zurück zum Artikel

Warum gibt es keine deutschen Unternehmen, die nur E-Autos herstellen?

Bild: Ameer Basheer / Unsplash Licence

Die Elektroauto-Verkäufe gehen weltweit steil nach oben. Auch in Deutschland. Aber Tesla und chinesische Hersteller hängen VW und Co. ab. Warum das so ist und wir aufs Elektropedal treten müssen.

Erinnern Sie sich an den Film "Who Killed the Electric Car" [1] von 2006? In dem Dokumentarfilm von Chris Paine wird gezeigt, wie der Markt für E-Autos in seinen Anfängen systematisch abgewürgt wurde.

Der Konzern General Motors ließ in den USA sogar seinen eigenen EV1 – ein in Serie gebautes reines E-Auto, das sehr beliebt bei seinen Kunden war, über eine Reichweite von 225 Kilometern verfügte und von den Nutzern geleast wurde – schon kurz nach dem Start Mitte der 1990er-Jahre von Trucks wieder einsammeln und verschrotten [2].

Das ist heute Gott sei Dank nicht mehr so. Die Lobbymacht der fossilen Brennstoffindustrie wird im Automarkt zunehmend zurückgedrängt.

Heute gehen die Zahlen im E-Automarkt nach oben und die der Verbrenner nach unten. Die Internationale Energieagentur IEA konnte erneut einen Rekord für letztes Jahr verzeichnen [3]. Zugleich sind die Verkäufe von Pkw mit Verbrennungsmotor im letzten Jahr um sieben Prozent gesunken.

Inklusive der Plug-Ins (die 30 Prozent der E-Flotte ausmachen [4]) war jedes fünfte verkaufte Auto bereits mit elektrischem Motor versehen. Insgesamt waren es global zehn Millionen Elektrofahrzeuge für 2022. Dieses Jahr soll es nochmals einen kräftigen Sprung um 35 Prozent nach oben geben, auf 14 Millionen Autos.

Elektrofahrzeuge sind eine der treibenden Kräfte in der neuen globalen Energiewirtschaft, die sich rasch herausbildet – und sie bewirken einen historischen Wandel in der Automobilindustrie weltweit

sagte IEA-Exekutivdirektor Fatih Birol [5]. Das hat auch Effekte auf die Ölnachfrage. Bis 2030 werden E-Autos den Bedarf von mindestens fünf Millionen Barrel Öl (fast 800 Millionen Liter) pro Tag vermeiden.

Die größten E-Automärkte sind China, Europa und die USA. Sie machten 2022 60 Prozent aller Verkäufe aus. In Europa stieg der Absatz zum Vorjahr um 15 Prozent, in den USA deutlicher um 55 Prozent. Mehr als die Hälfte aller E-Autos fahren heute in China.

In Europa ist Deutschland mit 830.000 Verkäufen im letzten Jahr der größte Markt für E-Fahrzeuge. Der Anteil der Elektroautos an den gesamten Autoverkäufen hat sich hierzulande seit der Zeit vor der Covid-19-Pandemie sogar verzehnfacht, was auch durch Kaufanreize wie den Umweltbonus und eine Vorverlagerung von Käufen erklärt werden kann, die in der Erwartung reduzierter Subventionen ab 2023 getätigt wurden.

Trotzdem liegt der Anteil elektrischer Varianten am Gesamtverkauf in Deutschland mit 31 Prozent weiter zum Teil deutlich hinter Norwegen (88 Prozent), Schweden (54 Prozent) oder den Niederlanden (35 Prozent).

Die Wachstumsraten bei E-Autos sind an sich erfreulich, da Treibhausgase derart gemindert werden, vor allem, je stärker der Anteil von Sonnen- und Windenergie am Strommix steigt.

Die Legende – lange propagiert von fossilen Lobbys und von manchen Umweltschützer:innen übernommen –, dass E-Autos keinen Minderungseffekt auf die klimaschädlichen Gase haben, sondern sogar einschließlich der Herstellung mehr Treibhausgase als konventionelle Pkw produzieren, ist niemals korrekt gewesen und längst durch Studien widerlegt [6].

Aber es stimmt natürlich, dass die Verkehrswende den öffentlichen, schienengebundenen Verkehr kräftig fördern sollte. Er ist aus Klimasicht die schonendste und effizienteste Mobilität.

Trotz der positiven Trends in Sachen Elektromobilität sollte jedoch nicht vergessen werden, dass das Tempo aus Klimasicht weiter nicht ausreicht und für die Transformation im Straßenverkehr mehr getan werden muss. Denn es müssen ja insgesamt weltweit die heute existierenden 1,2 Milliarden Pkw in kurzer Zeit ersetzt werden [7], unter der Voraussetzung, dass die Zahl nicht insgesamt verringert wird.

Der rasante Austausch ist notwendig, um die Treibhausgase im Angesicht des schnell schwindenden Klimabudgets für die Einhaltung der Temperaturobergrenze von maximal zwei Grad Celsius auch im Verkehrssektor schnell auf null zu bringen. Da die Autokonzerne in den letzten Jahrzehnten die Transformation blockiert haben und das Elektroauto zwischenzeitlich erfolgreich beerdigten, muss nun buchstäblich aufs Elektropedal getreten werden.

So prognostiziert Dataforce [8] nach Berechnungen, die sich auf die jeweiligen Ziele der Hersteller beziehen, dass die E-Auto-Verkaufsanteile für Europa bis 2035 kontinuierlich anwachsen werden, auf dann 80 Prozent. Da Autos jedoch eine typische Lebensdauer von rund 18 Jahren [9] haben, werden, selbst wenn diese Ziele realisiert werden sollten (was nicht sicher ist), auch nach 2035 noch viele Verbrennerautos in Europa fahren und CO2 emittieren, bis Mitte des Jahrhunderts.

Nach diversen Berechnungen, auch des Sachverständigenrats für Umweltfragen [10] in Deutschland, müssten die Industriestaaten aber deutlich früher, zwischen 2030 und 2035 dekarbonisieren, also ab dann keinerlei Treibhausgase mehr ausstoßen.

Wollen wir die grüne Industrialisierung weiter verschlafen?

Aber nicht nur beim Tempo muss zugelegt werden. So sind viele Elektro-Pkw, vor allem in den USA, aber auch in der EU, SUVs bzw. große Premiumautos. Sie verbrauchen deutlich mehr Strom, benötigen ressourcenintensive, schwere Batterien, die in der Herstellung mit vielen Emissionen und Umweltschäden verbunden sind.

In Deutschland ist zudem zu beobachten, dass ein großer Teil der E-Autos sogenannte Plug-Ins sind. Plug-Ins sind Verbrenner, die zusätzlich einen Elektromotor besitzen, der aber nur über geringe Reichweiten verfügt. Sie werden in den Statistiken zu den E-Autos gezählt.

Rund 40 Prozent der E-Auto-Verkäufe gehen nun in Deutschland auf Plug-In-Hybrid-Fahrzeuge zurück, die als Dienstwagen kaum elektrisch genutzt werden [11] und daher weiter im Betrieb Emissionen produzieren. In China, den USA und auch Europa insgesamt, ist der Anteil der Plug-ins deutlich geringer. In Norwegen enthalten die E-Autoverkäufe fast ausschließlich vollelektrische Pkw.

Zudem sind die Versprechen der deutschen Autohersteller [12] nicht ausreichend. Zwar verkündet Mercedes, bis 2030 auf Elektromobilität umzusteigen. Aber mit der Einschränkung nur überall dort, wo es die Marktbedingungen erlauben.

Porsche will neben E-Autos weiter auf Verbrenner setzen, die dann perspektivisch mit E-Fuels betrieben werden sollen, was wegen der energetischen Umwandlungsverluste [13] unsinnig ist.

BMW will kein Datum für das Ende von Verbrennungsmotoren im Unternehmen nennen. Und Volkswagen strebt nach der EU-Entscheidung zum faktischen Verbrenner-Aus ab 2035 (nur noch CO2-freie Antriebe erlaubt) an, danach auf Elektro zu setzen. Allerdings nur in Europa. Für die großen Absatzmärkte USA, China und Lateinamerika will VW kein Datum setzen [14] und abwarten.

Deutschland ist also bei genauerer Betrachtung nicht der globale Vorreiter beim E-Auto, sondern läuft Entwicklungen weiter hinterher.

Die USA haben mit Tesla bereits einen international operierenden Autobauer, der schon lange erfolgreich nur auf Elektro setzt. Der US-Hersteller hat Volkswagen im letzten Jahr als Marktführer bei E-Fahrzeugen selbst in Deutschland, also vor der eigenen Haustür im Stammland, überholt [15].

In China, dem weltweit größten Automarkt – auf dem VW und anderen Konzernen, die weiter hauptsächlich auf Verbrennungsmotor setzen, ein Absturz droht [16], weil man nicht entsprechend gehandelt hat –, erklärte der dort größte Elektroautobauer BYD ("Build Your Dreams") schon Anfang letzten Jahres, dass man die Herstellung von Verbrennern eingestellt habe und nur noch vollelektrische und stark elektrifizierte Plug-In-Hybriden mit sparsamen Motoren bauen werde.

Dazu kommen die anderen großen chinesischen Auto-Unternehmen Nio, Zeekr, Xpeng und Wuling, die ausschließlich E-Autos herstellen [17]. Die Verkaufspreise starten dort mit dem billigsten Elektro-Pkw weltweit, dem Mini EV, bei 5.600 Dollar.

Zum Vergleich: In Deutschland variieren die durchschnittlichen Preise [18] von E-Autos zwischen 30.000 und 50.000 Euro.

VW hat jetzt angekündigt [19], in den nächsten Jahren ein "Einstiegs-E-Auto mit einem Zielpreis von unter 25.000 Euro" anzubieten. Das ist richtig und gut, aber zu spät und kraftlos. Die deutschen Konzerne wirken behäbig, anstatt in die Offensive zu gehen. Währenddessen verliert man die Kundschaft [20] an die asiatische und US-amerikanische Avantgarde.

Dabei sind E-Autos im Betrieb deutlich billiger [21] als diesel- und benzinbetriebene Verbrenner. Und die Kunden in den USA und Europa, vor allem die nachwachsenden Generationen, wollen Elektromobilität, wie Umfragen zeigen.

Woran es aber oft scheitert: Die Anschaffungskosten für die angebotenen Modelle sind zu hoch, es gibt für die meisten keine bezahlbaren Modelle [22], bzw. die Ladeinfrastruktur vor Ort ist nicht ausreichend. Daher braucht es von der Politik deutlich bessere Anreizprogramme und einen schnelleren Ausbau der Ladestation-Netze.

In den USA zeigt der gesetzliche Vorstoß der Biden-Regierung [23], dass so etwas funktioniert. Es braucht nur mehr davon, die Dimension muss wachsen.

Und schließlich ist es höchste Zeit, dass Deutschland und Europa die ersten Autobauer erhält, die nur noch E-Autos herstellen. Besser heute als morgen. Was Tesla kann, was BYD, Nio, Zeekr, Xpeng und Wuling in China heute schon können, sollte doch auch bei uns möglich sein.

Oder wollen wir weiter die Energiewende-Industrialisierung mit netten Ankündigungen verschlafen und den anderen die Taten – sowie Gewinne – überlassen?


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9207186

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.whokilledtheelectriccar.com/
[2] http://www.whokilledtheelectriccar.com/
[3] https://iea.blob.core.windows.net/assets/dacf14d2-eabc-498a-8263-9f97fd5dc327/GEVO2023.pdf
[4] https://iea.blob.core.windows.net/assets/dacf14d2-eabc-498a-8263-9f97fd5dc327/GEVO2023.pdf
[5] https://www.iea.org/news/demand-for-electric-cars-is-booming-with-sales-expected-to-leap-35-this-year-after-a-record-breaking-2022
[6] https://hans-josef-fell.de/2019/08/15/die-entlarvung-der-zwei-grossen-mythen-der-e-mobilitaet/
[7] https://www.umweltbundesamt.de/bild/weltweiter-autobestand
[8] https://www.auto-motor-und-sport.de/tech-zukunft/alternative-antriebe/elektro-auto-anteil-europa-2035-80-prozent/
[9] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/316498/umfrage/lebensdauer-von-autos-deutschland/
[10] https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/2022_06_fragen_und_antworten_zum_co2_budget.html
[11] https://www.isi.fraunhofer.de/content/dam/isi/dokumente/cce/2020/PHEV_ICCT_FraunhoferISI_Policy_Brief_DE.pdf
[12] https://www.adac.de/rund-ums-fahrzeug/autokatalog/marken-modelle/auto/ausstieg-verbrennungsmotor/
[13] https://www.isi.fraunhofer.de/de/presse/2023/presseinfo-05-efuels-nicht-sinnvoll-fuer-pkw-und-lkw.html
[14] https://efahrer.chip.de/news/verbrenner-verbot-volkswagen-will-die-letzte-hintertuer-schliessen_1010069
[15] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/tesla-volkswagen-elektroautos-verkaufszahlen-101.html
[16] https://www.telepolis.de/features/China-ueberholt-die-Welt-bei-E-Autos-und-Erneuerbaren-8976486.html?seite=all
[17] https://www.businessinsider.com/ev-electric-vehicle-china-brands-byd-nio-wuling-zeekr-geely-2023-5
[18] https://www.adac.de/rund-ums-fahrzeug/auto-kaufen-verkaufen/autokosten/elektroauto-kostenvergleich/
[19] https://efahrer.chip.de/news/verbrenner-verbot-volkswagen-will-die-letzte-hintertuer-schliessen_1010069
[20] https://www.merkur.de/wirtschaft/elektroauto-nachfrage-deutsche-hersteller-absatz-asien-konkurrenz-92257231.html
[21] https://www.consumerreports.org/cars/hybrids-evs/will-an-electric-car-save-you-money-a9436870083/#:~:text=On%20average%2C%20that's%20true%3A%20A,will%20depend%20on%20the%20car.
[22] https://www.commondreams.org/opinion/where-are-the-affordable-evs
[23] https://scheerpost.com/2023/06/20/the-biden-effect-electric-vehicle-sales-skyrocket-79-in-us-in-q1/