichts der fortschreitenden Klimakrise müsste die EU aber das Gegenteil tun und das Tempo bei der Dekarbonisierung deutlich erhöhen. Das Embargo ist also kein fossiler Ausstiegs-, sondern ein gefährlicher Umstiegsplan.
So wird der EU-Kommissionsplan REPowerEU, mit dem man sich von den fossilen Brennstoffen aus Russland unabhängig machen will, wegen seiner negativen Klimaeffekte scharf kritisiert [7].
Die EU hat sich an den dreckigen russischen Brennstoffen verbrannt. Jetzt sucht die EU-Kommission nach neuen Feuerstellen, um sich daran die Hände zu verbrennen.
sagt die EU-Klimaexpertin von Greenpeace Silvia Pastorelli.
Diese Pläne werden weiter die Taschen der Energieriesen wie Saudi Aramco and Shell füllen, die enorme Profite vor dem Hintergrund des Kriegs machen, während die Menschen in Europa damit kämpfen, ihre Rechnungen zu bezahlen. Der Fokus der EU-Kommission, eine dreckige Energie durch eine andere zu ersetzen, macht Umweltzerstörungen und Menschenrechtsverletzungen weiter zum Geschäft. Es wird uns für Jahrzehnte abhängig von fossilen Energien machen.
Nnimmo Bassey von Oilwatch Africa mahnt, dass der Ukrainekrieg eigentlich ein "Augenöffner" für Europa sein sollte. Die Zeit für erneuerbare Energien sei gekommen. Sie müssten nun endlich nach Jahrzehnten des Nichtstuns ins Zentrum globaler Energiepolitik gestellt werden.
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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/habeck-oel-embargo-russland-ukraine-davos-100.html
[2] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/russland-oel-embargo-habeck-101.html
[3] https://www.deutschlandfunk.de/embargo-oel-russland-krieg-ukraine-100.html
[4] https://www.bruegel.org/2022/05/a-phase-out-of-russian-oil-may-be-less-effective-than-a-tariff-at-reducing-putins-rents/
[5] https://www.ft.com/content/82dfa0f1-2a16-4358-ae67-29c69f6938c3
[6] https://www.deutschlandfunk.de/embargo-oel-russland-krieg-ukraine-100.html
[7] https://www.commondreams.org/news/2022/05/18/entirely-reckless-critics-blast-eu-plan-boost-gas-infrastructure
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