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Was Weltklimarat und Weltsozialrat verändern könnten

Günter Rexilius

Das rassistische europäische Selbstverständnis verwüstet seit 500 Jahren Menschen und Natur. Wie die Strategie eines geopolitischen Klimamodells aussehen könnte (Teil 2 und Schluss)

Die hoffnungsvolle These zu Beginn dieses zweiten Teils meines Essays lautet: "Es gibt nur eine realistische Chance, die Klimazerstörung nicht nur abzubremsen, sondern zu stoppen, und die besteht in einem abrupten Ende von Ausraubung, Ausbeutung und Zerstörung auf der Südhalbkugel." Die Begründung lautet schlicht: "Nur ein Miteinander auf Augenhöhe und in gegenseitigem Respekt kann jedes 'Weiterso', jede Fortführung der scheinbar selbstverständlichen Produktions- und eingeschliffenen Konsumgewohnheiten und jede Unterwerfung unter TINA1 [1]-Zwänge, unterbinden."

Teil 1: Klima und Rassismus [2]

Mit anderen Worten: Die Erfolge des Weltklimarates werden nur eingeschränkt erfolgreich bleiben, wenn er nicht durch einen "Weltsozialrat" (Intergovernmental Panel on Social Change (IPSC [3])) ergänzt wird, der Entwürfe und Modelle für die Umsetzung dieser Strategie erarbeitet.2 [4]

Die gemeinsame Agenda bestünde zunächst darin, ein geopolitisches Klimamodell zu entwickeln, das nicht nur den engen Zusammenhang ökonomischer und ökologischer Kreisläufe problematisiert, sondern ein kompaktes soziales Umschwenken verlangt. Zu ihm gehört eine rigorose Beendigung der gestörten Beziehungsdynamiken zwischen Nord und Süd, gefüttert von dem Wissen um den Zusammenhang zwischen Umweltzerstörung und Ausbeutung.

Beide Gremien gemeinsam entwickeln aus der Zusammenschau ihrer taktischen und strategischen Entwürfe ein globales Konzept, sowohl für das Ausbremsen der Klimazerstörung als auch für die definitive Beendigung der globalen sozialen Verwerfungen bzw. Ungerechtigkeiten, etwa in Form von gesetzlichen Regelungen wie: Ein Verkauf von Land an Nicht-Einheimische ist ausgeschlossen, vorhandene oder vermutete Bodenschätze, Rohstoffe und Produkte werden nur in dem Umfang veräußert, der den Interessen und dem Nutzen der einheimischen Bevölkerungen dient.

Eigner ist grundsätzlich die ganze Bevölkerung eines Landes oder Staates. Alle anderslautenden Abmachungen, zwischen wem immer, und Besitzurkunden über Ländereien, die auswärtige Käufer sich in der Vergangenheit angeeignet haben, sind hinfällig. Die für die Produktion benötigten Maschinen, Werkzeuge, Rohstoffe und Infrastruktur bleiben im Besitz der jeweiligen Länder.

Für den Transport aus Ländern, in denen produziert wird, in Länder, zumeist im Nord-Westen, in denen die Produkte verkauft werden, gelten global festgelegte finanzielle, soziale und rechtliche Standards, Arbeits- und Lebensbedingungen auf allen Transportmitteln. Für kostspielige ökologische Maßnahmen, z.B. Verzicht auf Abholzung des Regenwaldes, werden Kompensationszahlungen aus Mitteln potenter Industriestaaten (z.B. G7, G20) geleistet, wie Ecuador vorgeschlagen hat.

Zusammengefasst verlangt der Weltsozialrat, dass globale Bedingungen geschaffen werden, die für alle Menschen in allen Ländern, auf allen Kontinenten, vergleichbare Lebens- und Arbeitsbedingungen gewährleisten. Billiglöhne, zerstörerische Arbeitsbedingungen, Vertreibung von Grund und Boden oder aus angestammten Regionen, sowie Sklavenarbeit gehören weltweit der Vergangenheit an.3 [5]

Soziale Standards, Gehälter und Löhne, Arbeitszeiten und Rechte wie Gründung von Gewerkschaften und Betriebsräten, gelten weltweit, verbunden mit einem absoluten Verbot von Kinderarbeit. Die fest verankerten Vorstellungen von den singulären Rechten der Bewohner:innen des Nord-Westens werden durch uneingeschränkte Gleichbehandlung und Gleichberechtigung ersetzt.

Grundsätzlich wird die ausbeutende Produktion in Ländern südlich des Wohlstandsäquators an Attraktivität verlieren, weil sie keine Gewinnspannen und Extraprofite mehr ermöglicht, die es lohnen, in Bangladesch, Vietnam oder Indonesien zu produzieren, zugleich werden kooperative Produktionsformen zunehmen. Selbstverständlich und massenhaft verfügbar und zu Schleuderpreisen verkauft wird es Rohstoffe und Produkte nicht länger geben.

Unter diesen Voraussetzungen entsteht zwangsläufig ein wesentliches "Kollateralvorteil" für den Schutz des Klimas: Regionalisierung von Produktion und Ernährung machen weite Transportwege, die viel Energie, Lebenszeit und Belastungen für Menschen kosten, überflüssig.

Im Rahmen der Uno werden für die Umsetzung dieser Regeln Gremien geschaffen, die Kontroll- und Sanktionsbefugnisse haben. Weltklimarat und Weltsozialrat sind der Uno rechenschaftspflichtig und erhalten von ihr die notwendigen Aufträge. Der um profilierte Vertreter:innen der Staaten des Südens erweiterte Sicherheitsrat der Uno definiert seine Aufgaben neu bzw. ergänzt sie: Zu seinen Aufgaben gehört künftig, die existenzielle Sicherheit der Menschen in den Ländern bzw. Staaten, die der Uno angehören, zu garantieren.

Neben den Blauhelmen, deren Einsätze weiterhin notwendig sein könnten, aber in eingeschränktem Umfang (weil der wichtigste Kriegsgrund, Überfälle und Okkupation von Gegenden, aus denen Ressourcen aller Art mit Gewalt angeeignet werden, wegfällt) setzt die Uno ein "Grünhelm"-Kontingent ein, das die Einhaltung der Regeln, die vom Weltsozialrat definiert werden, begleitet, wenn sich dieser Einsatz als notwendig erweisen sollte.

Sowohl die Blauhelme als auch die Grünhelme haben keine militärischen Aufträge, sondern sollen Rechtssicherheit herstellen, deren letztlicher Garant ein Internationaler Gerichtshof ist, der nicht nur kriegerische, sondern auch ausbeuterische Zustände ahnden kann. Weltklimarat und Weltsozialrat ersetzen IWF und Weltbank, deren Wirken Macht im Norden und Ohnmacht im Süden über Jahrzehnte hin intensiviert und verfestigt hat, für die Installation und Festlegung der Verfahrensregeln des Weltsozialrates gilt die gleichberechtigte Teilhabe und Stimmengleichheit der Länder des Südens (deren Mitbestimmungsrechte in IWF und Weltbank sehr beschränkt sind).

Klima-politische Vision – rückwärts, vorwärts

Auch wenn es müßig erscheint, über historische Entwicklungsprozesse spekulativ zu träumen, ist es reizvoll, mit den Ingredienzen eines geopolitischen Klimamodells und der Idee des Weltsozialrats im Hinterkopf, in den Weiten der Fantasie umherzuschweifen, um sich auszumalen, was wäre, wenn…

Nehmen wir an, die Europäer der anbrechenden Neuzeit hätten ihre eigenen geistigen, seelischen und körperlichen Kräfte genutzt, um auf der Basis ihrer materiellen Potenziale eine lebenswerte Zukunft zu gestalten: Europa und Nordamerika würden heute anders aussehen.

Vielleicht wäre der Verbrennungsmotor gar nicht erfunden worden, hätte die Dampfmaschine als Muster der schadstoffarmen Krafterzeugung eine Weiterentwicklung erfahren, wie wir sie heute mit Mikrochips bzw. Halbleitern erleben: immer kleiner, immer leistungsfähiger, immer effektiver.

Vielleicht hätten sich Formen des menschlichen und des Zusammenlebens mit der Natur entwickelt, in denen kollektive und damit für alle verbindliche Regeln fraglos gewesen worden wären, die sich am Wohlergehen der humanen, tierischen und pflanzlichen Lebewesen und nicht am größtmöglichen Profit orientieren, den Einzelne erzielen.

Vielleicht wäre die scheinbar naturgegebene Herrschaft des Privateigentums den Menschen im Vergleich zum allen verfügbaren Gemeineigentum geradezu lächerlich erschienen4 [6], wären sozialer Ausgleich, faire Bezahlung von Arbeit – und der gemeinsame Besitz des produktiven Kapitals und seiner Erträge – zu selbstverständlichen Denk- und Handlungsformen geworden.

Europa wäre noch heute eine Art Paradies auf Erden, in dem religiöse Versprechen eines besseren Jenseits nur verständnisloses Kopfschütteln hervorgerufen hätten. Alle Europäer:innen gemeinsam hätten einen friedlichen Kontinent geschaffen, in dem zufriedene Menschen leben, deren umfassende Bildung, kulturelle Vielfalt und soziale Ausgeglichenheit Kriege unnötig und revolutionäre Ideen überflüssig machen würden.

Als Französ:innen und Engländer:innen in Nordamerika einwanderten, brachten sie nicht nur ihren Wunsch nach einer neuen Heimat und ihre technischen und militärischen Fähigkeiten und Ausstattungen, sondern, viel wichtiger als das technische Gedöns, ihre über Jahrhunderte gewachsene Überzeugung mit, zum zivilisierten Teil der Menschheit zu gehören, der den indigenen Lendenschurzträger:innen und Skalpjäger:innen in jeder Hinsicht überlegen sei.

Stellen wir uns stattdessen vor, die Weiten der Prärie wären heute noch geprägt von friedlichem Zusammenleben büffeljagender Indianerstämme und europäischer Einwanderer, die sich gegenseitig an ihren jeweiligen Erfahrungen, Fähigkeiten und Kompetenzen teilhaben ließen; die "Weißen" hätten ihren Landbesitz den "Roten" zu fairen Preisen abgekauft oder über Pachtverträge zur Verfügung gestellt bekommen, oder sie hätten gar über Partnerschaften Grund und Boden gemeinsam genutzt.

Stellen wir uns Europäer:innen und Nordamerikaner:innen vor, die sich auf dem nordamerikanischen Kontinent und überall auf dem Globus mit respektvoller Neugier den dort lebenden Völkern angenähert und darauf verzichtet hätten, die vermeintlichen Segnungen des Christentums und des Kapitalismus mit angeblich gottgewollter brutaler Gewalt in Köpfe und Herzen der Menschen und in die unschuldigen Landschaften einzubrennen: Sie hätten, was ihre Nachkommen heute von jedem Flüchtling, dessen Sehnsuchtsort Europa oder Nordamerika ist, verlangen, schon vor drei-, vier-, fünfhundert Jahren praktiziert, nämlich sich den gegebenen Umständen anzupassen.

Ihren eigenen Reichtum an praktischen Fähigkeiten und angesammeltem Wissen hätten sie in aller Bescheidenheit den dort lebenden Menschen als Gastgeschenke angeboten und zur Verfügung gestellt. Die Vorstellungen, es gäbe ein natürliches Recht der Eindringlinge auf Land- und Güterraub und die Ausrottung oder Versklavung der eingeborenen Völker, hätten allenfalls in Märchenstunden zu allgemeiner Heiterkeit geführt.

Es ist davon auszugehen, dass ein bedrohlicher Klimawandel, eine dramatische Klimaveränderung, gar eine Klimakatastrophe der Menschheit erspart geblieben wäre, wenn die natürlichen Bedingungen, die auf den einzelnen Kontinenten herrschten, den jeweils dort lebenden Menschen uneingeschränkt zur Verfügung gestanden und von ihnen hätten genutzt werden können. Warentausch, regionaler und globaler Handel "auf Augenhöhe", gegenseitige wissenschaftliche, kulturelle und technische Bereicherung hätten Synergien auf allen Seiten freisetzen, aus ihnen hätten Anregungen und Materialien für eine vielfältige, reichhaltige, unerschöpfliche Weltkultur resultieren können.

Ästhetische Eigenheiten und erfahrungswissenschaftliche Weisheit wären nicht von Eroberern und Banausen unwiederbringlich zerstört, sie wären gemeinsam genutzt und weiterentwickelt worden, um etwa Krankheiten zu besiegen, Schutz vor Naturgewalten zu schaffen und die Freude am Leben zu teilen.5 [7] Das alles könnte auch eine Phantasiereise in die Zukunft sein.

Klima und Faschismus

Wenn Kritik an Klimazerstörung und Klimapolitik etwas differenzierter wird, verweist sie auf verbohrte Wachstumsideologie, auf die weltweite Finanzmafia, in den konsequentesten Fällen auf das kapitalistische System, ökonomische Globalisierung oder die neoliberale Entfesselung der Märkte. Die Opfer dieser Ausbeutungsexzesse westlicher Konzerne und ihrer politischen Verbündeten werden zur Kenntnis genommen, ihre Lebensumstände angeprangert – aber überwiegend mehr bedauernd, mitfühlend als analytisch konsequent und praktisch gewendet.

Es fehlen in der Regel Einsicht und Gewissheit, dass die K-I-R-Agenda6 [8] unser aller Leben seit 500 Jahren tagtäglich prägt, ihm seine materiellen, zum Teil auch seine geistigen, kulturellen und andere lebenswichtige Grundlagen liefert. Diese Gewissheit ist nicht nur als missing link in der Klimaforschung auffällig, sie ist in unser Alltagsleben, das von Klimastörungen bislang eher peripher tangiert worden ist, nicht vorgedrungen.

Ausgeblendet wird, dass "die anderen" von uns doppelt gequält, also von zwei Katastrophen getroffen werden, die wir alle zu verantworten haben: Sie müssen dem westlichen Publikum das "Futter" für die Mästung von "Wirtschaftswachstum" und beliebige konsumtive Verfügbarkeit von nahezu allem, was sein Begehr ist, liefern, um dann durch die Erderwärmung mit ihren Folgen, die alsbald Hunderte von Millionen in die Flucht, in Elend und tödliche Krankheiten treiben wird, gestraft zu werden.

Wenn es um "die offenen Adern Lateinamerikas"7 [9] und Afrikas und Südostasiens und Südamerikas geht, um die wirklichen Krankheitsherde des Globus, stockt der analytische Atem. Die fragende Hartnäckigkeit verliert sich, wenn es um die grausamen Formen der Ausbeutung von Menschen und Natur, die Zerstörung von klimatischen Steuerungszentren wie den Regenwäldern, um die Vernichtung von Lebensräumen ganzer Völker für den Abbau von Bodenschätzen, für beschleunigte technologische Aufrüstung und ihre substanzielle Bedeutung für unser Dasein geht.

Gemessen an der Klima-Zerstörungs-Konstante und ihrem K-I-R-Nervenzentrum, das nach wie vor mit einer befremdlichen – oder, wie Marx treffender sagt, entfremdeten – Gleichgültigkeit zur Sicherstellung des alltäglichen Wohlbefindens hingenommen wird, darf die Moral ins Spiel kommen8 [10]: Es ist nicht bekannt, dass etwa der deutsche Ethik-Rat mit aufrüttelnden Appellen zu einer moralischen Haltung aufgerufen hätte, die Ausbeutung und Unterdrückung als unverantwortlich und verbrecherisch anprangern.

Wissen über diese barbarischen Zustände anzueignen ist, systemisch gesehen, abgekoppelt von den globalen Rahmenbedingungen, Wissenschaft in Theorie und Praxis fügen sich ein in die gegebenen Umstände.

Wenn Basaglia der Gruppe der medizinischen und sozialen Expert:innen vorhält, sich selbst ihren Domestizierungsprojekten und Anpassungsritualen auszuliefern, ohne zu fragen, welchen Herren und welchen Zielen ihre Befriedungsverbrechen eigentlich dienen9 [11], und Chomsky ihnen vorwirft, als die neuen Mandarine dazu beizutragen, Menschen an sie kränkende und zerstörende Zustände und Verhältnisse anzupassen1 [12], sagen sie, dass Selbstreflexion und systemische Verortung dessen, was sie tun, nicht zum selbstverständlichen methodischen Inventar von Bildung und Wissenschaft gehören.

Dieser Mangel ist stilbildend für das gesellschaftliche Bewusstsein. Mit stoischer Selbstverständlichkeit halten die meisten Menschen auf der Nordhalbkugel an ihren Privilegien und Lebensstilen – angesichts des kollektiven Selbstbetrugs quasi so "naturgemäß" – unerschütterlich fest, dass ein auch nur rudimentäres Nachsinnen über das zusammengestohlene Gerüst, das sie trägt, keine reale Chance hat.1 [13]

Vorschläge und Initiativen dringen nicht zu der Tatsache vor, dass primär nicht etwa ihr "Lebensstil", sondern ihre lapidare K-I-R-Lebenslüge nach wie vor das eigentliche Fundament für den Klimawandel ist. Diese Einschätzung gilt auch für jene Angehörigen der links-liberalen Mittelschicht, die aufgrund ihres theoretischen und empirischen Wissens eigentlich zu konsequenter und radikaler Aufklärung berufen wären, aber an hitrorischer Amnesie und argumentativer Verkürzung leiden.

Die Nazis waren noch weit weg, aber das rassistische Gewebe faschistischer Ideologie und Vernichtungsstrategie begann schon im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert zu wachsen, allerdings diente es jahrhundertelang vor allem der Nutzung und Ausrottung der "Lebensunwerten" jenseits des Zivilisationsäquators.

Neben Voltaire lieferten etwa Francis Galton und Arthur de Gobineau vermeintliche wissenschaftliche Begründungen für rassistische Gräuel. Erst im auslaufenden 19. Jahrhundert mündete das Selbst-Bewusstsein pseudo-intellektueller und gewaltbereiter Starrköpfe, die "Krone der Schöpfung" zu sein, in ein rassentheoretisches Herumstochern in der bunt gemischten gesellschaftlichen Fülle, aus dem schließlich, schein-wissenschaftlich eingezäunt, das Konzept des rassisch Lebenswerten hervorkroch und zur Waffe der Ab- und Aussonderung von nicht-lebenswerten Menschengruppen auch in Europa wurde.

Die Tatsache, dass die K-I-R-Grundlagen des prosperierenden Lebens im Norden und Westen systematisch verdrängt werden, als wären sie nicht das Skelett unseres Lebens und der Puls unserer Existenz, hat nicht nur desaströse klimatische, sondern könnte grauenhafte zwischenmenschliche Folgen haben. Die Ignoranz gegenüber der ausbeuterischen und unterdrückerischen Dreifaltigkeit K-I-R hat dem faschistischen "Ausreißer" fast zwangsläufig die Wege in gedankliche, emotionale und ganz praktische faschistoide Aktionsszenarien geebnet.

Aus der historischen Erfahrung ist zu lesen, dass dynamische gesellschaftliche Entwicklungen – wie jede andere auch – ihre Extreme haben, dass faschistischen Ideen und Handlungen nichts Wahnwitziges oder Teuflisches innewohnt, sondern dass sie faktischer und prognostizierbarer Ausdruck der kapitalistischen Produktions- und Lebensweise sind: "Wer aber vom Faschismus nicht reden will, soll auch vom Kapitalismus schweigen", mit diesem Satz machte Max Horkheimer1 [14] jedem, der es wissen wollte, klar: Faschistische Ideologie und perfektionierte Tötungsmaschinerie reizen die Grundlagen kapitalistischer Wirklichkeit bis zur erbarmungslosen Perfektion aus, sie sind ihr nicht wesensfremd, sondern entfalten ihre Kristallisationskerne Ausbeutung und Profitmaximierung in extenso, bis heute und morgen und übermorgen.

Wenn Kolonialismus, Imperialismus und Rassismus im Norden und Westen des Erdballs nicht in ihrer Funktion als ideologisches Gerüst des gelebten Alltags, das in allen seinen Facetten sichtbar und spürbar, also auch durchschaubar ist, in Erkenntnisprozesse und Handlungsansätze eingebunden werden, wachsen nicht nur die Gefahren durch weitere und bedrohlichere Klimaveränderungen.

Zugleich, systematisch verbunden mit dieser Weigerung, die Wahrheit über unsere ökonomische und politische Hybris zu sehen, zu hören und sich ihr zu stellen, lauert die Gefahr der faschistischen Kipppunkte neben, vor und hinter uns. Sie rechtzeitig zu erkennen, verlangt anstrengende und unerlässliche Wachsamkeit, denn faschistoide Ausdrucksformen kleiden sich gern liberal, neoliberal, legal, demokratisch, angepasst, also kapitalistisch-normal.1 [15]

Auf sie gegenwärtig hinzuweisen, ist unerlässlich, denn ein historisch und gesellschaftspolitisch verankerter Faschismusbegriff lässt keine Wahl: Klima schützen heißt, die menschlichen Beziehungen weltweit nicht etwa nur auf den Prüfstand zu stellen, sondern sie zu revolutionieren, also vom Kopf auf die Füße zu stellen und so das K-I-R-Monstrum aus dem menschlichen Zusammenleben zu vertreiben. Erst mit dieser Klappe wird auch die zweite Fliege erschlagen: Faschistischen Exzessen wird der ökonomische, ideologische und emotionale Boden entzogen.1 [16]

Epilog

Eine Ahnung von dem, was mit den Defiziten der Anti-Klima-Zerstörungs-Bewegung gemeint ist, vermittelt ein Blick auf das Wirken von Bertrand Russell. Als "Vater" der nach ihm benannten Tribunale bestand sein öffentliches Anliegen darin, Wissenschaft und Politik zu kämpferischer Intervention, zu aktiver Gestaltung von ungerechten und gewalttätigen Lebensverhältnissen zur verschmelzen.

Seine Stärke war, fachspezifische Horizonte auszuloten und zugleich zu überwinden, um zu versuchen, Bedrohungen und Gefährdungen von einzelnen Menschen, ganzen Gesellschaften und nicht zuletzt der global involvierten Menschheit zu verhindern. Russell nannte Unterdrückung beim Namen, wie Repression, Ausgrenzung, Vernichtung von menschlichem Leben für die Interessen Einzelner. Er wusste, was strukturelle Gewalt mit Menschen macht, woher sie kommt und wem sie dient.

Seine Einsichten und Aktionsmuster wurden von der Wissenschaft überhaupt, auch von der Klima-Wissenschaft, und der vom Mainstream getragenen aktive, Gegenöffentlichkeit, durch analytische Kurzsichtigkeit, praktische Kurzatmigkeit und politische Unbekümmertheit ersetzt.

Erst wenn die – wissenschaftliche – Kritik an der drohenden klimatischen Implosion diese Grundpfeiler und die aus ihnen resultierenden Einsichten in die Grundlagen gesellschaftlicher Ungleichheit explizit benennt, kann sie aufdecken, dass die Hauptwurzel des Übels Klimaveränderung auch die des imperialistischen Lebensstils ist, und dass die in ihm verborgene Anspruchshaltung, alles haben zu müssen, weil alles zu haben ist, einer fundamentalen Revision bedarf.

Egal, welche Worte oder Begriffe im Einzelnen gewählt werden, analytisch führt kein Weg in eine menschenwürdige Zukunft, die nicht vom Kollaps der natürlichen Lebensbedingungen zerrüttet wird, an einer entschiedenen und unerbittlichen Kritik am kapitalistischen System vorbei, das nicht nur gewissermaßen im Blindflug in die Klimakatastrophe mündet, sondern in einen globalen Überlebenskampf, für den die Erfahrungen zwischen 1933 und 1945 vielleicht nur ein präludierendes Pandämonium gewesen sein könnten.

Fußnoten

[17] [1] "Ther Is No Alternative" war ein Lieblingssatz von Margret Thatcher, um ihre neoliberale Politik durchzusetzen.

[18] [2] Dahinter steckt eine schon verzweifelt zu nennende Hoffnung, denn die Uno und ihre vielen Institutionen haben seit ihrem Bestehen die Welt für die meisten Menschen nicht lebenswerter gemacht – der Weltsozialrat könnte so etwas wie ein letzter Versuch sein.

[19] [3] Diese kurze Skizze eines "Strategischen Konzepts" soll nicht mehr als ein Auftakt sein für eine Strategie, die im besten Sinne revolutionär zu nennen wäre.

[20] [4] Rousseau hat sich in seiner "Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheut unter den Menschen" (Amsterdam 1755) zur Absurdität des Privateigentums umfassend geäußert.

[21] [5] Kaum zu übertreffen sind die Worte von Lewis Mumford in "Mythos der Maschine" zur neolithischen Dorfkultur (1971, fischer alternativ S. 178).

[22] [6] Kolonialismus, Imperialismus und Rassismus – im weiteren Verlauf gelegentlich als "K-I-R" abgekürztes Syndrom

[23] [7] Marx & Engels passim; Lenins "Der Imperialismus als höchste Form des Kapitalismus" ist als analytischer Text nach wie vor beispielhaft, Frantz Fanon hat mit "Die Verdammten dieser Erde" den Opfern des Kolonialismus in Afrika ein Denkmal gesetzt (Wie auch Jean-Paul Sartre in seinem Vorwort), Eduardo Galeano hat mit "Die offenen Adern Lateinamerikas" nicht nur beispielhaft gezeigt, wie Ausraubung und Zerstörung Hand in Hand gehen, sondern im Grunde eine flammende Anklageschrift gegen die westlichen AusbeuterInnen verfasst, Aimé Césaire hat in vielen Büchern, u.a. in "Über den Kolonialismus" (2017) das schamlose Wüten der Kolonialdamen und -herren angeprangert.

[24] [8] Evi Hartmann, "Wie viele Sklaven halten Sie?" (2021) – starke Worte gegen den westlichen Lebensstil und den Umgang mit Menschen aus dem Süden, aber auf Moral verkürzt, ohne analytische Substanz.

[25] [9] Franco Basaglia hat in seinem Text "Befriedungsverbrechen" im gemeinsam mit seiner Frau Franca Basaglia-Ongaro herausgegebenen) Buch "Befriedungsverbrechen. Über die Dienstbarkeit der Intellektuellen" (1975) scharfzüngig die Rolle der den Herrschenden nützlichen angepassten Intellektuellen kritisiert, an der sich bis heute nichts geändert hat.

[26] [10] Noam Chomsky, Die Verantwortlichkeit der Intellektuellen (1971).

[27] [11] Das ist nun nicht nur irgendeine Behauptung. In einer Pressemitteilung der FOM (Hochschule für Berufstätige) vom 23.08.2021 heißt es: "Urlaub, Auto, Fleisch: Eine bundesweite Umfrage der FOM Hochschule unter mehr als 14.000 Menschen zeigt, dass die Mehrheit der Bundesbürgerinnen und -bürger nicht bereit ist, zugunsten des Klimas den eigenen Lebensstil zu verändern". In der "Allianz für Klima und Gesundheit" hat es dazu eine kontroverse Diskussion gegeben, deren Ergebnis sich so zusammenfassen lässt: Erstens: Es wäre nötig, dass mehr Bereitschaft zur Veränderung entsteht, aber keiner weiß so genau, wie das gehen könnte. Zweitens: Kein Wort zu den KZK-Grundlagen und die Notwendigkeit, sie in den Fokus von Veränderungen zu nehmen.

[28] [12] Original in "Die Juden und Europa. In: Studies in Philosophy and Social Science, Band 8. The Institute of social research, New York, 1939, S. 115."

[29] [13] Günter Rexilius, "Die Populismus-Falle" (Neue Rheinische Zeitung, Nr. 630, 27.09.2017).

[30] [14] Der Text "Vom Faschismus redet, wer über Kapitalismus nicht schweigt (Déjà-vu, 2017)" (Günter Rexilius unter Pseudonym Autorenkollektiv K) in Neue Rheinische Zeitung, Nr. 643, 17.01.2018, diskutiert dieses Thema ausführlicher.


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