Warum wird Israel Apartheid gegen Palästinenser vorgeworfen?

Checkpoint Bethlehem: Palästinenser aus dem gesamten südlichen Westjordanland stehen jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit außerhalb von Bethlehem stundenlang Schlange. Bild: delayed gratification / CC BY-NC-SA 2.0 Deed

Der Apartheid-Vorwurf sei falsch und antisemitisch, heißt es. Doch was sagen Menschenrechtler und Experten? Ein Blick hinter eine erhitzte Debatte.

Der Vorwurf der Apartheid im Zusammenhang mit Israels Politik gegenüber den Palästinensern führt nicht selten zu heftigen Abwehrreaktionen. In der Tageszeitung Die Welt behauptete am 8. August dieses Jahres Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, wer Israel Apartheid unterstelle, delegitimiere den jüdischen Staat. Denn das sei ein antisemitisches Narrativ.

Klein bezog sich dabei auf eine Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), ein Beratungsgremium der Bundesregierung, in der die wissenschaftliche SWP-Expertin Muriel Asseburg feststellte:

Prima facie begeht Israel in den besetzten Gebieten das Verbrechen der Apartheid, das als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft ist.

Amos Goldberg, Professor für Holocaust-Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem und Mitherausgeber des Bands "The Holocaust and the Nakba: A New Grammar of Trauma and History", antwortete in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf Kleins Vorwurf des Antisemitismus.

Die israelische Regierung, so Goldberg, bekämpfe Menschenrechte, Demokratie und Gleichheit und propagiere das Gegenteil: "Autoritarismus, Diskriminierung, Rassismus und Apartheid".

"Israel der Apartheid zu bezichtigen, ist nicht antisemitisch. Es beschreibt die Realität", sagte er. Klein bemühe sich wie andere nicht einmal, den Vorwurf zu entkräften. Er behauptet einfach: "Israel kann Apartheid a priori nicht vorgeworfen werden, ungeachtet der Fakten, weil Israel ein jüdischer Staat ist", so der Holocaust-Forscher.

Goldberg fügte hinzu, seine Position repräsentiere einen wachsenden Chor von Stimmen, darunter auch führende israelische Akademiker, die den Begriff Apartheid benutzen, um die Behandlung der Palästinenser durch die israelische Regierung zu beschreiben. Wenn Klein recht hätte, so Goldberg, dann wären einige der bekanntesten Holocaust- und Antisemitismusforscher aus Israel, den Vereinigten Staaten, Europa und der ganzen Welt Antisemiten.

Er verweist dabei auf eine von Omer Bartov, dem in Israel geborenen Historiker und Professor für Holocaust- und Völkermordstudien an der renommierten Brown University in den USA, mitinitiierten Petition mit dem Titel "The Elephant in the Room", in der es heißt: "Es kann keine Demokratie für Juden in Israel geben, während die Palästinenser unter einem Apartheidregime leben".

Die Petition wurde bereits von mehr als 2.000 Akademikern, Geistlichen und anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, meist Juden und Israelis, unterzeichnet. "Das besetzte palästinensische Volk hat fast keine Grundrechte, einschließlich des Rechts zu wählen und zu protestieren", heißt es in der Petition, "die Selbstjustiz der Siedler brennt, plündert und tötet ungestraft."

Solche Wortmeldungen zeigen einen Wandel auch bei jüdisch-israelischen Akademikern. Ein Beispiel dafür ist Benjamin Pogrund, ein in Südafrika aufgewachsener israelischer Autor. Pogrund schrieb kürzlich einen Gastbeitrag für die israelische Zeitung Haaretz (der auch im britischen Guardian veröffentlicht wurde), in dem er seine neue Position beschrieb:

Ich habe mich mit aller Kraft gegen den Vorwurf gewehrt, Israel sei ein Apartheidstaat: in Vorträgen, Zeitungsartikeln, im Fernsehen und in einem Buch. Doch der Vorwurf wird zur Tatsache.

Früher hatte er diejenigen, die Israel Apartheid vorwarfen, als "zynisch und manipulativ" bezeichnet.

Ein anderer Fall ist Barak Medina, Juraprofessor an der Hebräischen Universität Jerusalem und ehemaliger Kandidat für den Obersten Gerichtshof. Er habe, so Goldberg, einmal gesagt, dass die unwahren Aussagen des israelischen Finanzministers und zweiten Sicherheitsministers Bezalel Smotrich dazu dienten, ein Apartheidregime im besetzten Ostjerusalem zu rechtfertigen.

Der Vorwurf der Apartheid kann sich auf diverse Studien und Untersuchungen stützen. Ein Bericht des israelischen Menschenrechtsanwalts Michael Sfard aus dem Jahr 2020 ("The Occupation of the West Bank and the Crime of Apartheid", "Die Besatzung des Westjordanlandes und das Verbrechen der Apartheid") zeigt ausführlich auf, wie Israel im Westjordanland Apartheid praktiziert. Ein Jahr später legte die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch eine große Untersuchung (über 200 Seiten) vor: "A Threshold Crossed. Israel Autorities and The Crimes of Apartheid and Persecution" ("Eine überschrittene Schwelle. Israels Behörden und die Verbrechen der Apartheid und Verfolgung").

Im Februar 2022 erschien die Analyse von Amnesty International: "Israel’s Apartheid against Palestinians: Cruel System of Domination and Crime against Humanity" (280 Seiten). Amnesty ist die wohl einflussreichste Menschenrechtsorganisation der Welt. Sie untersucht die Bedingungen vor Ort, wendet das Völkerrecht an und veröffentlicht Berichte, die Menschenrechtsverletzungen durch Regierungen in aller Welt dokumentieren.