Was das Bahnunglück in Burgrain mit dem Systemversagen der Bahn AG zu tun hat

Seite 3: Das Eisenbahnunglück in Burgrain im Kontext von drei Eisenbahnunfällen aus jüngerer Zeit

Das Eisenbahnunglück von Burgrain muss im Zusammenhang mit vorausgegangenen Unfällen im Schienenverkehr gesehen werden, bei denen die Deutsche Bahn AG ebenfalls auf "menschliches Versagen" abhob und das Versagen des Konzerns als Ganzes und die Verantwortlichkeit der Bahn-Oberen leugnete. Wobei die Öffentlichkeit – und weitgehend auch die Gerichte – dieser fatalen Darstellung folgten.

Brühl 2000

In der Nacht vom 5. auf den 6. Februar 2000 ereignete sich in Brühl in der Nähe von Bonn ein schwerer Eisenbahnunfall. Der D 203 wurde wegen Bauarbeiten auf dem Richtungsgleis auf das Gegengleis umgeleitet. Er entgleiste bei der Überfahrt über eine Weiche wegen erheblich überhöhter Geschwindigkeit. Neun Fahrgäste wurden getötet; eine größere Zahl schwerverletzt. In der Öffentlichkeit und bei der gerichtlichen Aufarbeitung stand der damals 28-jährige Triebfahrzeugführer im Mittelpunkt. Am Ende wurde das Strafverfahren gegen diesen zwar wegen "geringer Schuld" eingestellt; das Gericht sprach von einem "Augenblicksversagen".

Drei weitere DB-Mitarbeiter der unteren Hierarchie, gegen die ebenfalls Klage wegen "fahrlässiger Körperverletzung" erhoben worden war, mussten lediglich eher kleinere Geldbußen für wohltätige Zwecke zahlen. Das war's dann. Tatsächlich wies die Aufarbeitung des Unglücks auf ein Systemversagen hin: Die für die Baustelle wichtige "Bau- und Betriebsanleitung (Betra)" enthielt zahlreiche sinnentstellende Fehler; sie wurde auch nicht rechtzeitig aufgestellt und nicht fristgerecht verteilt.

Generell wurde im Prozess deutlich, dass diese "Betras" meist unter extremen Zeitdruck erstellt werden müssen ("pro Tag sind im Schnitt fünf bis sechs zu fertigen"), weswegen sie vielfach fehlerhaft sind. Das Verzeichnis der Langsamfahrstellen (La) enthielt weitere Fehler. Der Lokführer war unzureichend ausgebildet und für Fahrten in solchen Baustellenbereichen unzureichend geschult. Kurz zuvor waren die Ausbildungszeiten für Lokführer drastisch reduziert worden.11

Hordorf 2011

Am 29. Januar 2011 kam es auf der eingleisigen Hauptstrecke Magdeburg – Halberstadt bei Hordorf zu einem folgenschweren Zugunglück, bei dem ein Güterzug und ein Personenzug kollidierten und zehn Menschen getötet wurden. Bei der Untersuchung des Unglücks wurde in den Vordergrund gestellt, dass der Lokführer das Vor- und das Hauptsignal der Überleitstelle Hordorf missachtet hatte, womit "menschliches Versagen" und – erneut – "Augenblicksversagen" als Unglücksursache genannt, was schließlich auch so gerichtlich geahndet wurde.

Die wesentliche Ursache für das Unglück bestand jedoch darin, dass das Sicherungssystem "Punktförmige Zugbeeinflussung – PZB" nicht installiert war, obgleich bereits 1997 beschlossen worden war, insbesondere in den neuen Bundesländern, alle eingleisigen Schienenstrecken mit PZB nachzurüsten. Es gab damals, nach dem 1997er-Grundsatzbeschluss, einen fast ein Jahrzehnt währenden kleinkarierten Streit zwischen Deutsche Bahn, Eisenbahnbundesamt und Bundesverkehrsministerium, wer die Kosten für diese Nachrüstung tragen würde. Dieser Streit – bei dem es nicht einmal um große Beträge ging – war damit der Hauptfaktor dafür, dass zehn Menschen den Tod fanden.

Im Übrigen gab es seit Gründung der Deutschen Bahn AG mehr als ein Dutzend Fälle mit schweren Eisenbahnunfällen, die bei einem rechtzeitigen Einbau dieses vorhandenen, und nicht sonderlich teuren PZB-System – oder einer vergleichbaren Sicherungstechnik – verhindert worden wären.12

Bad Aibling 2016

Am 9. Februar 2016 kam es in Bad Aibling, Bayern, zu einem schweren Eisenbahnunfall mit zwölf Toten und 89 Verletzten. Auch hier hieß es nur wenige Tage nach dem Unglück "menschliches Versagen" sei ursächlich; der Traunsteiner Oberstaatsanwalt formulierte: "Was wir momentan haben, ist ein furchtbares Einzelversagen".

Dabei stand im Zentrum die Behauptung, der Fahrdienstleiter, der zwei Regionalzüge des Eisenbahnbetreibers Meridian, die in entgegengesetzter Richtung fuhren, aufs gleiche Gleis geschickt hatte, hätte "auf seinem Handy gespielt". Vor dem Hintergrund einer enormen medialen Aufladung der Öffentlichkeit wurde der Mann zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt.

Knapp zwei Jahre nach dem Urteilsspruch, Ende 2018, wurde der offizielle Bericht der Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung zu diesem Unglück vorgelegt. In diesem wurde konstatiert, dass auch nach dem Regelwerk der Bundesbahn beziehungsweise der Deutschen Bahn AG seit mehr als zwei Jahrzehnten (!) an dem fraglichen Streckenabschnitt eine spezifische technische Komponente ("Erlaubnisabhängigkeit") hätte eingebaut werden müssen, die, wie es in der Erstfassung dieses Berichts hieß, "die Kollision mit hoher Sicherheit verhindert hätte".

Nach einer Intervention der Deutschen Bahn AG wurde diese Formulierung dann abgeschwächt.13 Es traf auch nicht zu, dass der Mann zu fraglichen Zeit auf dem Handy gespielt hätte; das aktive Handyspiel wurde fünf Minuten vor dem Unglück beendet. Schließlich wurde festgestellt, dass Verantwortliche der Deutschen Bahn AG ein wichtiges Beweismittel vom Ort des Geschehens entfernt hatten, was dann nicht in der gerichtlichen Untersuchung berücksichtigt werden konnte.14